RS Vfgh 2014/3/11 G93/2013

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Veröffentlicht am 11.03.2014
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Index

25/02 Strafvollzug

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art94 Abs2, Art151 Abs51 Z8, Z9
StVG §156c Abs1, Abs1a
StGB §46 Abs1, §52a Abs1, §201 ff

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der Regelung des Strafvollzugsgesetzes über Voraussetzungen für den elektronisch überwachten Hausarrest (Fußfessel) für bestimmte Sexualstraftäter; strengere Behandlung von wegen besonders schwerwiegender Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung Verurteilten gegenüber anderen Sexualstraftätern durch das zusätzliche Erfordernis der Verbüßung einer Mindeststrafzeit nicht unsachlich

Rechtssatz

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §156c Abs1a StVG idF BGBl I 2/2013.

Der Umstand, dass die belangte Behörde (Vollzugskammer beim OLG Innsbruck) gemäß Art151 Abs51 Z8 B-VG iVm litA Z14 seiner Anlage mit Ablauf des 31.12.2013 aufgelöst und ihre Aufgaben - gestützt auf Art94 Abs2 B-VG - durch Art15 Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG - Justiz, BGBl I 190/2013, mit 01.01.2014 dem zuständigen Vollzugsgericht übertragen wurden (§16 Abs3 StVG), vermag angesichts der in Art151 Abs51 Z9 B-VG für beim VfGH mit Ablauf des 31.12.2013 anhängige Verfahren getroffenen Übergangsregelung an der (weiteren) Anwendbarkeit der in Prüfung stehenden Vorschrift im Anlass-verfahren vor dem VfGH nichts zu ändern.

Keine Aufhebung des §156c Abs1a StVG idF BGBl I 2/2013.

Der Gesetzgeber verstößt dadurch, dass er bestimmten, wegen (gravierender) Sexualdelikte schuldig erkannten und zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Personen, deren (noch zu) verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt (vgl §156c Abs1 Z1 StVG), - im Unterschied zu anderen, ebenfalls mit Freiheitsentzug belegten Rechtsbrechern - das Verspüren des Haftübels durch Verbüßung einer Mindestzeit abverlangt, ehe der (weitere) Vollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (unter bestimmten Voraussetzungen) in Betracht kommt, nicht gegen den Gleichheitssatz. Auch mit Blick auf die Zwecke des Strafvollzugs (§20 StVG), die insbesondere in der Sozialisierung des zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten sowie im gesetzeskonformen Vollzug liegen, ist die unterschiedliche Behandlung von Sexualstraftätern und anderen Tätern in Ansehung der konkreten alternativen Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests nicht als unsachlich zu beurteilen.

Verstöße gegen die Tatbestände der §§201 bis 207b StGB - die auf teils mit schwerer Gewalt verbundene, teils von gravierenden Folgen begleitete Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung besonders schutzbedürftigen Personen (ua wehrloser oder unmündiger Opfer) ausgerichtet sind - werden vom Gesetzgeber innerhalb des ihm eingeräumten Gestaltungspielraums als besonders schwerwiegend bzw sozialschädlich eingestuft, was sich überwiegend auch in der Höhe der jeweiligen Strafdrohung manifestiert.

Bei allen wegen eines Sexualdeliktes oder eines sexuell motivierten Gewalt-deliktes iSd §52a Abs1 StGB verurteilten Personen muss (neben den allgemeinen Bewilligungsvoraussetzungen gem §156c Abs1 StVG) gem §156c Abs1a StVG darüber hinaus aus besonderen Gründen Gewähr dafür geboten sein, dass der elektronisch überwachte Hausarrest nicht missbraucht werde.

Die Differenzierung innerhalb der Gruppe der Sexualstraftäter reduziert sich also auf das im ersten Satzteil des §156c Abs1a umschriebene - zeitliche - Erfordernis, wonach die in Rede stehende Vollzugsform für wegen strafbarer Handlungen nach § 201 bis §207b StGB verurteilte Rechtsbrecher nicht in Betracht kommt, bevor die zeitlichen Voraussetzungen des §46 Abs1 StGB erfüllt sind (bzw mindestens drei Monate verbüßt wurden).

In Anbetracht des dem Gesetzgeber auch auf dem Gebiet des Strafvollzugs eingeräumten Gestaltungsspielraumes, des zumindest teilweise unterschiedlichen gesetzgeberischen Zieles der im Zehnten Abschnitt geregelten Deliktsgruppen nach §201 bis §207b StGB einerseits und nach den §208 ff StGB andererseits sowie ihrer divergierenden Qualität kann dem Gesetzgeber unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn er Verurteilte aus der vorwiegend schwerwiegende Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung der (oft unmündigen) Opfer betreffenden Deliktsgruppe nach den §201 ff StGB gegenüber der Gruppe von Straftätern, die wegen Verstößen nach den §208 ff StGB schuldig erkannt wurden, im Hinblick auf die Voraussetzungen zur Erlangung elektronischer Überwachung als Haftsubstitution durch das Erfordernis der Verbüßung einer Mindeststrafzeit strenger behandelt.

(Anlassfall B178/2013, B v 11.03.2014, Ablehnung der Beschwerde).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Strafvollzug, Strafrecht, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G93.2013

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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