TE Vfgh Erkenntnis 2014/2/20 U2298/2013

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Veröffentlicht am 20.02.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §69 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens des russischen Beschwerdeführers mangels Auseinandersetzung mit der Frage nach der Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten - als "nova reperta" anzusehenden - Dokumente bzw mangels Prüfung der Möglichkeit einer anders lautenden Entscheidung im Asylverfahren

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 17. Jänner 2011 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, seinen zwei minderjährigen Söhnen sowie seinem Bruder illegal ins Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass sein Vater seit dem Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs im Jahr 1999 verschwunden sei. Der Bruder des Beschwerdeführers sei in den Morgenstunden des 2. September 2010 im Zuge einer Säuberungsaktion von maskierten Männern verhaftet worden. Wenige Stunden später habe ein unbekannter Mann telefonisch $ 10.000,– für die Freilassung des Bruders verlangt. Noch in der darauffolgenden Nacht hätten der Beschwerdeführer und seine Familie das Geld aufbringen und den Bruder freikaufen können. Dieser sei im Zuge seiner Anhaltung brutal geschlagen worden, was an mehreren "blauen Flecken" ersichtlich gewesen sei. Unmittelbar nach diesem Vorfall seien der Beschwerdeführer und seine Familie nach Inguschetien ausgereist, wo sie sich in Nazran bis Jänner 2011 aufgehalten hätten.

2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22. Februar 2011 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Antrags auf Asyl als auch auf subsidiären Schutz ab und sprach die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. Februar 2012, dem Beschwerdeführer zugestellt am 28. Februar 2012, "gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 Z1 und 10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idgF, als unbegründet" ab. Der Asylgerichtshof billigte dabei – in seiner Beurteilung den Ausführungen im bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes folgend – den Angaben des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zu: Den behaupteten Vorfall vom 2. September 2010 habe er teilweise widersprüchlich geschildert; insgesamt seien seine Angaben oberflächlich und vage. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum gerade der Bruder des Beschwerdeführers, nicht jedoch er selbst einer Verfolgung ausgesetzt sein sollte. Überdies sei dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Inguschetien zur Verfügung gestanden. In seinem Herkunftsstaat könne er als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann eine ausreichende Existenzgrundlage für sich und seine Familie erwirtschaften. Die zu verfügende Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet greife nicht in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens ein, weil sämtliche in Österreich aufhältigen Familienmitglieder ebenso von einer asylrechtlichen Ausweisung betroffen seien. Angesichts des erst relativ kurzen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich, des ihm zu unterstellenden Bewusstseins seines unsicheren Aufenthaltsstatus sowie mangelnder sozialer oder beruflicher Integration sei der Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens statthaft.

3. Am 6. Juli 2012 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Asylverfahrens gemäß §69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl 51/1991 idF BGBl I 100/2011 (im Folgenden: AVG), ein. Dabei gab er an, er sei am 29. Juni 2012 in den Besitz beigelegter Haftbefehle gekommen, aus welchen hervorgehe, "dass seine Verfolgungssituation keine fingierte, sondern eine äußerst reale und gefährliche" sei. Die Dokumente habe er im abgeschlossenen Asylverfahren nicht verwenden können, weil er nicht in deren Besitz gewesen sei. Sein Onkel habe sie mit einer Zugbegleiterin von Moskau nach Kiew und sodann von Kiew nach Wien transportieren lassen.

Eine vom Bundesasylamt in Auftrag gegebene Übersetzung ergab, dass es sich bei den vorgelegten Dokumenten um einen "Beschluss über die Fahndung nach dem Verdächtigen (Beschuldigten)" vom 19. März 2004 betreffend den Vater des Beschwerdeführers, um eine seinen Bruder betreffende "Ladung zur Einvernahme" vom 21. Februar 2011 sowie eine an den Beschwerdeführer gerichtete "Ladung zur Einvernahme" vom 3. März 2011 seitens der "Ermittlungsbehörde des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation für die Tschetschenische Republik" handelt. Das Bundeskriminalamt stellte im Rahmen einer kriminaltechnischen Untersuchung der Dokumente fest, dass "über die Authentizität […] keine qualifizierende Aussage gemacht werden" könne, jedoch "keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Verfälschung gefunden worden" seien.

