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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art144 Abs1, Art144aLeitsatz
Geltung der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vorgenommenen Änderungen des B-VG auch für bereits vor Inkrafttreten der Novelle beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren; Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und Ausweisung einer aus Tschetschenien stammenden Beschwerdeführerin und ihrer Kinder in die Russische Föderation mangels ausreichender Ermittlungen zur Situation alleinstehender Mütter unehelicher Kinder in TschetschenienRechtssatz
Inkrafttreten der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, vorgenommenen Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes gemäß Art151 Abs51 Z6 B-VG mit 01.01.2014.
Gemäß Art151 Abs51 Z7 B-VG nF wird mit 01.01.2014 der AsylGH zum Verwaltungsgericht des Bundes. Im Übrigen enthält das B-VG selbst keine näheren Vorschriften, welche Bestimmungen der VfGH für bereits anhängige Verfahren anzuwenden hat, allerdings sieht Art151 Abs51 Z11 B-VG nF vor, dass die näheren Bestimmungen über den Zuständigkeitsübergang durch Bundesgesetz getroffen werden.
Solche Vorschriften wurden mit dem Bundesgesetz betreffend den Übergang zur zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG), BGBl I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, erlassen.
Aus §6 Abs1 Satz 2 und §7 Abs1 Satz 2 VwGbk-ÜG lässt sich - wie auch aus §6 Abs4 und §8 VwGbk-ÜG - eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers ablesen, die neue Verfassungslage nicht nur auf ab dem 01.01.2014 angefallene Beschwerdesachen angewendet wissen zu wollen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des VfGH allgemein davon auszugehen, dass beim Fehlen von Übergangsvorschriften neue Verfahrensvorschriften auch auf Rechtssachen Anwendung finden, die beim Inkrafttreten bereits anhängig sind.
Auf den vorliegenden Beschwerdefall ist daher Art144 B-VG in der mit 01.01.2014 in Kraft getretenen Fassung anzuwenden.
Der AsylGH kommt in seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern, den Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen, in Tschetschenien die Unterstützung ihrer Eltern (auf die sie nach den Länderberichten angewiesen ist) in Anspruch nehmen könne, wie sie dies bereits vor ihrer Ausreise nach Europa getan habe.
Dem widersprechen jedoch die dezidierten Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, dass sie dies als nunmehrige alleinstehende Mutter sowie als Mutter eines unehelichen Kindes nicht mehr tun könne, da dies auch von der Familie als Schande betrachtet werde. Auf diese Behauptungen geht der AsylGH nicht im Einzelnen ein, er tut sie lediglich mit einem allgemeinen Hinweis auf die Länderberichte ab. Diese sind aber deswegen nicht aussagekräftig, weil sie zur Situation von alleinstehenden Müttern unehelicher Kinder in Tschetschenien schweigen.
Der AsylGH wäre daher verpflichtet gewesen, hiezu nähere Ermittlungen (zB über Verbindungsbeamte oder Vertrauensanwälte) anzustellen.
Dieser Mangel (Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt) schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen durch; daher sind auch diese im selben Umfang - wie jene betreffend die Erstbeschwerdeführerin - aufzuheben.
Im Übrigen Ablehnung der Beschwerden.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Übergangsbestimmung, Novellierung, Ermittlungsverfahren, AusweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:U544.2012Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015