TE Vfgh Erkenntnis 2014/3/6 U544/2012 ua

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Veröffentlicht am 06.03.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1, Art144a
B-VG Art151 Abs51 Z6, Z7, Z11
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012
VwGbk-ÜG §6, §7
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §34 Abs4

Leitsatz

Geltung der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vorgenommenen Änderungen des B-VG auch für bereits vor Inkrafttreten der Novelle beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren; Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und Ausweisung einer aus Tschetschenien stammenden Beschwerdeführerin und ihrer Kinder in die Russische Föderation mangels ausreichender Ermittlungen zur Situation alleinstehender Mütter unehelicher Kinder in Tschetschenien

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit ihnen damit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und sie aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen werden, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Erstbeschwerdeführerin die mit € 2.400,– sowie den Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen die mit € 2.760,– bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die aus Tschetschenien stammenden Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, wobei es sich bei der Erstbeschwerdeführerin (Beschwerde protokolliert zu U544/2012) um die Mutter der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen (Beschwerden protokolliert zu U545-547/2012) handelt. Der (mittlerweile von dieser geschiedene) Ehemann der Erstbeschwerdeführerin reiste 2005 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, wobei ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. November 2006 Asyl gewährt wurde. Die Erstbeschwerdeführerin und die gemeinsame Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, reisten 2007 in das österreichische Bundesgebiet ein, stützten sich auf das Fluchtvorbringen des Ehemannes bzw. Vaters und erhielten – ebenso wie die im Jahr 2008 geborene Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, sowie das im Jahr 2010 geborene uneheliche Kind der Erstbeschwerdeführerin, die Viertbeschwerdeführerin, – im Rahmen des Familienverfahrens Asyl. Ebenfalls im Jahr 2008 wurde die Ehe geschieden. In der Folge heiratete der Ex-Ehemann der Erstbeschwerdeführerin erneut und wurde im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Asylbescheid seiner neuen Ehefrau als Zeuge einvernommen. Im Rahmen dessen verwickelte sich der Ex-Ehemann der Erstbeschwerdeführerin dermaßen in Widersprüche, dass sowohl sein Asylverfahren als auch jene der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Kinder, der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen, jeweils gemäß §69 Abs1 Z1 iVm Abs3 AVG amtswegig wiederaufgenommen wurden. In der Folge wurden dem Ex-Ehemann sowie den Beschwerdeführerinnen mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2011 gemäß §3 Abs1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, der Asylstatus aberkannt, der subsidiäre Schutz gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht zuerkannt und gemäß §10 Abs1 AsylG 2005 über den Ex-Ehemann sowie über alle Beschwerdeführerinnen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation verfügt.

2. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit den jeweils angefochtenen Entscheidungen vom 25. Jänner 2012 gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 ab. In den gleichartigen Entscheidungen führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, dass der Ex-Ehemann im Zuge seines ersten Asylverfahrens objektiv unrichtige Angaben in Irreführungsabsicht zur Erzielung eines Vorteils getätigt habe, sodass "Erschleichung" iSd §69 Abs1 Z1 AVG vorliege. Das Bundesasylamt habe daher auch die Verfahren der Beschwerdeführerinnen – deren "Asylzuerkennung […] in einem deutlich abgekürzten Verfahren […] erfolgte, in welchem vordergründig die Frage der Familieneigenschaft geprüft [worden sei]" – zu Recht von Amts wegen wiederaufgenommen.

2.1. Zur Asylabweisung führt der Asylgerichtshof aus, dass sich das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin mangels schlüssiger Schilderungen sowie wegen zahlreicher Ungereimtheiten und Widersprüche (auch in Zusammenschau mit dem Vorbringen ihres Ex-Ehemannes) als unglaubwürdig erwiesen habe. Es sei daher davon auszugehen, dass weder der Erstbeschwerdeführerin noch ihren Kindern, den Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen, in ihrem Herkunftsland eine asylrelevante Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Vor dem Hintergrund der Arbeitsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin sowie des im Herkunftsstaat vorhandenen sozialen und familiären Rückhalts – die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder könnten in Tschetschenien die Unterstützung ihrer Eltern in Anspruch nehmen – seien keine Umstände ersichtlich, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art3 EMRK darstellen könnten.

