TE Vfgh Erkenntnis 2014/2/26 U1198/2013

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Veröffentlicht am 26.02.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung der Beschwerdeführerin nach China mangels Klärung des Familienstandes

Spruch

I.              Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

              Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin reiste am 23. Februar 2009 illegal mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. Februar 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Wesentlichen begründet sie ihren Antrag damit, dass sie von 2006 bis 2008 in der Volksrepublik China als Tierzüchterin und Geschäftsführerin für ein Unternehmen tätig gewesen sei, welches Ameisen gezüchtet und aus diesen traditionelle chinesische Medizinprodukte hergestellt habe. Zahlreiche Anleger seien motiviert worden, in diese Firma zu investieren. Auch die Beschwerdeführerin habe Geld investiert und andere motiviert, dies ebenso zu tun. Das Geschäftsmodell habe so ausgesehen, dass die Anleger dem Konzern Ameisen abgekauft, diese zu Hause gezüchtet und vermehrt und danach die vermehrte Menge Ameisen mit Gewinn an den Konzern zurückverkauft hätten. Die Firmenführung habe die Anleger um ihr Geld betrogen; der Konzern habe lange Zeit hohe Gewinne gemacht und sei danach in den Konkurs getrieben worden, sodass die Anleger ihren Absatzmarkt für die Ameisen verloren hätten. Zahlreiche Investoren hätten ihr Geld zurückgewollt. Besonders hartnäckig sei ein bestimmter Anleger gewesen, der mit der Beschwerdeführerin verwandt sei und sie mehrmals aufgesucht und sogar Gewalt gegen sie angewandt habe. In Notwehr habe die Beschwerdeführerin ein Messer ergriffen und diesem Anleger zweimal in den Bauch gestochen; daraufhin sei sie aus der Volksrepublik China geflüchtet.

2. Mit im Instanzenzug ergangener Entscheidung wies der Asylgerichtshof den Asylantrag der Beschwerdeführerin ab, erkannte ihr subsidiären Schutz nicht zu und wies sie in die Volksrepublik China aus. Begründend führt der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin komme keine Glaubwürdigkeit zu, weil sie sich in Widersprüche verstrickt habe. Der Beschwerdeführerin drohe in der Volksrepublik China keine Verfolgung, welche die Gewährung von internationalem oder subsidiärem Schutz begründe; die Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China auszuweisen, stehe auch mit ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK in Einklang. In der Entscheidung stellt der Asylgerichtshof ausdrücklich fest, die Beschwerdeführerin verfüge im Bundesgebiet über keinerlei Verwandte.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, und auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

II. Rechtslage

Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012, lautet auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1.-21. […]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

[…]

Verbindung mit der Ausweisung

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

1.              der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

2.              der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

3.              einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4.              einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 vorliegt.

(2) Ausweisungen nach Abs1 sind unzulässig, wenn

1.              dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2.              diese eine Verletzung von Art8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

a)              die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

b)              das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

c)              die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

d)              der Grad der Integration;

e)              die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

f)              die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

g)              Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

h)              die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

i)              die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

[…]

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Abs1 Z22) von

1.              einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2.              einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder

3.              einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.              dieser nicht straffällig geworden ist (§2 Abs3);

2.              die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3.              gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.              dieser nicht straffällig geworden ist (§2 Abs3);

2.              die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

3.              gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§9) und

4.              dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1.              auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2.              auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

3. Nachdem die Beschwerdeführerin am 14. Dezember 2009 Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid an den Asylgerichtshof erhoben hatte, reichte sie am 31. März 2010 eine Heiratsurkunde aus dem Jahr 1998 nach. Offenbar bezweckte die Beschwerdeführerin zu belegen, dass sie mit einem chinesischen Staatsangehörigen verheiratet ist, der sich ebenso als Asylwerber im Bundesgebiet aufhält. Der Asylgerichtshof übt Willkür, wenn er in seiner Erledigung ausdrücklich feststellt, die Beschwerdeführerin verfüge im Bundesgebiet über keine relevanten familiären Beziehungen und es zur Gänze unterlässt, sich mit jenen Eingaben der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen, welche Zweifel an den Annahmen des Asylgerichtshofes begründen. Zwar ist dem Asylgerichtshof zuzugestehen, dass die Beschwerdeführerin ihren Familienstand zuvor mit "geschieden" angegeben hatte, doch wäre es zur Klärung ihres Familienstandes geboten gewesen, diesbezügliche Ermittlungen anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U1198.2013

Zuletzt aktualisiert am

01.04.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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