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20/02 FamilienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung des Antrags eines homosexuellen, nach niederländischem Recht verheirateten Paares auf Wiederholung der Eheschließung in Österreich; keine verfassungswidrige Auslegung der Diskriminierungsverbote der EMRK und des B-VG; Diskriminerungsverbot der EU-Grundrechte-Charta zwar Prüfungsmaßstab, im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar mangels eines hinreichenden Zusammenhanges der nationalen eherechtlichen Regelung mit dem Unionsrecht; keine Regelungszuständigkeit der Union für die Frage des Zugangs zur Ehe durch gleichgeschlechtliche Personen; kein Anlass für ein VorabentscheidungsverfahrenRechtssatz
Die belangte Behörde geht der Sache nach davon aus, dass §13 DVOEheG (Wiederholung der Eheschließung) für die Beschwerdeführer schon deswegen nicht zur Anwendung kommen könne, weil das Rechtsinstitut der gleichgeschlechtlichen Ehe der österreichischen Rechtsordnung nicht bekannt ist und sich die Form der Eheschließung gem §16 Abs1 IPRG nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften richtet.
Weder nach der Judikatur des EGMR zu Art14 EMRK noch nach der Rechtsprechung des VfGH zu Art7 Abs1 B-VG stellt der Umstand, dass die Ehe Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten ist - und Personen gleichen Geschlechts auf das Institut der eingetragenen Partnerschaft verwiesen werden - eine unzulässige Diskriminierung dar. Aus diesen beiden Diskriminierungsverboten folgt daher im vorliegenden Fall nicht, dass die Behörde verfassungsrechtlich gehalten gewesen wäre, eine andere als die von ihr gewählte Auslegung vorzunehmen.
Der VfGH hegt keinen Zweifel daran, dass es sich bei Art21 Abs1 GRC (Verbot von Diskriminierungen ua wegen der sexuellen Ausrichtung) um eine Garantie der GRC handelt, die in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht, mithin keine völlig unterschiedliche normative Struktur als diese aufweist. Art21 Abs1 GRC kann daher gemäß Art144 B-VG vor dem VfGH als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht geltend gemacht werden und bildet einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art139 und Art140 B-VG.
Art21 Abs1 GRC ist im konkreten Fall aber nicht anwendbar.
Das Rechtsschutzsystem des B-VG baut darauf auf, dass die Geltendmachung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte einschließlich der darauf bezogenen Normenkontrolle beim VfGH konzentriert ist (VfSlg 19632/2012, 220; zur "Leitfunktion" des VfGH bei der Auslegung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte vgl VfSlg 19730/2012). Auf Grund dieser Verfassungsrechtslage hat der Äquivalenzgrundsatz zur Folge, dass Art144 B-VG so zu verstehen ist, dass auch Rechte der GRC als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte geltend gemacht werden können.
Die Beschwerdeführer (zwei niederländische Staatsangehörige) haben von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in Österreich zum Zwecke der Erwerbsausübung niedergelassen. Sie vermieten Ferienwohnungen. Den allgemeinen innerstaatlichen zivil- und kollisionsrechtlichen Regelungen, an die die Beschwerdeführer (wie etwa auch an die allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaates, in den sie sich begeben haben) gebunden sind, kommt grundsätzlich kein die Ausübung der Grundfreiheit beschränkender Aspekt zu.
Nach der Rechtsprechung des EuGH finden die Grundrechte der GRC in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung.
Die von der belangten Behörde als Grundlage ihrer Entscheidung herangezogenen Bestimmungen des §13 DVOEheG und des §16 Abs1 IPRG bezwecken nicht die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts. Sie liegen außerhalb des Anwendungsbereichs jener unionsrechtlichen Regelungen, die gestützt auf Art19 AEUV ergangen sind, sodass es auch keine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann. §13 DVOEheG hat vielmehr ausschließlich eherechtlichen Charakter und auch §16 Abs1 IPRG verfolgt insoweit keine anderen Ziele. Die genannten innerstaatlichen Bestimmungen liegen damit außerhalb der Regelungszuständigkeit der Europäischen Union. Schaffen die unionsrechtlichen Vorschriften somit im vorliegenden Sachbereich keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt, so sind die Grundrechte der GRC im Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Regelungen, die diesen Sachverhalt bestimmen, unanwendbar. Es liegt also im vorliegenden Fall kein hinreichender Zusammenhang zum Unionsrecht vor, der eine Anwendung von Art21 Abs1 GRC zu begründen vermag.
Ungeachtet dessen würde auch eine Anwendbarkeit des Art21 GRC der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen:
Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art14 EMRK setzt die Entscheidung der Frage, ob zur Vermeidung einer Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung auch gleichgeschlechtlichen Paaren der Zugang zum Institut der Ehe so wie verschiedengeschlechtlichen Personen zu eröffnen ist (oder sie auf eigenständige Institute wie hier das der eingetragenen Partnerschaft verwiesen werden können), die Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen voraus, die in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterschiedlich verlaufen (können). Bei solchen Wertungsfragen kommt nach der genannten Rechtsprechung des EGMR den Mitgliedstaaten der EMRK ein erheblicher "margin of appreciation" zu.
Wenn und insoweit die Grundrechtsfrage mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften betrifft, die außerhalb der Regelungszuständigkeit (aber allenfalls im Anwendungsbereich des Rechts) der Europäischen Union liegen, ist nach Auffassung des VfGH die Frage, ob Art21 Abs1 GRC im konkreten Fall verletzt wäre, daher nicht deswegen dem EuGH nach Art267 AEUV vorzulegen, weil Art21 Abs1 GRC bestimmten Personen im Ausgangsrechtsstreit weitergehenden Schutz gewähren könnte als Grundrechte grundsätzlich gleicher Bedeutung und Tragweite im mitgliedstaatlichen Verfassungsrecht oder in der EMRK. Art21 Abs1 GRC belässt - außerhalb des Anwendungsbereiches von unionsrechtlichen Regelungen, die gestützt auf Art19 AEUV ergehen - den Mitgliedstaaten im Rahmen des konventionsrechtlich durch Art14 EMRK vorgegebenen Grundrechtsstandards eben auch jenen "margin of appreciation".
Das Gebot, unionsrechtliche Bestimmungen oder Begriffe einheitlich auszulegen, verlangt hier gerade keine unionsweit einheitliche Entscheidung, weil Art21 Abs1 GRC gemäß Art51 Abs2 GRC den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt (und auch keine neuen Zuständigkeiten für die Union begründet). Für die Frage des Zugangs zur Ehe durch gleichgeschlechtliche Paare fehlt es aber insoweit an einer Regelungszuständigkeit der Union, sodass auch Art21 Abs1 GRC dem nicht entgegenstünde, dass die Anforderungen aus einem grundrechtlichen Diskriminierungsverbot an die Regelung dieser Frage in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt sind, solange - was im vorliegenden Fall, wie die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zeigt, zutrifft - jene Bedeutung und Tragweite des Diskriminierungsverbots gewährleistet ist, wie sie dem in Art14 EMRK garantierten Recht entspricht.
Die belangte Behörde hat den von ihr angewendeten Rechtsvorschriften keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Die Beschwerde gibt auch keinen Anlass für ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Keine Willkür.
Schlagworte
Ehe und Verwandtschaft, Eherecht, Homosexualität, Personenstandswesen, Gleichbehandlung, EU-Recht, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Auslegung verfassungskonforme, Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme, Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete, EU-Recht Vorabentscheidung, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B166.2013Zuletzt aktualisiert am
29.07.2015