2.2. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der Asylgerichtshof fest, dass angesichts mangelnder besonderer Integrationsaspekte sowie angesichts der Tatsache, dass die gesamte Familie von einer Ausweisung betroffen sei und die Beschwerdeführerinnen nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügten, keine Verletzung des Art8 EMRK festgestellt werden könne.

3. Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden – zum Einbringungszeitpunkt auf Art144a B-VG gestützten – Beschwerden, in denen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie auf ein Familien- und Privatleben iSd Art8 EMRK geltend gemacht werden.

3.1. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Erstbeschwerdeführerin sei mittlerweile alleinerziehende Mutter und habe außer ihren zwei – aus ihrer geschiedenen Ehe stammenden – Töchtern (die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen) ein außereheliches Kind (die Viertbeschwerdeführerin). Dieser Umstand sei in Tschetschenien als Schande zu betrachten, sodass sie bei einer allfälligen Rückkehr nicht nur diskriminiert werden würde, sondern auch ihr Leben in Gefahr wäre.

3.2. Weiters brachten die Beschwerdeführerinnen vor, dass der Asylgerichtshof im Rahmen der Interessenabwägung iSv Art8 EMRK eine falsche Gewichtung der vorliegenden Integrationsaspekte vorgenommen habe und daher zu einem unrichtigen Ergebnis gekommen sei. Eine Verletzung von Art8 EMRK liege auch deshalb vor, weil die Ausweisungsentscheidungen betreffend die Erstbeschwerdeführerin, ihre Kinder (die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen) sowie den Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen in getrennten Beschwerdeverfahren beurteilt würden und diese unterschiedlich ausgehen könnten, was womöglich eine Trennung der Familie zur Folge haben könnte.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete eine Gegenschrift, in welcher er im Wesentlichen seine Entscheidungsgründe bekräftigt und beantragt die Abweisung der Beschwerden.

5. Die Erstbeschwerdeführerin antwortete auf die Gegenschrift des Asylgerichtshofes mit einer Replik, auf welche der Asylgerichtshof mit einer "Gegendarstellung zur Replik" – einer Duplik – reagierte. In den jeweiligen Schriftsätzen verteidigen bzw. bekräftigen die Erstbeschwerdeführerin und der Asylgerichtshof ihre bereits in der Beschwerde bzw. angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommenden Standpunkte.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Mit 1. Jänner 2014 sind gemäß Art151 Abs51 Z6 B-VG die mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, vorgenommenen Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt ist Art144 B-VG idF der genannten Novelle (alle Bestimmungen des B-VG in der Fassung dieser Novelle werden im Folgenden mit dem Zusatz "nF" bezeichnet) anzuwenden, ist Art144a B-VG idF BGBl I 2/2008 (alle Bestimmungen des B-VG idF vor der Novelle BGBl I 51/2012 werden mit dem Zusatz "aF" versehen) außer Kraft getreten und sind die Übergangsbestimmungen des Art151 Abs51 B-VG nF anzuwenden. Es ist daher zunächst zu klären, ob im vorliegenden Beschwerdefall nach diesen Übergangsbestimmungen Art144a B-VG aF oder Art144 B-VG nF anzuwenden ist.

2. Gemäß Art151 Abs51 Z7 B-VG nF wird mit 1. Jänner 2014 der Asylgerichtshof zum Verwaltungsgericht des Bundes. Im Übrigen enthält das B-VG selbst keine näheren Vorschriften, welche Bestimmungen der Verfassungsgerichtshof für bereits anhängige Verfahren anzuwenden hat, allerdings sieht Art151 Abs51 Z11 B-VG nF vor, dass die näheren Bestimmungen über den Zuständigkeitsübergang durch Bundesgesetz getroffen werden.

