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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des GM in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 20. Jänner 2012, Zl. 299083/2-III/7/b/12, betreffend Zurückweisung einer Berufung iA Aufschub des Zivildienstes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers vom 23. Dezember 2011 gegen den Bescheid der Zivildienstserviceagentur vom 2. Dezember 2011 als verspätet zurück.
In der Begründung führte sie aus, der erstinstanzliche Bescheid vom 2. Dezember 2011 sei dem Beschwerdeführer an seiner Wohnadresse im Wege der (Ersatz-)Zustellung gemäß § 16 Abs. 1 ZustG an seine Schwester, welche die Übernahme des Schriftstückes am 7. Dezember 2011 bestätigt habe, zugestellt worden. Die Berufungsfrist sei daher am 21. Dezember 2011 abgelaufen und die am 23. Dezember 2011 eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers somit verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Gegenschrift die Verwaltungsakten vorgelegt hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, die belangte Behörde habe den angefochtenen Bescheid erlassen, ohne ihm zur behaupteten Verspätung das Parteiengehör einzuräumen. Wäre ihm die Verspätung vorgehalten worden, so hätte er dargelegt, dass er sich im Zeitraum 4. bis 12. Dezember 2011 auf Erholungsurlaub bei einem Bekannten in B., also etwa 130 km entfernt von seinem Wohnort, aufgehalten habe. Erst anlässlich seiner Rückkehr in die Wohnung am 12. Dezember 2011 habe er davon erfahren, dass seine Schwester als Mitbewohnerin das genannte Schriftstück am 7. Dezember 2011 übernommen habe. Da er somit zum letztgenannten Zeitpunkt ortsabwesend gewesen und daher die Zustellung erst mit seiner Rückkehr an die Wohnadresse am 12. Dezember 2011 rechtswirksam geworden sei, sei die zweiwöchige Berufungsfrist bei Einbringung der Berufung am 23. Dezember 2011 noch nicht abgelaufen gewesen.
Der Beschwerde angeschlossen ist einerseits die Bestätigung des vom Beschwerdeführer genannten Gastgebers über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in B. im Zeitraum 4. bis 12. Dezember 2011 und andererseits eine Bestätigung seines Arbeitgebers, dass der Beschwerdeführer im genannten Zeitraum nicht an seiner Arbeitsstelle tätig gewesen sei.
Dieses Vorbringen ist zielführend:
Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die belangte Behörde aus dem Grunde des § 45 Abs. 3 AVG verpflichtet ist, dem Beschwerdeführer eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, unterliegt das zur Frage der Rechtzeitigkeit erstattete Beschwerdevorbringen nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2011, Zl. 2011/02/0063, mwN).
§ 16 ZustG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 5/2008
lautet auszugsweise:
"Ersatzzustellung
(1) Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
...
(5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."
Ausgehend von der vom Beschwerdeführer behaupteten Abwesenheit von der Abgabestelle vom 4. bis zum 12. Dezember 2011 (somit auch im Zeitpunkt der Ersatzzustellung) konnte er (iSd § 16 Abs. 5 ZustG) nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen (vgl. etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltunsgverfahrensgesetze I2, E 59. bis E 61. zu § 16 ZustG referierte hg. Judikatur).
Da der Beschwerdeführer zur behaupteten Ortsabwesenheit Bescheinigungsmittel vorgelegt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 6. März 2014
Schlagworte
Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Sachverhalt VerfahrensmängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012110061.X00Im RIS seit
07.04.2014Zuletzt aktualisiert am
05.05.2014