TE Vfgh Erkenntnis 2014/3/4 B249/2013

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Veröffentlicht am 04.03.2014
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Index

40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §67c ff
EMRK Art3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung einer Maßnahmenbeschwerde im Hinblick auf die behaupteten Misshandlungen im Zuge einer Festnahme wegen entscheidender Ermittlungsfehler

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser über die behaupteten Misshandlungen des Beschwerdeführers abspricht, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Am 31. August 2007 erhob der Beschwerdeführer, ein mit einer Österreicherin verheirateter nigerianischer Staatsangehöriger, Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS), in der er sich "gegen die durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien ausgeübten Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, und zwar

- die am 22.7.2007, gegen 1 Uhr früh, vor der Apotheke […], 1010 Wien, von Organen der belangten Behörde verabreichten Schlägen und Misshandlungen

- das am 22.7.2007 im Anschluss daran erfolgte Anlegen der Handfessel, Mitnahme und Anhaltung in der Polizeiinspektion der belangten Behörde in 1010 Wien […] bis ca 2 Uhr"

wandte.

2. Der UVS führte eine mündliche Verhandlung durch. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 21. Mai 2008 gab der UVS der Beschwerde insoweit statt, als er die Festnahme und das Anlegen von Handfesseln für rechtswidrig erklärte; hinsichtlich der behaupteten Misshandlungen ("Schlag auf den Kopf, Schlagen des Kopfes gegen die Hausmauer und Schläge auf den Rücken") wies er die Beschwerde ab.

Die Abweisung gründet auf folgenden Erwägungen:

"Der diesbezügliche Sachverhalt stellt sich aufgrund der Aktenlage und insbesondere der nachvollziehbaren Angaben des [den Beschwerdeführer anhaltenden Polizisten] derart dar, dass im Zuge der Anhaltung des laufenden Beschwerdeführers das Organ der belangten Behörde mit dem Beschwerdeführer zusammenstieß und beide ungebremst zu Boden gingen. Im Anschluß daran wurde der Beschwerdeführer durch den Beamten und eine[n] weiteren Beamten mit Handfesseln am Rücken geschlossen, aufgerichtet und offensichtlich an die Hausmauer gelehnt. Ein Schlagen des Beschwerdeführers gegen seinen Kopf oder Rücken konnte aufgrund der Angaben nicht festgestellt werden, der UVS Wien geht vielmehr davon aus, dass sich der Beschwerdeführer die Verletzung hinter dem linken Ohr allenfalls durch den Sturz zu Boden zugezogen hat. Zur Anhaltung an sich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer trotz Aufforderung der Organe der belangten Behörde stehen zu bleiben, weitergelaufen ist und auf die wiederholten Aufforderungen sowohl in deutscher als auch englischer Sprache nicht reagiert hat. Grundsätzlich ist es der Polizeiarbeit immanent, dass offensichtlich flüchtende Personen, die Aufforderungen zum Anhalten ignorieren[,] etwas zu verbergen haben oder sich einer allfälligen Strafverfolgung zu entziehen versuchen. Die Umstände der Anhaltung sind daher sehr wohl dem Verhalten des Beschwerdeführers zuzuschreiben. Die offensichtliche Blutspur an der Hausmauer kann ohne weiters vom Anlehnen des Beschwerdeführers nach seiner Fesselung an die Hausmauer erfolgt sein. Ein Schlagen des Kopfes des Beschwerdeführers an die Hausmauer kam ebenfalls nicht hervor. Laut unwidersprochenen Angaben der Organe der belangten Behörde und nach der Aktenlage erregte diese Amtshandlung unter Berücksichtigung der Örtlichkeit und Tageszeit größeres Aufsehen bei Passanten und kann schon deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer[,] so wie er es beschreibt[,] regelrecht von den Polizisten traktiert, geschlagen und sein Kopf gegen die Wand oder Hausmauer gestoßen wurde."

Die schriftliche Ausfertigung des Bescheides erfolgte am 15. Jänner 2013 und wurde dem Beschwerdeführer am 18. Jänner 2013 zugestellt.

3. Gegen den Bescheid des UVS richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht, keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, nach Art3 EMRK und im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides insoweit beantragt wird, als dieser über die behaupteten Misshandlungen des Beschwerdeführers abspricht. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der UVS den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Abklärung der erlittenen Verletzungen des Beschwerdeführers völlig übergangen habe und dass das Vorgehen der Polizei gegen den Beschwerdeführer eine unmenschliche Behandlung gewesen sei, da er dadurch in seiner physischen und psychischen Integrität verletzt worden sei. Durch die Misshandlung habe der Beschwerdeführer eine Rissquetschwunde hinter dem linken Ohr und einen dauernden Gehörschaden ("Tinnitus") erlitten.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor; von der Erstattung einer Gegenschrift sah sie ab.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Vorauszuschicken ist, dass der UVS eine mündliche Verhandlung abgehalten hat, in der alle beteiligten Personen zum Ablauf der polizeilichen Amtshandlung gehört wurden; im Anschluss daran hat er einen Teil der Amtshandlung, nämlich die Festnahme des Beschwerdeführers und das Anlegen von Handfesseln, für rechtswidrig erklärt.

4. Dennoch ist der belangten Behörde im Hinblick auf die behaupteten Misshandlungen des Beschwerdeführers ein entscheidender Ermittlungsfehler unterlaufen:

Der UVS hat nämlich zweckentsprechende Ermittlungsschritte unterlassen, die nach dem das Beschwerdeverfahren vor dem UVS nach §§67c ff. AVG in der damals maßgeblichen Fassung beherrschenden Amtswegigkeitsprinzip geboten und geeignet gewesen wären, Klarheit in die Sache zu bringen. Insbesondere wäre es erforderlich gewesen, über die Art

der Verletzung des Beschwerdeführers ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen einzuholen, um Aufschluss darüber zu bekommen, ob die – unbestrittene und im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Festnahme des Beschwerdeführers stehende – Verletzung durch das Versetzen eines Schlages oder – wovon die belangte Behörde offenbar ohne nähere Prüfung ausgeht – durch einen Sturz des Beschwerdeführers zu Boden verursacht worden ist.

Da die belangte Behörde diesen wesentlichen Ermittlungsschritt unterlassen hat, hat sie ihr Verfahren mit einem derart groben Verfahrensfehler belastet, dass der dieses Verfahren abschließende Bescheid im Hinblick auf die behaupteten Misshandlungen den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser über die behaupteten Misshandlungen des Beschwerdeführers abspricht, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten. Die unter dem Titel "Einschreibegebühr" verzeichneten Kosten sind nicht zuzusprechen, da diese bereits im Pauschalsatz enthalten sind (vgl. etwa VfGH 20.6.2001, B395/99). Die verzeichnete, tatsächlich nicht entrichtete Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da dem unter einem mit der Beschwerde gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang von der Befreiung der Eingabengebühr mit Beschluss vom 26. März 2013 stattgegeben wurde.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Misshandlung, Festnahme, Ermittlungsverfahren, Amtswegigkeit (Ermittlungsverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B249.2013

Zuletzt aktualisiert am

03.04.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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