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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art3, Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch Ausweisung eines seit der Geburt in Österreich aufhältigen Staatenlosen; verfehlte Annahme der Zulässigkeit einer Ausweisung mangels Bestehens eines Herkunftsstaates; im Übrigen Ablehnung der BeschwerdeRechtssatz
Dem AsylGH ist zuzustimmen, wenn er den Beschwerdeführer, einen 1979 in Österreich geborenen Zugehörigen der Volksgruppe der Roma, als staatenlos erachtet (weder serbischer noch bosnischer Staatsangehöriger). Es liegt auch kein Staat des "früheren gewöhnlichen Aufenthalts" vor, zumal der Beschwerdeführers - mit Ausnahme von kurzen Urlaubsaufenthalten außerhalb Österreichs - sein gesamtes bisheriges Leben im Bundesgebiet verbracht hat.
Eine dem Staat zuzurechnende Behandlung ist als eine Verletzung der durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte zu werten, wenn ihr eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person innewohnt. Nach Auffassung des VfGH missachtet die Ausweisung einer Person, die in Österreich geboren wurde, die ausschließlich in Österreich (und zwar von Geburt an durch mehrere Jahrzehnte) aufhältig ist und die auf Grund ihrer Staatenlosigkeit und mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Staat als Österreich zu keinem anderen Staat einen Bezugspunkt aufweist, die Menschenwürde einer solchen Person, weil ihr damit jede rechtliche Grundlage ihrer Existenz entzogen wird, sie aber nicht in der Lage ist, gleichzeitig anderswo eine rechtliche Existenz zu begründen.
Die Auffassung des AsylGH, im vorliegenden Fall sei §8 Abs6 AsylG 2005 analog anzuwenden, ist verfehlt. Diese Bestimmung ist nur auf Fälle anwendbar, in denen ein anderer Herkunftsstaat des Asylwerbers als Österreich besteht, dieser ihn aber verschleiert, um einer Ausweisung in diesen Herkunftsstaat zu entgehen. Im vorliegenden Fall ist aber überhaupt kein Herkunftsstaat des Beschwerdeführers iSd §2 Abs1 Z17 leg cit vorhanden.
§10 Abs3 und Abs5 AsylG 2005 wären vom AsylGH im Fall des Beschwerdeführers dahingehend zu interpretieren gewesen, dass seine Ausweisung auf Grund sonstiger Art3 EMRK-Verletzung dauerhaft oder für eine bestimmte Dauer unzulässig ist, nämlich bis der Beschwerdeführer - sofern möglich - die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat.
Der Asylgerichtshof hat die Ausweisung des Beschwerdeführers für unzulässig zu erklären hat, wobei dem Beschwerdeführer - auch iSd diesbezüglich relevanten völkerrechtlichen Bestimmungen (s Art31 des Übereinkommens über die Rechtstellung der Staatenlosen vom 28.09.1954, BGBl III 81/2008) - zumindest ein angemessener Zeitraum zu gewähren ist, in dem er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangen kann; sollte dies dauerhaft - auch bei zumutbarem Bemühen des Beschwerdeführers - nicht möglich sein, wäre die Ausweisung dauerhaft unzulässig.
Dem AsylGH ist im Ergebnis zu folgen, dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, weil eine Verletzung ua des Art3 EMRK durch "Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat" iSd §8 Abs1 AsylG 2005 offenkundig nicht möglich ist, weil überhaupt kein anderer Herkunftsstaat des Beschwerdeführers als Österreich besteht.
Ablehnung der Beschwerde hins der Abweisung des Asylantrags und der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, Auslegung eines Gesetzes, Analogie, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:U2131.2012Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015