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10/11 Vereins- und VersammlungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch - an den beschwerdeführenden Obmann eines Vereins gerichtete - Berufungsentscheidungen betreffend die Untersagung einer vom Verein angezeigten Fahrradkundgebung auf einer Autobahn mangels Vorliegens eines Berufungsantrags des BeschwerdeführersSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,? bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, Obmann des Vereins "fairkehr – Verein für verkehrspolitische Bewusstseinsbildung" (in der Folge: Verein "fairkehr"), zeigte für diesen mit Schreiben vom 14. September 2012 für den 21. Oktober 2012 für den Zeitraum von 10 bis 14 Uhr eine als Fahrradkundgebung zur Einhaltung der gesetzlichen Lärm- und Abgaswerte bezeichnete Versammlung an. Die Kundgebungsroute wurde in der Versammlungsanzeige wie folgt angegeben:
"Die Kundgebungsroute führt von Salzburg Messezentrum auf die A1 Westautobahn Richtung Salzburg Nord wo kurz vor Salzburg Nord auf die andere Fahrtrichtung umgedreht wird (Mittelabsperrung entfernen) und die Kundgebung in Fahrtrichtung Salzburg Süd/München führt. Bei Salzburg Flughafen wird abgefahren und in Richtung Salzburg Messe gleich wieder aufgefahren. Abfahrt Salzburg Messe und Bürgerversammlung am Messegelände. Die Versammlung erstreckt sich über alle Fahrbahnen der A1 Westautobahn von Autobahnkilometer 288 bis Autobahnkilometer 296."
2. Mit den an den Verein "fairkehr" gerichteten Bescheiden der Landespolizeidirektion Salzburg vom 10. Oktober 2012 sowie der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 16. Oktober 2013 wurde die Versammlung jeweils untersagt. Die dagegen eingebrachten Berufungen des Vereins "fairkehr" wurden mit den – nicht an den Verein "fairkehr", sondern ausschließlich an den Beschwerdeführer adressierten – Bescheiden der Landespolizeidirektion Salzburg als Berufungsbehörde vom 3. Jänner 2013 abgewiesen.
In der Begründung der angefochtenen Bescheide stellt die Landespolizeidirektion fest, dass der Veranstalter ein erhebliches, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolge, nämlich die Einhaltung von verkehrsbedingten Lärm- und Abgasgrenzwerten. Eine Verlegung auf einen anderen Veranstaltungsort hätte der Demonstration einen wesentlichen Teil ihrer Wirkung genommen und wäre eine übermäßige Beschränkung des Versammlungsrechts gewesen.
Die in den Berufungen angeführten Zweifel gegen die Zahlenangaben der
ASFINAG über die Fahrzeugfrequenz an einem vergleichbaren Sonntag im Oktober des Vorjahres (Verkehrsaufkommen von etwa 17.000 Fahrzeugen) bestünden zu Unrecht. Die tatsächliche Sperre der Westautobahn würde allerdings nicht nur vier, sondern auf Grund der notwendigen Vor- und Nachbereitungsarbeiten der Autobahnverwaltung und der Sicherheitsbehörden mindestens sechs Stunden dauern; es sei daher von einem Fahrzeugaufkommen von ca. 25.000 Fahrzeugen auszugehen. Die Anzahl würde auch durch den Hinweis auf die Verkehrsbeschränkung über Verkehrsfunk, Medien und Automobilclubs nur marginal sinken, da es sich bei der Westautobahn um eine der wichtigsten West-Ost-Transitverbindungen im EU-Raum handle, die einen hohen Anteil an fremdsprachigen Verkehrsteilnehmern aufweise; ortskundige Fahrzeuglenker würden ohnehin über den Stadtbereich ausweichen.
