Index
E3R E19101000;Norm
32006R0562 Schengener Grenzkodex Art20;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Maga. Schweda, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 9. Oktober 2012, Zl. UVS 20.3-10/2012-24, betreffend Maßnahmenbeschwerde nach SPG (mitbeteiligte Partei: S S Bakk. Techn. in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte (im Folgenden: M) erhob bei der belangten Behörde am 28. März 2012 eine (ausdrücklich so bezeichnete) Maßnahmenbeschwerde.
M beantragte in ihrer Maßnahmenbeschwerde, "den angefochtenen Verwaltungsakt", dass sie am 12. März 2012 im Zug ÖBB Railjet von
G nach W (beim Durchfahren der Ortschaft Gr) einer "erkennungsdienstlichen Behandlung bzw. Identitätsfeststellung" durch zwei Polizeibeamten unterzogen worden sei, für rechtswidrig zu erklären. Diese Identitätsfeststellung sei in einem gut gefüllten Zugabteil bei ihr als einziger Person durchgeführt worden. Sie habe ihren österreichischen Führerschein vorgewiesen und sei gefragt worden, ob sie österreichische Staatsbürgerin sei. Einer der einschreitenden Beamten habe sich ausgewiesen, eine Dienstnummer sei ihr nicht bekannt gegeben worden. Über ihre Frage, warum sie als einzige Person kontrolliert werde, sei ihr geantwortet worden, sie wäre die erste Person, die die Beamten gesehen hätten. Der bekämpfte Verwaltungsakt verletze sie - da sie "ethnisch-indischer Herkunft" sei - im Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot sowie in Rechten des § 31 Abs. 2 Z. 2 und Z. 5 SPG.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Oktober 2012 hat die belangte Behörde - nach Durchführung von öffentlichen mündlichen Verhandlungen - auf Grundlage der "§§ 2, 35 Abs 1 Z 7, Abs 2 und 3, 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG)" entschieden, dass die Identitätskontrolle bei M am 12. März 2012 um ca. 10.40 Uhr im Zug ÖBB Nr. R im Raum Gr durch ein Organ der "Polizeiinspektion S AGM" rechtswidrig war.
Begründend führte die belangte Behörde - nach Darstellung des Verfahrensverlaufs - aus, M sei österreichische Staatsbürgerin und von "ethnisch-indischer Herkunft". Sie sei am 12. März 2012 mit dem Zug ÖBB Nr. R von G nach B gefahren und habe nach W reisen wollen. Nach einer Fahrt von ca. 15 Minuten hätten zwei Polizeibeamte in Zivil das ausreichend besetzte offene Zugabteil betreten. Diese Polizeibeamten seien der Polizeiinspektion "S AGM" zugehörig gewesen; die Beamten hätten einen sicherheitspolizeilichen Streifendienst mit "AGM-Kontrollen in Zügen" durchgeführt; Aufgabe der Beamten sei es gewesen, stichprobenartig Personenkontrollen durchzuführen. M sei die erste Person gewesen, die in dem Zugabteil kontrolliert wurde. Als M nach Aufforderung ihren Führerschein vorzeigte, habe ein anderer Fahrgast unaufgefordert seinen Ausweis herausgeholt und gefragt, ob er sich ausweisen solle. Von den Polizeibeamten sei dies verneint worden. Auf Frage, warum sie kontrolliert werde, sei M (von einem Beamten) geantwortet worden, dass sie die erste Person gewesen sei, die er (der Beamte) gesehen habe. Den ausgefolgten Führerschein habe der Polizeibeamte angesehen und M mit den Worten zurückgegeben, dass sie "eh österreichische Staatsbürgerin sei"; die Polizisten hätten sich (bei M) bedankt. Während der Amtshandlung habe M nicht nach einer Dienstnummer gefragt.
