TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/18 98/08/0003

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Veröffentlicht am 18.10.2000
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Günter Blecha, Rechtsanwalt in Wien VIII, Auerspergstraße 7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 14. Oktober 1997, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe gemäß §§ 10 und 38 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 3. Juni 1997 nahm die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft Wien mit dem im Bezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführer eine Niederschrift über das Nichtzustandekommen der Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme ab dem 12. Mai 1997 auf. Der Beschwerdeführer gab an, er sei bis 29. April 1997 im Krankenstand gewesen und habe daher am "Info-Tag" (28. bis 29. April 1997) nicht teilnehmen können. Danach habe ihm niemand gesagt, dass er "hingehen sollte".

Mit Bescheid vom 24. Juni 1997 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste Wien aus, der Beschwerdeführer habe den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 12. Mai 1997 bis zum 6. Juli 1997 verloren und eine Nachsicht werde nicht erteilt. Diese Entscheidung gründete sich auf folgenden als erwiesen angenommenen Sachverhalt:

"Die vom Arbeitsmarktservice angebotene

Schulungsmaßnahme SODA-BO und Arbeitsplatzsuche ist durch Ihr Verschulden nicht zu Stande gekommen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht liegen nicht vor."

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, er habe nie vom Arbeitsmarktservice eine Verständigung erhalten, dass er diese oder eine andere Schulungs- bzw. Wiedereingliederungsmaßnahme besuchen solle. Auch eine Verständigung von einem Termin für ein diesbezügliches Informationsgespräch habe er nie erhalten. Erst anlässlich eines Gespräches mit dem zuständigen Sachbearbeiter beim Arbeitsmarktservice habe er erfahren, dass angeblich ein Brief an ihn geschickt worden sei zwecks Besuches einer Wiedereingliederungsmaßnahme. Den Brief habe er jedoch nie erhalten.

Zu diesem Vorbringen nahm die belangte Behörde am 30. Juli 1997 eine Niederschrift mit dem Beschwerdeführer auf. Der Beschwerdeführer betonte nochmals, dass er kein "Einladungsschreiben" für den Kurs erhalten habe. Er sei bis 29. April 1997 im Krankenstand und danach jede Woche einmal beim Arbeitsmarktservice gewesen. Seine zuständige Beraterin sei aber krank und der Beschwerdeführer daher jeweils bei einer Vertretung gewesen. Keiner dieser Mitarbeiter habe ihn über den Kurs informiert. Erst als seine zuständige Beraterin wieder zurück gewesen sei, habe er erstmals davon erfahren, dass er sich am 12. Mai 1997 zu einer Schulungsmaßnahme hätte einfinden sollen. Wenn ihm vorgehalten werde, er habe laut "Eintragung im PST" vom 3. Juni 1997 angegeben, sehr wohl von der Kursmaßnahme gewusst zu haben, so gebe er an, dass das nicht stimme. Die Eintragung sei unrichtig. Er habe erstmals am 3. Juni 1997 anlässlich der gemäß § 10 AlVG aufgenommenen Niederschrift von der Schulungsmaßnahme erfahren. Den Krankenentgeltszettel habe er deswegen nicht sofort nach Beendigung seines Krankenstandes gebracht, weil er auf die Zusendung des Zettels durch die Gebietskrankenkasse habe warten müssen. Wie es zum "Eintrag im PST" vom 22. Mai 1995 (gemeint wohl: 1997) gekommen sei, könne er sich nicht erklären.

Nach der erwähnten Eintragung im "PST" vom 3. Juni 1997 - es handelt sich dabei um einen automationsunterstützt angelegten Vermerk über die Vorsprache des Beschwerdeführers, bei der die Niederschrift über seine Nichtteilnahme an der Maßnahme aufgenommen wurde - soll der Beschwerdeführer zugegeben haben, "es gewusst + ELS" (gemeint offenbar: Einladungsschreiben) "post. bekommen zu haben". Er soll dieser Eintragung zufolge aber den Standpunkt vertreten haben, "dass man ihn erinnern hätte sollen".