Zwar seien bloße Verkehrsbehinderungen durch Versammlungen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Kauf zu nehmen; hier sei jedoch nicht von einer bloßen Verkehrsbehinderung auszugehen, sondern von einer Totalsperre. Bei einer Totalsperre der Westautobahn über einen Zeitraum von sechs Stunden käme es ohne Ableitung zu einem weitreichenden Rückstau; die Fahrzeuginsassen wären für diesen Zeitraum in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Da sich darunter auch Personen mit Einschränkungen, ältere und kranke Personen, Kinder und Säuglinge befinden würden, wäre diese Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles nicht vertretbar. Rettungsorganisationen wäre es unmöglich, Einsatzorte rechtzeitig zu erreichen oder Einsatzfahrten in der gebotenen Zeit zu absolvieren. In die Rechte einer großen Anzahl von Personen, die an diesem Tag mit ihren Fahrzeugen die öffentlichen Straßen möglichst ungehindert benützen möchten, würde in unzumutbarer Weise eingegriffen werden.
Die Landespolizeidirektion kommt zum Schluss, dass die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, mehrstündige extreme Störung des Straßenverkehrs schwerwiegende Belästigungen und sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen der Allgemeinheit (zahlreicher unbeteiligter Personen) erwarten lasse, sodass auch bei voller Berücksichtigung des im öffentlichen Interesse gelegenen Zieles der angezeigten Versammlung die Interessenabwägung zu Ungunsten des Versammlungsanzeigers ausfalle. Das Auftreten von massiven Verkehrseinschränkungen sowie des totalen Verkehrsstillstandes im Stadtgebiet sei bereits im Zusammenhang mit den Unfallgeschehen vom 22. April 2009 und vom 11. Mai 2011 objektiv prognostizierbar nachgewiesen worden, wobei in diesen Fällen maximal eine Richtungsfahrbahn – nicht wie bei der angezeigten Versammlung beide Richtungsfahrbahnen – gesperrt gewesen sei; bei der angezeigten Versammlung wären hingegen beide Richtungsfahrbahnen zu sperren und wäre auch noch eine höhere Fahrzeuganzahl als bei den Unfallgeschehen zu beherrschen gewesen.
3. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG, Art11 EMRK), geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Es sei unstrittig, dass es sich bei der geplanten Versammlung um eine Veranstaltung iSd Versammlungsgesetzes handle, mit der die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Salzburg ihre Grundrechte ausüben und eine ihnen im öffentlichen Leben wichtig erscheinende Meinung zum Ausdruck bringen wollten. Die geplante öffentliche Demonstration habe den öffentlichen Zweck, auf die permanenten Grenzüberschreitungen der Lärm- und Stickstoffdioxidbelastung im gegenständlichen Veranstaltungsbereich hinzuweisen.
Auch wenn eine derartige Aktion gewöhnlich für unbeteiligte Personen bestimmte Nachteile mit sich bringe, insbesondere betreffend die Freiheit des Verkehrs, so könnten solche Einschränkungen grundsätzlich hingenommen werden, wenn damit der Zweck verfolgt werde, auf rechtmäßige Weise eine Meinung öffentlich zu äußern. Im Falle der Genehmigung wären in Zusammenarbeit mit den Behörden, der ASFINAG, den Medien und den Automobilclubs verschiedene Rahmen- und Begleitmaßnahmen getroffen worden, um die Störungen des Straßenverkehrs möglichst gering zu halten.
Da es auf der Autobahn bei Salzburg Stadt bisher noch keine lang vorher angekündigte Versammlung bzw. Demonstration gegeben habe und die von der Behörde herangezogenen Fallbeispiele ausschließlich Unfallszenarien betroffen hätten, hätte die Behörde Berichte (allenfalls aus Tirol und Oberösterreich) zu vergleichbaren Sachverhalten einholen müssen. Berichte über die Verkehrsauswirkungen von (nicht vorhersehbaren) Unfällen, die sich während der Woche zu den Stoßzeiten ereignet hätten, würden nicht den Schluss zulassen, dass die angezeigte Veranstaltung am Sonntag im Herbst, außerhalb der Hauptverkehrsreisezeit, an dem keine Messe oder sonstige Großveranstaltung im Großraum Salzburg stattgefunden hätte, zu den gleichen Verkehrsbeschränkungen geführt hätte.