Solche Vorschriften wurden mit dem Bundesgesetz betreffend den Übergang zur zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz – VwGbk-ÜG), BGBl I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, erlassen. Auch dieses Bundesgesetz enthält keine ausdrücklichen Vorschriften darüber, ob auf bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren die mittlerweile in Kraft getretenen Vorschriften des B-VG oder weiterhin die alten Vorschriften anzuwenden sind. Die §§6 und 7 VwGbk-ÜG enthalten (mit Ausnahme des §6 Abs4 leg.cit.) – auf das Wesentliche zusammengefasst – Regeln für jene Fälle, in denen bei vor Ablauf des 31. Dezember 2013 erlassenen Bescheiden (wobei für die Beurteilung der Erlassung eines Bescheides §2 leg.cit. maßgeblich ist) die nach den Art144 B-VG aF und 144a B-VG aF vorgesehene Beschwerdefrist am 31. Dezember 2013 noch offen ist, und sieht für diese im Gleichklang für beide Verfahren vor, dass solche als Beschwerden nach Art144 B-VG nF gelten.

Nach den §§6 Abs1 Satz 2 und 7 Abs1 Satz 2 VwGbk-ÜG gilt selbst dann, wenn gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde bzw. eine Entscheidung des Asylgerichtshofes schon vor Ablauf des 31. Dezember 2013 Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben wurde und die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch läuft, die Beschwerde als Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG nF (vgl. auch Faber, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Kommentar, 2013, Art151 Abs51 B-VG, Rz 54).

Aus dieser Anordnung ergibt sich zwar noch nicht zwangsläufig, dass auch andere früher anhängig gewordene Beschwerden gemäß Art144 B-VG aF bzw. Art144a B-VG aF als solche gemäß Art144 B-VG nF gelten, bezieht sich doch diese Übergangsvorschrift nur auf die im Zeitraum der Beschwerdefrist von sechs Wochen vor dem 1. Jänner 2014 erhobenen Beschwerden, für die Art144 B-VG nF gelten soll, obwohl Art144 B-VG nF erst am 1. Jänner 2014 in Kraft tritt. Wohl lässt sich daraus aber – wie auch aus den in der Folge dargelegten Bestimmungen (§6 Abs4 und §8 VwGbk-ÜG) – eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers ablesen, die neue Verfassungslage nicht nur auf ab dem 1. Jänner 2014 angefallene Beschwerdesachen angewendet wissen zu wollen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes allgemein davon auszugehen, dass beim Fehlen von Übergangsvorschriften neue Verfahrensvorschriften auch auf Rechtssachen Anwendung finden, die beim Inkrafttreten bereits anhängig sind (vgl. VfSlg  11.500/1987, S 350 und 13.705/1994, S 176; siehe auch VfSlg 12.644/1991 und 12.657/1991; für das Verfahren vor dem VwGH s. Sutter, Ablehnungsrecht und Sachentscheidung – neue Entscheidungsbefugnisse für den VwGH, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, 199 [203], und die von ihm dargestellte Rechtsprechung des VwGH zu Art131 Abs3 B-VG idF BGBl I 51/2012; ebenso Faber, aaO, Art151 Abs51 B-VG, Rz 51, für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof).

3. Dass der Gesetzgeber von diesem allgemeinen Grundsatz und dementsprechend von einer Geltung der neuen Verfassungslage auch für bereits am 1. Jänner 2014 anhängige Verfahren gemäß Art144 Abs1 B-VG aF ausging, zeigt §6 Abs4 VwGbk-ÜG deutlich: Nach dieser Vorschrift ist die Abtretung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig, wenn es sich um einen Fall handelt, der gemäß der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift wäre überflüssig, wenn ohnedies Art144 B-VG aF weiter gälte, weil Art144 Abs3 B-VG aF ausdrücklich den Fall von der Abtretung ausschließt, der nach Art133 B-VG aF von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift findet daher nur darin ihre Erklärung, dass der Gesetzgeber von einer Anwendbarkeit des Art144 B-VG nF ausgeht, der für die Zukunft – entsprechend dem System der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit – keine solche Schranke der Abtretbarkeit mehr vorsieht. Dies unabhängig davon, ob man §6 Abs4 VwGbk-ÜG als allgemeine Vorschrift oder nur als ergänzende Vorschrift für den Übergangsbereich sieht.

§7 VwGbk-ÜG enthält für Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes gemäß Art144a B-VG aF wörtlich gleiche Regelungen wie §6 leg.cit. für Beschwerden gegen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden gemäß Art144 B-VG aF, sodass davon auszugehen ist, dass auch für solche Beschwerdeverfahren Art144 B-VG nF gilt.