4. Mit der nunmehr bekämpften Entscheidung vom 27. August 2013 wies der Asylgerichtshof den Antrag auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens gemäß §69 Abs1 Z2 AVG ab. Der Asylgerichtshof erachtete den Antrag zwar im Sinne des §69 Abs2 AVG als zulässig, jedoch seien die neu hervorgekommenen Dokumente nicht dazu geeignet, voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbei zu führen:

"[…]

Begründet wurde das rechtskräftig negative Erkenntnis des Asylgerichtshofes damit, dass der Fluchtgeschichte des Antragstellers aufgrund der detailarmen, allgemein gehaltenen sowie in sich widersprüchlichen, aber insbesondere im Vergleich zu den Angaben des Bruders in massivem Widerspruch stehenden Ausführungen keinerlei Glaubwürdigkeit beigemessen werden kann. Der Antragsteller hat als seinen einzigen Fluchtgrund geltend gemacht, dass sein Bruder Anfang September 2010 einer eintägigen Mitnahme durch maskierte und uniformierte Männer ausgesetzt gewesen und erst nach einer Lösegeldzahlung von mehreren tausend US-Dollar wieder freigelassen worden sei. Aus Angst um den Bruder haben alle gemeinsam Tschetschenien verlassen. Der Antragsteller hat somit im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Verfahren ausdrücklich geltend gemacht, selbst keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein und in Tschetschenien nicht gesucht zu werden bzw. außer einzelnen Fragen über den Verbleib seines im Jahr 1999 verschwundenen Vaters keinerlei Problemen ausgesetzt gewesen zu sein.

Es muss daher als völlig unglaubwürdig gewertet werden, dass der Antragsteller nunmehr eine Ladung zur Einvernahme als Verdächtiger vorlegt, wo er doch im vorangegangenen Verfahren immer davon gesprochen hat, dass er selbst keiner Verfolgung ausgesetzt war, sondern nur sein Bruder Probleme gehabt habe. Es erscheint völlig unlogisch, warum die russischen Behörden den Antragsteller im Februar 2011 zu einer Einvernahme als Verdächtiger laden sollten, wo sie ihm doch im Zuge der Festnahme des Bruders im September 2010 habhaft werden hätten können. Der Antragsteller gab im vorangegangenen Verfahren nämlich an, zum Zeitpunkt der Festnahme des Bruders gemeinsam mit diesem in einem Raum geschlafen zu haben. Der erkennende Senat bemängelte bereits im Erkenntnis vom 20.02.2012, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Bruder des Antragstellers von den maskierten Männer mitgenommen worden sein soll, der ebenfalls anwesende Antragsteller hingegen von der Mitnahme verschont geblieben sei. Da der Antragsteller die Mitnahme seines Bruders – insbesondere im Verhältnis zu den Angaben des Bruders – außerdem derart widersprüchlich geschildert hat, wurde dem gesamten diesbezüglichen Vorbringen die Glaubwürdigkeit versagt und sind daher auch die nunmehr vorgelegten Ladungen nicht geeignet, das damalige Vorbringen zu untermauern.

Was den vorgelegten Fahndungsbeschluss betreffend den Vater des Antragstellers vom 19.03.2004 angeht, so ist dieses Schreiben - ohne auf die Echtheit oder Richtigkeit dieses Beweismittels einzugehen - jedenfalls nicht geeignet, 'allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid' herbeizuführen. Der Antragsteller hat bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geltend gemacht, dass sein Vater seit 1999 verschwunden sei und er außer einzelnen Fragen über den Verbleib seines verschwundenen Vaters keinerlei Problemen ausgesetzt gewesen sei. Dass der Antragsteller tatsächlich von russischen Behörden nach seinem Vater befragt worden sei, wurde allerdings aufgrund von widersprüchlichen Angaben des Antragstellers als nicht glaubwürdig erachtet. Insofern kann auch der vorgelegte Beschluss aus dem Jahr 2004 keinesfalls glaubhaft machen, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2011 irgendwelche asylrelevanten Probleme aufgrund seines verschwundenen Vaters zu befürchten hatte.

Aufgrund der außergewöhnlich massiv zutage getretenen Widersprüche im Erstverfahren können daher die vorgelegten Ladungen und der Beschluss – unabhängig davon, ob die Beweismittel echt und richtig sind – keine Grundlage für die Wiederaufnahme sein.

Bestärkt wird der erkennende Senat in dieser Annahme durch die problematische Form der Übermittlung der Ladungen. Der Antragsteller gab mit Schreiben vom 16.07.2012 an, dass der Bruder seiner Mutter die Originale der Beweismittel mit einer Zugbegleiterin von Moskau über Kiew nach Wien transportieren habe lassen. Es entzieht sich jeglicher Logik, dass man derart brisante Materialien durch eine Zugbegleiterin nach Europa bringen lässt.

Schließlich weist der erkennende Senat noch einmal darauf hin, dass im Wiederaufnahmeantrag die Ladungen und der Beschluss ausdrücklich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfolgungsbehauptung des Antragstellers genannt werden. Über das Vorbringen des Antragstellers wurde jedoch bereits in dessen Asylverfahren umfassend und abschließend dargelegt, dass den Verfolgungsbehauptungen des Antragstellers jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen war.