Die von der Behörde vertretene Rechtsansicht, dass eine Versammlung auf einer Autobahn nicht zulässig sei bzw. dass die Güterabwägung im Ergebnis immer zu einer Untersagung führe, sodass Demonstrationen auf einer Autobahn, insbesondere in einem Ballungsraum, ausgeschlossen seien, sei mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen.
4. Die Landespolizeidirektion legte die Verwaltungsakten vor und erstattete jeweils eine (gleichlautende) Gegenschrift.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl 98/1953 idF BGBl I 50/2012, lauten wie folgt:
"§2. (1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.
(2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen. Die Anzeige unterliegt keiner Stempelgebühr.
[…]
§6. Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.
[…]
§16. Unter der in diesem Gesetz erwähnten Behörde ist in der Regel zu verstehen:
a) an Orten, die zum Gebiet einer Gemeinde gehören, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion;
b) am Sitze des Landeshauptmannes, wenn es sich dabei nicht um das Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, handelt, die Landespolizeidirektion;
c) an allen anderen Orten die Bezirksverwaltungsbehörde.
[…]
§18. Über Berufungen gegen Verfügungen der Bezirksverwaltungsbehörden und Landespolizeidirektionen, insoweit diese für das Gebiet einer Gemeinde zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz sind, entscheidet die Landespolizeidirektion in letzter Instanz. Über Berufungen gegen Verfügungen der Landespolizeidirektionen gemäß §16 litb entscheidet der Bundesminister für Inneres."
III. Erwägungen
1. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt auch dann vor, wenn ein antragsbedürftiger Bescheid von einer Behörde ohne Vorliegen eines entsprechenden Parteienantrags erlassen wird (vgl. etwa VfSlg 5163/1965, 5419/1966, 10.215/1984, 11.502/1987, 13.531/1993, 16.462/2002), etwa im Fall einer Berufungsentscheidung, der keine Berufung zugrunde liegt (vgl. Holzinger, Art83 Abs2 B-VG, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz 38 [2002] mit Hinweis u.a. auf VfSlg 6167/1970).
3. Die beabsichtigte Versammlung wurde vom Verein "fairkehr" mit Schriftsatz vom 14. September 2012 angezeigt. Der erstinstanzliche (Untersagungs-)Bescheid der Landespolizeidirektion Salzburg vom 10. Oktober 2012 erging an den Verein "fairkehr" zuhanden des Beschwerdeführers; der erstinstanzliche (Untersagungs-)Bescheid des Bezirkshauptmanns von Salzburg-Umgebung vom 16. Oktober 2012 erging an den Verein "fairkehr". Gegen diese Bescheide wurde durch den Verein "fairkehr", vertreten durch den Beschwerdeführer, mit den Schriftsätzen vom 23. und vom 25. Oktober 2012 Berufung erhoben.
4. Die Berufungsbescheide der Landespolizeidirektion vom 3. Jänner 2013 ergingen jeweils nicht an den Verein "fairkehr", sondern an den Beschwerdeführer selbst.
Es bestehen in beiden Bescheiden auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese an den Beschwerdeführer als Vertreter des Vereins "fairkehr" gerichtet wären.
5. Der Landespolizeidirektion lag somit für ihre an den Beschwerdeführer gerichteten Berufungsentscheidungen kein Berufungsantrag des Beschwerdeführers vor, sie war daher zu einer an den Beschwerdeführer adressierten Sachentscheidung nicht zuständig. Die Landespolizeidirektion hat somit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt. Vielmehr hätte sie an den Verein "fairkehr" gerichtete Entscheidungen über dessen Berufungen erlassen müssen, über die offensichtlich bisher noch nicht entschieden wurde.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Die angefochtenen Bescheide sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Versammlungsrecht, Behördenzuständigkeit, BerufungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B344.2013Zuletzt aktualisiert am
01.04.2014