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10/12 Politische ParteienNorm
B-VG Art144 Abs1 / LegitimationLeitsatz
Zurückweisung der Beschwerde einer politischen Partei gegen einen an deren organschaftlichen Vertreter adressierten Bescheid mangels Legitimation; keine Befugnis der Bundesministerin für Inneres zur Feststellung der (Un)Wirksamkeit der freiwilligen Auflösung einer Partei; keine allgemein verbindliche oder incidente Beurteilung der Rechtspersönlichkeit einer Vereinigung bei Dokumentation der erfolgten SatzungshinterlegungenSpruch
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Die Piratenpartei Tirol (PPT) hat beim Bundesministerium für Inneres (im Folgenden: das BMI) am 8. Februar 2012 ihre Satzung und am 1. Juni 2012 eine geänderte Satzung hinterlegt. Mit einem mit 28. November 2012 datierten Schreiben gaben zwei Personen als "Vorstände" und drei weitere Personen als "Anwesende" die Auflösung der PPT zum 1. Dezember 2012 bekannt. Mit Enuntiation vom 14. Jänner 2013 "bestätigte" die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden: die BMI) die Bekanntgabe der freiwilligen Auflösung.
1.1. Am 24. Jänner 2013 teilte Wolfgang SAMSINGER "namens der Piraten Partei Tirol" dem BMI mit, dass die im Zusammenhang mit der Auflösung eingeschrittenen Personen für die PPT (insbesondere) nicht außenvertretungsbefugt seien und (implizit) dass die Auflösung nicht stattgefunden habe. Am 22. Juli 2013 ersuchte Wolfgang SAMSINGER um Mitteilung, ob die "Registrierung" der PPT "einschließlich Satzungshinterlegung" aufrecht sei, sowie um bescheidmäßige Absprache, sollte dies nicht der Fall sein.
1.2. Mit Schreiben vom 1. August 2013 teilte das BMI Wolfgang SAMSINGER im Wesentlichen mit, dass eine allgemein verbindliche Feststellung zu den Rechtswirkungen von Hinterlegungen mit Rücksicht auf die "Incidenter-Judikatur" des Verfassungsgerichtshofes nicht getroffen werden könne.
1.3. Am 15. August 2013 beantragte Wolfgang SAMSINGER, das BMI möge die Mitteilung vom 3. Dezember 2013 über die freiwillige Auflösung der PPT zurückweisen sowie feststellen, dass die PPT eine politische Partei iSd Parteiengesetzes 2012 (PartG), BGBl I 56, sei. Der Antrag wurde von Wolfgang SAMSINGER (digital) signiert und in erster Person verfasst, enthält allerdings den Briefkopf der PPT (samt E-Mail-Adresse des Vorstandes der PPT) sowie einen Hinweis auf einen – behaupteterweise – seinerzeit bereits namens der PPT gestellten Antrag.
1.4. Mit – an Wolfgang SAMSINGER adressiertem – Bescheid vom 11. September 2013 wies die BMI den Antrag zurück. Die Zurückweisung einer an eine Behörde gerichteten Mitteilung – wie hier die Bekanntgabe der freiwilligen Auflösung einer politischen Partei – sei gesetzlich nicht vorgesehen; auch könne eine allgemein verbindliche Feststellung zu den Rechtswirkungen von Hinterlegungen nach dem PartG mit Rücksicht auf die "Incidenter-Judikatur" des Verfassungsgerichtshofes nicht getroffen werden.
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der PPT, vertreten durch ihren Parteivorsitzenden Wolfgang SAMSINGER, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG) sowie auf Parteienfreiheit (§1 PartG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird. Begründend wird ausgeführt, die belangte Behörde habe der beschwerdeführenden Partei in beiden Spruchpunkten zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert.
1.6. Das BMI übermittelte die Verwaltungsakten, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Das BMI teilte jedoch mit, dass Eingaben von politischen Parteien auf ihre formale Richtigkeit geprüft werden, nämlich ob sie satzungsgemäß unterfertigt seien; die Rechtmäßigkeit von Parteienbeschlüssen bzw. deren satzungsgemäßes Zustandekommen stelle eine zivilrechtliche Frage dar und wäre daher im Anlassfall von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden.
1.7. Am 19. November 2013 hinterlegte die PPT durch Wolfgang SAMSINGER eine "geänderte Satzung". Am 29. November 2013 bescheinigte die BMI die Hinterlegung.
2. Gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art144 B-VG Beschwerde zu führen, ist nur legitimiert, wer durch den Bescheid in einem subjektiven Recht verletzt worden sein kann (VfSlg 3669/1959; ferner etwa VfSlg 17.249/2004 mwN).