4. §8 VwGbk-ÜG bestätigt dieses Ergebnis: Nach dieser Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof (nur) dann, wenn ihm der Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren gemäß Art144 Abs1 B-VG aF eine Beschwerde bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß Art144 Abs3  B-VG aF abgetreten hat, die für ihn nach der alten Rechtslage geltenden Vorschriften des B-VG und des VwGG anzuwenden. Auf nach dem 31. Dezember 2013 abgetretene Beschwerden sind hingegen die Vorschriften des B-VG und des VwGG in der neuen Fassung anzuwenden, und zwar auch dann, wenn die Beschwerde noch nach Art144 B-VG aF eingebracht wurde. Dies hat offenkundig seinen Grund darin, dass ab 1. Jänner 2014 eine solche Beschwerde als eine nach Art144  B-VG nF gilt.

5. Auf den vorliegenden Beschwerdefall ist daher Art144 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung anzuwenden.

III. Erwägungen

Die Beschwerden sind zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wenden, sind sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Der Asylgerichtshof stützt seine Entscheidung zwar auf die vom Bundesasylamt herangezogenen aktuellen Länderberichte und berücksichtigt die persönliche Situation der Erstbeschwerdeführerin: Einerseits geht er auf das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Situation als alleinstehende Mutter eines unehelichen Kindes und die dadurch bedingte Furcht um ihr Leben bei der Wiedergabe des Sachverhaltes ein (S 18 der die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Entscheidung), andererseits würdigt der Asylgerichtshof dieses Vorbringen im Rahmen der Refoulement-Prüfung (S 36 der die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Entscheidung); insofern ist die Beschwerdebehauptung, der Asylgerichtshof lasse die Situation der Erstbeschwerdeführerin "völlig außer Acht" unrichtig. Der Asylgerichtshof kommt dabei allerdings zu dem Schluss, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern, den Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen, in Tschetschenien die Unterstützung ihrer Eltern (auf die sie nach den Länderberichten angewiesen ist) in Anspruch nehmen könne, wie sie dies bereits vor ihrer Ausreise nach Europa getan habe.

2.2. Dem widersprechen jedoch die dezidierten Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, dass sie dies als nunmehrige alleinstehende Mutter sowie als Mutter eines unehelichen Kindes nicht mehr tun könne, da dies auch von der Familie als Schande betrachtet werde. Auf diese Behauptungen geht der Asylgerichtshof nicht im Einzelnen ein, er tut sie lediglich mit einem allgemeinen Hinweis auf die Länderberichte ab. Diese sind aber deswegen nicht aussagekräftig, weil sie zur Situation von alleinstehenden Müttern unehelicher Kinder in Tschetschenien schweigen.

2.3. Der Asylgerichtshof wäre daher verpflichtet gewesen, hiezu nähere Ermittlungen (zB über Verbindungsbeamte oder Vertrauensanwälte) anzustellen.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass die Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen durch (s. VfSlg 19.671/2012); daher sind auch diese im selben Umfang – wie jene betreffend die Erstbeschwerdeführerin – aufzuheben.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden, soweit sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen hinsichtlich der Wiederaufnahme des Asylverfahrens gemäß §69 Abs1 Z1 iVm Abs3 AVG sowie der Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehren, abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die behaupteten Rechtsverletzungen wären zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung dieser Fragen nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerinnen sind somit durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit ihnen damit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und sie aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen werden, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diese Spruchpunkte betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerden abgesehen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten betreffend die Erstbeschwerdeführerin (Beschwerde protokolliert zu U544/2012) ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten. Bei den zugesprochenen Kosten betreffend die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen ist zu beachten, dass eine Beschwerde für insgesamt drei Beschwerdeführerinnen zu drei gleichartigen Entscheidungen des Asylgerichtshofes (protokolliert zu U545-547/2012) eingebracht wurde. Hiefür gebührt insgesamt ein Pauschalsatz in Höhe von € 2.000,–. Ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 300,– ist zusätzlich zu gewähren (vgl. u.a. VfSlg 14.788/1997). Im Gesamtbetrag der zu ersetzenden Kosten ist weiters Umsatzsteuer in der Höhe von € 460,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Übergangsbestimmung, Novellierung, Ermittlungsverfahren, Ausweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U544.2012

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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