In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, die Polizeibeamten seien im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen (AGM) des Schengener Grenzkodex tätig gewesen; ihr Auftrag sei es gewesen, sicherheitspolizeiliche, kriminalpolizeiliche und fremdenpolizeiliche Kontrollen durchzuführen. Die Amtshandlung sei im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG der Fremdenpolizei und somit der Sicherheitsverwaltung zuzuordnen. Darauf, ob die Identitätsprüfung als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren wäre, sei nicht einzugehen, weil sie "jedenfalls unter § 88 Abs. 1 oder Abs. 2 SPG zu subsumieren ist".
Der von M benützte Zug sei dem internationalen Durchzugsverkehr zuzurechnen; er diene oftmals als Anschlusszug für Züge von der Staatsgrenze. Die Argumentation der Behörde (damit gemeint: Sicherheitsdirektion Steiermark) sei daher nachvollziehbar, "wenn sie hier Kontrollmaßnahmen setzt, die nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zur Behinderung und Bekämpfung spezifischer kriminalpolizeilicher, fremdenpolizeilicher und sonstiger verwaltungspolizeilicher Delikte aufgrund eines begründeten Verdachts oder stichprobenartig in der Reaktion auf lagebedingte Entwicklungen durchführt". Da (nach der näher dargelegten Begründung) keine relevanten "Umstände" vorgelegen hätten, die im Sinne des § 35 Abs. 1 Z. 7 SPG eine Identitätsfeststellung indizierten, sei die Amtshandlung rechtswidrig. Jede andere Interpretation (des § 35 Abs. 1 Z. 7 SPG) würde entweder zu einer "allgemeinen Ausweispflicht" führen oder zu diskriminierenden Vorgangsweise wegen ethnischer Herkunft (insbesondere bei österreichischen Staatsbürgern mit Immigrationshintergrund). Auf Grund der (nach dem Sachverhalt festgestellten) Eingriffsintensität sei - entgegen der Ansicht von M - noch keine Grundrechtsverletzung erfolgt. M sei aber in ihrem Recht, sich nicht ohne besonderen Anlass ausweisen zu müssen, verletzt worden, da in Österreich keine allgemeine Ausweispflicht bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 91 Abs. 1 Z. 1 SPG gestützte Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen. M erstattete auch eine Gegenschrift, in der sie beantragt, ihr Schriftsatzaufwand in voller Höhe zuzuerkennen, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen, in eventu die Amtsbeschwerde wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Amtsbeschwerde macht geltend, die belangte Behörde habe die Rechtswidrigkeit der (in Beschwerde gezogenen) Amtshandlung ausschließlich nach Z. 7 des § 35 Abs. 1 SPG geprüft. Die stichprobenartig durchgeführten Kontrollen seien aber im Sinne der Z. 6 des § 35 Abs. 1 SPG auf Personen gerichtet gewesen, bei denen nach den Umständen anzunehmen gewesen sei, dass sie im Zuge einer noch andauernden Reisebewegung die Binnengrenze bereits überschritten haben oder überschreiten werden. Die gegenständliche "AGM-Kontrolle" (AGM stehe für Ausgleichsmaßnahmen) sei auch deshalb erfolgt, weil die (von M benützte) Zugsverbindung im gegebenen Konnex als eine im internationalen Durchzugsverkehr befindliche Verbindung qualifiziert werden könne, deren sich Menschen zum Zwecke einer grenzüberschreitenden Bahn- bzw. Durchreise durch Österreich bedienen würden. Die belangte Behörde hätte die Rechtmäßigkeit der Kontrolle nach § 35 Abs. 1 Z. 6 SPG prüfen müssen.
Die Amtsbeschwerde ist berechtigt.
Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG in Verbindung mit § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.
§ 88 Abs. 1 und 2 SPG (BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 104/2002) lautet:
"(1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG).
(2) Außerdem erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist."
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen "Maßnahme" bzw. Amtshandlung hat die belangte Behörde sich nicht auf die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten (einfachgesetzlich oder verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechte oder die vorgebrachten Gründe zu beschränken, sondern das in Beschwerde gezogene Verwaltungsgeschehen umfassend auf seine Rechtswidrigkeit zu überprüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 2004, Zl. 2002/01/0542, mwN; sowie zur Qualifikation einer "Maßnahme" als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt das hg. Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2007/21/0322). In gleicher Weise hat die Behörde die Gründe für die Rechtmäßigkeit der "Maßnahme" bzw. Amtshandlung umfassend zu prüfen.