Unter Berücksichtigung aller angeführten Überlegungen geht der Asylgerichtshof weiterhin von der Feststellung aus, dass die Verfolgungsbehauptung des Antragstellers aus den bereits im Erkenntnis vom 20.02.2012 dargestellten Plausibilitätserwägungen heraus der erforderlichen Glaubwürdigkeit gänzlich entbehrt.

[…]"

5. In seiner auf "Art144a B-VG" gestützten Beschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend und begründet dies damit, dass der Asylgerichtshof die vorgelegten Urkunden weder auf ihre Echtheit noch ihre Richtigkeit überprüft habe; auch habe er deren genauen Inhalt nicht zu eruieren versucht. Zudem seien in der angefochtenen Entscheidung keine Länderfeststellungen zu finden, aus denen sich ergeben könnte, "in welchem Kontext ein solcher Fahndungsbeschluss gegenüber einer Person (hier Vater des Beschwerdeführers) und die damit zusammenhängenden Ladungen betreffend seine Angehörigen (hier Söhne) üblicherweise zu sehen sind". Aktuellen Berichten zufolge seien Familienmitglieder und Unterstützer von Rebellen einer Bedrohung durch staatliche Organe ausgesetzt. Im Wiederaufnahmeverfahren sei nicht die Entscheidung des wiederaufgenommenen Verfahrens vorwegzunehmen, sondern lediglich die grundsätzliche Eignung des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes zu untersuchen, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Soweit der Asylgerichtshof ausführe, dass der Beschwerdeführer selbst keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, so beweise die ihn persönlich betreffende Ladung als Verdächtiger das genaue Gegenteil.

6. Das im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof an die Stelle des Asylgerichtshofes getretene Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, ins-besondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Der Asylgerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass die durch den Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente (ein seinen Vater betreffender Fahndungsbeschluss aus dem Jahr 2004 sowie zwei ihn selbst und seinen Bruder betreffende Ladungen als Verdächtige aus dem Jahr 2011) als "nova reperta" zwar einen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellten, jedoch keine im Spruch anders lautende Entscheidung im Asylverfahren herbeiführen würden. In Bezug auf die – in der rechtskräftigen Entscheidung vom 20. Februar 2012 als unglaubwürdig erachteten – Angaben des Beschwerdeführers hält der Asylgerichtshof fest:

"Es muss daher als völlig unglaubwürdig gewertet werden, dass der Antragsteller nunmehr eine Ladung zur Einvernahme als Verdächtiger vorlegt, wo er doch im vorangegangenen Verfahren immer davon gesprochen hat, dass er selbst keiner Verfolgung ausgesetzt war, sondern nur sein Bruder Probleme gehabt habe. Es erscheint völlig unlogisch, warum die russischen Behörden den Antragsteller im Februar 2011 zu einer Einvernahme als Verdächtiger laden sollten, wo sie ihm doch im Zuge der Festnahme des Bruders im September 2010 habhaft werden hätten können. […]"

2.2. Der Asylgerichtshof lässt die Frage dahinstehen, ob die vorgelegten Dokumente echt und richtig sind. Letztlich vertritt er aber die – schon nach dem Wortlaut nicht nachvollziehbare – Ansicht, es müsse "als völlig unglaubwürdig gewertet werden, dass der Antragsteller nunmehr eine Ladung zur Einvernahme als Verdächtiger vorlegt, wo er doch im vorangegangenen Verfahren immer davon gesprochen hat, dass er selbst keiner Verfolgung ausgesetzt war, sondern nur sein Bruder Probleme gehabt habe". Sofern der Asylgerichtshof mit dieser Aussage der Sache nach die Echtheit und – vor allem – die Richtigkeit der Dokumente bezweifelt, lässt er ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren hinsichtlich deren Richtigkeit vermissen, zumal nach der kriminaltechnischen Untersuchung durch das Bundeskriminalamt "keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Verfälschung gefunden worden" seien (s. im Verwaltungsakt des Bundesasylamtes AS 335 – 363).

Sofern der Asylgerichtshof hingegen meint, die vorgelegten Dokumente könnten auf Grund der Widersprüche des Beschwerdeführers im Asylverfahren gar keine Grundlage für eine Wiederaufnahme sein, ist ihm entgegenzuhalten, dass im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens die Eignung dieser neuen Beweismittel im Hinblick darauf zu prüfen ist, ob diese im konkreten Fall eine im Spruch anders lautende Entscheidung im Asylverfahren herbeiführen können. Dabei hätte der Asylgerichtshof die vorgelegten Beweismittel eigenständig beurteilen und daran knüpfend prüfen müssen, ob es im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einer anders lautenden Entscheidung kommen könnte.

2.3. Durch seine Begründung belastete der Asylgerichtshof die angefochtene Entscheidung daher mit Willkür.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den verzeichneten und zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Bescheidbegründung, Ermittlungsverfahren, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2298.2013

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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