Am 22. Mai 1997 wurde im "PST" festgehalten, laut telefonischer Mitteilung der Wiener Gebietskrankenkasse sei der Beschwerdeführer "tatsächlich" bis 29. April 1997 im Krankenstand gewesen, weshalb "BU" (offenbar: Bezugsunterbrechung) veranlasst worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich bis jetzt allerdings noch nicht bei der Bezirksstelle gemeldet. Ab 12. Mai 1997 sei mit ihm "SODA-Maßnahme vereinbart" gewesen. "ELS" (Einladungsschreiben) habe er bereits erhalten, "daher BE" (offenbar: Bezugseinstellung) und "§ 10 mit 12.5.97".

Mit diesen Eintragungen stehen frühere - dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde nicht vorgehaltene - Eintragungen im Zusammenhang, wonach dem Beschwerdeführer am 11. April 1997 ein "IBIS-Bewerbungstraining 14.4.-18.4.97" zugewiesen worden war. Dem wurde in der Eintragung darüber hinzugefügt: "falls kein Resultat SODA ab 12.5.97 - dem RAS alles genau erklärt; ELS wurde schon abgeschickt, laut Angabe bereits bekommen" (Eintragung vom 11. April 1997). Am 14. April 1997 soll der Beschwerdeführer "zur IBIS nicht erschienen" sein (Eintragungen vom 14. und 21. April 1997), wobei die Verhängung einer Sanktion gemäß § 10 AlVG in der Folge nur deshalb unterblieb, weil der Beschwerdeführer sich diesbezüglich mit seinem Krankenstand entschuldigte (Eintragung vom 30. April 1997).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie begründete diese Entscheidung - im Anschluss an längere Gesetzeszitate und eine kurze Darstellung des Verfahrensganges - wie folgt:

"Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde festgestellt, dass Sie bereits am 6.3.1997 zur SODA Maßnahme zugebucht wurden. Anlässlich Ihrer Vorsprache beim Arbeitsmarktservice am 11.4.1997 wurde Ihnen der Termin für den Kursbeginn bekannt gegeben und Ihnen alles nochmals genau erklärt. Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie das Einladungsschreiben zur SODA Maßnahme bereits erhalten und haben dies auch dem Arbeitsmarktservice gegenüber bestätigt.

Es wäre daher an Ihnen gelegen, sich den Termin des Kursbeginnes geeignet vorzumerken.

Durch Ihr Verhalten, nämlich Ihr Nichterscheinen zum Kursbeginn am 12.5.1997 haben Sie eine Ihnen von Seiten des Arbeitsmarktservice angebotene Wiedereingliederungsmaßnahme vereitelt. Gründe für eine Nachsicht lagen nicht vor.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AIVG verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AIVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 21. Dezember 1993, Zlen. 93/08/0215-0218, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134, zur Nach(Um)schulung Arbeitsloser die Auffassung vertreten, es könne aus den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AIVG nicht abgeleitet werden, dass es im freien Belieben des Arbeitsamtes stünde, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Nach- oder Umschulung zuzuweisen. Eine solche Zuweisung vermöge sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, zu stützen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Das Arbeitsamt habe diese Voraussetzungen zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Nach- oder Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, könne nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolge.

Diese Subsidiarität gilt nach dem hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246, und der daran anschließenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - angesichts des nach wie vor bestehenden Primates der Erlangung bzw. Vermittlung einer dem Arbeitslosen zumutbaren Beschäftigung durch seine eigenen, von ihm zu entfaltenden Bemühungen oder durch das Arbeitsamt (nunmehr: das Arbeitsmarktservice) - in entsprechender Weise auch für Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Demgemäß liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn es sich überhaupt um eine solche Maßnahme handelt, wenn weiters feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es deshalb solcher Maßnahmen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsamt (nunmehr: das Arbeitsmarktservice) das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an der Maßnahme ablehnt (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0131, vom 6. Mai 1997, Zl. 95/08/0339, vom 16. September 1997, Zl. 96/08/0308, vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132 und Zl. 98/08/0306, und vom 23. Februar 2000, Zl. 98/08/0220 und Zl. 98/08/0322).