Die Amtsbeschwerde verweist in diesem Zusammenhang auf § 35 Abs. 1 Z. 6 SPG.
Wie sich aus den Materialien zur Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 1999 (20. GP, RV 1479, Seite 16) ergibt, "dienen die Regelungen der §§ 35 Abs. 1 Z. 6 und Z. 7 und 39 Abs. 4 SPG als Ausgleichsmaßnahme zum Verzicht auf Grenzkontrollen an den Binnengrenzen des Schengener Raums infolge des Beitritts Österreichs zum Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl. III Nr. 90/1997, und ergänzen die Grundlagen für die sogenannte 'Schleierfahndung', die bereits nach geltendem Recht gemäß § 35 Abs. 1 Z. 6 SPG zulässig ist. Die Regelungen sollen den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit bieten, vorübergehend durch planmäßige Kontrollen im Bereich des internationalen Reiseverkehrs auf bestimmte Kriminalitätsentwicklungen zu reagieren. Dies wird vielfach in Koordination mit den Sicherheitsbehörden anderer Mitgliedstaaten des SDÜ erfolgen. Um derartige Kontrollen wirksam zu gestalten, muss die bereits seit der Erlassung des Polizeikooperationsgesetzes bestehende Befugnis zur Identitätsfeststellung gemäß § 35 Abs. 1 Z. 6 SPG auch auf ausreisende Personen ausgedehnt werden. Die Befugnisse in § 35 Abs. 1 Z. 7 und § 39 Abs. 4 SPG sollen die Sicherheitsbehörden überdies in die Lage versetzen, durch Kontrollen von Menschen und Transportmitteln ihre Erkenntnisse und Situationsanalysen (Lageberichte) über bestimmte Formen der internationalen Kriminalität dazu zu verwenden, dieser entgegenzuwirken".
Der EuGH hat zu der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) im Urteil vom 19. Juli 2012 in der Rechtssache C-278/12, über Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State im Verfahren Atiqullah Adil gegen Minister voor Immigratie, Integratie en Asiel (RZ 48 bis 54) folgendes festgestellt:
"48 Gemäß Art. 67 Abs. 2 AUEV in dessen Titel V ('Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts') stellt die Union sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Nach Art. 77 Abs. 1 Buchst. a AEUV entwickelt die Union eine Politik, mit der sichergestellt werden soll, dass Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden.
49 Laut dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 562/2006 ist die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen Teil des Ziels der Union nach Art. 26 AEUV, einen Raum ohne Binnengrenzen aufzubauen, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist.
50 Der Unionsgesetzgeber hat dieses Teilziel des Fehlens von Kontrollen an den Binnengrenzen dadurch umgesetzt, dass er gemäß Art. 62 EG, jetzt Art. 77 AEUV, die Verordnung Nr. 562/2006 erlassen hat, die laut ihrem 22. Erwägungsgrund den Schengen-Besitzstand ergänzt. Diese Verordnung enthält in ihrem Titel III eine Gemeinschaftsregelung für das Überschreiten der Binnengrenzen.
51 Nach Art. 20 der Verordnung Nr. 562/2006 dürfen die Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Nach Art. 2 Nr. 10 der Verordnung bezeichnet der Ausdruck "Grenzübertrittskontrollen" die Kontrollen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen.
52 Gemäß Art. 72 AEUV berührt dessen Titel V nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.
53 Insoweit bestimmt Art. 21 Buchst. a der Verordnung Nr. 562/2006, dass die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen nicht die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts berührt, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat; dies gilt auch in Grenzgebieten.
54 Nach dieser Bestimmung der Verordnung Nr. 562/2006 darf die Ausübung der polizeilichen Befugnisse insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen keine Grenzkontrollen zum Ziel haben, auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen, in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet, und auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden."
Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats sind nach Art. 21 Buchst. a somit nur dann untersagt, wenn sie die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben (vgl. insoweit auch das Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 22. Juni 2010 in den verbundenen Rechtssachen C-188/10 und C-189/10, Cour de cassation gegen Aziz Melki und Selim Abdeli, RdNr. 66 bis 69).
Die belangte Behörde hat festgestellt, der von M benützte Zug sei dem internationalen Durchzugsverkehr zuzurechnen; er diene oftmals als Anschlusszug für Züge von der Staatsgrenze. Die Argumentation der Behörde (damit gemeint: Sicherheitsdirektion Steiermark) sei daher nachvollziehbar, "wenn sie hier Kontrollmaßnahmen setzt, die nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zur Behinderung und Bekämpfung spezifischer kriminalpolizeilicher, fremdenpolizeilicher und sonstiger verwaltungspolizeilicher Delikte aufgrund eines begründeten Verdachts oder stichprobenartig in der Reaktion auf lagebedingte Entwicklungen durchführt".
Insoweit M geltend machte, sie sei als einzige Person im Zugabteil kontrolliert worden bzw. die Auswahl ihrer Person sei als ethnische Diskriminierung inakzeptabel, ist zu erwidern, dass damit aber dargetan wurde, dass die Durchführung der Kontrolle die Art. 20 und 21 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 nicht verletzte und keine innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats untersagte Kontrolle, die die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben, vorgelegen hat (vgl. insoweit das genannte Urteil des EuGH vom 22. Juni 2010, Rd Nr. 70 und 74).
Übereinstimmend mit diesem Vorbringen hat die belangte Behörde festgestellt, dass das Ersuchen an M, einen Ausweis vorzuzeigen, im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen des Schengener Grenzkodex erfolgte. Wie die belangte Behörde auf Grund der als zutreffend erachteten Aussage von "GI N" ihrer Entscheidung auch zu Grunde legte, führten die Beamten stichprobenartig sicherheitspolizeiliche, kriminalpolizeiliche und fremdenpolizeiliche Kontrollen auf einer internationalen Durchzugsroute (Fern- bzw. Transitzüge) durch, wobei die Auswahl der kontrollierten Personen nach einem "Lagebild, das wöchentlich vom Bundeskriminalamt herausgegeben wird", erfolgte.
Bei der Beurteilung der in Beschwerde gezogenen Amtshandlung hat die belangte Behörde außer Acht gelassen, dass die Regelung des § 35 Abs. 1 Z. 6 SPG vor dem Hintergrund der Anforderungen des Unionsrechts und der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Art. 20 und 21 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) dahin auszulegen ist, dass keine systemisch, die Identität jeder Person erfassende Kontrolle durchgeführt werden darf, jedoch Kontrollen, um zu überprüfen, ob die zur Kontrolle angehaltenen Personen die in diesen Mitgliedstaat geltenden Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt erfüllen, wenn diese Kontrollen auf allgemeinen Informationen und Erfahrungen im Zusammenhang mit dem illegalen Aufenthalt von Personen an den Orten der Kontrollen beruhen, wenn sie in begrenztem Umfang auch zu dem Zweck durchgeführt werden, solche allgemeinen Informationen und Daten über die Erfahrung in diesem Bereich zu erlangen, und wenn ihre Durchführung bestimmten Beschränkungen insbesondere hinsichtlich ihrer Intensität und Häufigkeit unterliegt (vgl. den Tenor des genannten Urteils des EuGH vom 19. Juli 2012 in der Rechtssache C-278/12). Insoweit greift die Auffassung der belangten Behörde, es bestehe in Österreich keine allgemeine Ausweispflicht und daher das Recht, sich nicht ausweisen zu müssen, zu kurz.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG (idF BGBl. I Nr. 51/2012) aufzuheben.
Wien, am 25. Februar 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012010149.X00Im RIS seit
28.03.2014Zuletzt aktualisiert am
26.06.2014