2.1. Beschwerdeführende Partei ist die PPT. Dies kommt durch ihre Bezeichnung als beschwerdeführende Partei im Rubrum ("Antragsteller: Politische Partei 'Piratenpartei Tirol'"), die Darstellung des Sachverhaltes ("Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine politische Partei") sowie durch den Schluss der Beschwerde mit den Worten "Piratenpartei Tirol" zweifelsfrei zum Ausdruck. Wolfgang SAMSINGER tritt ausschließlich in seiner Funktion als organschaftlicher Vertreter der beschwerdeführenden Partei auf.
2.2. Der hier bekämpfte Bescheid der BMI vom 11. September 2013 richtet sich demgegenüber ausdrücklich an Wolfgang SAMSINGER. Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich auch nicht, dass die belangte Behörde die Absicht gehabt hätte, diesen an die beschwerdeführende Partei zu richten und Wolfgang SAMSINGER nur als deren Vertreter anzuführen. Die beschwerdeführende Partei ist somit nicht Adressatin des bekämpften Bescheides, weshalb sie durch diesen Bescheid auch in keinem subjektiven Recht verletzt sein kann (vgl. VfSlg 17.249/2004).
2.3. Die Beschwerde ist daher bereits auf Grund der fehlenden Legitimation der beschwerdeführenden Partei zurückzuweisen. Ob der angefochtene Bescheid gegenüber dem richtigen Bescheidadressaten erlassen wurde und ob über den Antrag vom 15. August 2013 überhaupt entschieden wurde, hat der Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieser Beschwerde nicht zu prüfen (vgl. VfGH 24.9.2012, B192/12 ua.). Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Beurteilung der Frage, ob die beschwerdeführende Partei Rechtspersönlichkeit besitzt und daher vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde führen kann (vgl. VfSlg 11.258/1987).
3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich allerdings vor dem Hintergrund der vorliegenden Beschwerde veranlasst, Folgendes festzuhalten:
3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, räumt das Gesetz – insbesondere auch nicht §1 PartG – keiner Behörde die Befugnis ein, allgemeinverbindlich (bescheidmäßig) festzustellen, dass eine politische Partei Rechtspersönlichkeit erlangt hat oder nicht; vielmehr haben alle Verwaltungsbehörden und alle Gerichte für Zwecke der bei ihnen anhängigen Verfahren nach Maßgabe der ihnen auf Grund ihrer allgemeinen Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel incidenter zu beurteilen, ob eine Vereinigung durch Hinterlegung ihrer Satzung als politische Partei Rechtspersönlichkeit erlangt hat (vgl. VfSlg 9648/1983, 11.258/1987, 11.761/1988). Der BMI kommt sohin keine Befugnis zu, die Hinterlegung der Satzung zu verweigern oder sonstige, auf die Gründung der politischen Partei bezughabende, allgemein verbindliche Verfügungen oder Feststellungen zu treffen (vgl. VfSlg 9648/1983, 11.258/1987). An dieser Rechtslage hat auch das Inkrafttreten des Parteiengesetzes 2012 nichts geändert.
3.2. Nichts anderes kann für die Beurteilung gelten, ob eine politische Partei ihre seinerzeit erworbene Rechtspersönlichkeit – etwa infolge freiwilliger Auflösung – wieder verloren hat. Auch diese Frage ist von jeder Verwaltungsbehörde und jedem Gericht für Zwecke der bei ihnen anhängigen Verfahren incidenter zu beantworten. Der BMI kommt daher keine Befugnis zu, die Entgegennahme der Bekanntgabe einer freiwilligen Auflösung, zu welcher politische Parteien nunmehr gemäß §1 Abs5 PartG ermächtigt sind, zu verweigern oder allgemeinverbindlich die (Un)Wirksamkeit der freiwilligen Auflösung festzustellen.
3.3. Es verschlägt auch der Umstand nichts, dass das BMI gemäß §1 Abs4 PartG seit 1. Juli 2013 ein öffentlich einsehbares Verzeichnis zu führen hat, das den Namen der politischen Partei und das Datum der Hinterlegung der Satzung zu enthalten hat. Zweck dieses Verzeichnisses ist nämlich ausschließlich die (öffentlich einsehbare) Dokumentation der erfolgten Satzungshinterlegungen. Daher hat das BMI auch bei Durchführung dieser – von jener zur Entgegennahme von Satzungshinterlegungen zu unterscheidenden – Aufgabe die Rechtspersönlichkeit der Vereinigungen, die Satzungen hinterlegt haben, nicht – also weder allgemeinverbindlich noch incidenter – zu beurteilen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Partei politische, VfGH / Legitimation, Rechte subjektive öffentliche, RechtspersönlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B1179.2013Zuletzt aktualisiert am
29.07.2015