Unter einem "Verweigern" der Teilnahme ist nach der sprachlichen Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals die ausdrückliche oder schlüssige Erklärung zu verstehen, an der Maßnahme nicht teilnehmen zu wollen. Zum "Vereiteln" des Erfolges der Maßnahme ist sinngemäß auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach als Vereitelung der Annahme einer Beschäftigung nur ein für deren Nichtzustandekommen ursächliches und auf den Eintritt dieser Wirkung gerichtetes oder sie zumindest in Kauf nehmendes, somit vorsätzliches Verhalten gilt (vgl. dazu schon die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042, Slg. Nr. 13.722/A, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050, jeweils mit Hinweisen auf Vorjudikatur). Bloße Sorgfaltswidrigkeiten eines Arbeitslosen, die zu seiner Nichtteilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder zum Ausbleiben des Erfolges einer solchen Maßnahme führen, rechtfertigen daher nicht die Verhängung der in § 10 Abs. 1 AIVG vorgesehenen Sanktion.

Im angefochtenen Bescheid fehlt zunächst jede Beweiswürdigung in Bezug auf die ihm - erkennbar - zu Grunde gelegte Annahme, das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers und im Besonderen seine niederschriftlichen Angaben bei seiner Einvernahme am 30. Juli 1997, wonach er von einer Zuweisung nichts gewusst und den Termin nicht gekannt habe, seien wahrheitswidrig gewesen. Die Übergehung der Ergebnisse der - gar nicht erwähnten - Parteienvernehmung mit dem bloßen Hinweis, "im Zuge des Berufungsverfahrens" sei das Gegenteil "festgestellt" worden, belastet den angefochtenen Bescheid mit einem Begründungsmangel, der allein schon zu seiner Aufhebung führen müsste.

Der Akteninhalt hätte darüber hinaus - im Falle der auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen, schlüssig begründeten Feststellung, der Beschwerdeführer habe das "Einladungsschreiben" erhalten - auch eine Auseinandersetzung damit erfordert, dass er der Maßnahme nach dem Inhalt der "PST-Eintragung" vom 11. April 1997 nur für den Fall der Ergebnislosigkeit ("falls kein Resultat") des Bewerbungstrainings, an dem er krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, zugewiesen worden war. Der angefochtene Bescheid ist auch insofern mangelhaft begründet, als ihm nicht zu entnehmen ist, dass und auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde zu der Überzeugung gelangt sei, bei der doppelten Zuweisung sei für den Beschwerdeführer klargestellt worden, dass er im Falle einer Erkrankung nicht das Bewerbungstraining nachholen, sondern ohne Versuch eines derartigen Trainings an der jetzt strittigen Maßnahme teilnehmen sollte.

Die belangte Behörde hat aber auch die Rechtslage verkannt, weil sie die zur Begründung der Teilnahmepflicht des Beschwerdeführers nach der zuvor dargestellten Rechtsprechung nötigen Feststellungen darüber, weshalb der Beschwerdeführer der Maßnahme bedurft habe und dass ihm das Ergebnis eines diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung zur Kenntnis gebracht worden sei, für entbehrlich gehalten und gemeint hat, sich mit der bloßen - dem Zusammenhang nach nur darauf, wann und wo der Beschwerdeführer sich einzufinden habe, zu beziehenden - Feststellung, ihm sei am 11. April 1997 "alles nochmals genau erklärt" worden, begnügen zu können (vgl. zu derartigen Feststellungsmängeln etwa die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132, und vom 23. Februar 2000, Zl. 98/08/0220).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Oktober 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998080003.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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