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L8200 BauordnungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung des angefochtenen Bescheides im AnlassfallSpruch
I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Das Land Vorarlberg ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.432,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt auf dem GSt. Nr 4058, KG Egg, seit Jahrzehnten ein Sägewerk samt Holzlagerplatz. Mit Eingabe vom 20. November 2009 beantragte die erstbeteiligte Partei als Bauwerberin beim Bürgermeister der zweitbeteiligten Gemeinde die baurechtliche Bewilligung zur Errichtung eines Zweifamilien-Wohnhauses auf GSt Nr 3769/4, KG Egg. Dieses Grundstück liegt südlich des Betriebsareals der beschwerdeführenden Gesellschaft, die – insoweit unstrittig – Nachbarin iSd §2 Abs1 litk Vbg. Baugesetz (BauG), LGBl 52/2001 idF LGBl 29/2011, ist.
2. Im Vorfeld der mündlichen Bauverhandlung vor Ort (15.12.2009) wurden von der beschwerdeführenden Gesellschaft schriftlich "Einwendungen" gegen das Bauvorhaben vorgebracht. Dabei wurde die dem Bauverfahren vorangegangene Umwidmung des Baugrundstücks – von "Freifläche - Freihaltegebiet" gemäß §18 Abs5 Vbg. Raumplanungsgesetz (RPG), LGBl 39/1996 (Novellierungen dieses Gesetzes sind für die hier relevanten Bestimmungen ohne Bedeutung), in "Baufläche - Mischgebiet" gemäß §14 Abs4 leg. cit. – als gesetzwidrig gerügt. Des Weiteren wurde vorgebracht, dass die Bewohner des Baugrundstücks auf Grund der starken, vom bestehenden Betrieb ausgehenden Emissionen (in Form von Lärm und Vibrationen) jedenfalls "das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigungen und Gefährdungen im Sinne des §8 BauG" zu erwarten hätten und somit die beschwerdeführende Gesellschaft in weiterer Folge mit "zusätzlichen Auflagen zum Schutz vor diesen Immissionen nach §79 GewO" rechnen müsse. Dementsprechend sei das beabsichtigte Bauvorhaben im Hinblick auf §8 BauG unzulässig, wobei die beschwerdeführende Gesellschaft "[a]uf die Geltendmachung dieser Unzulässigkeit […] als Nachbarin im Sinne des §2 [Abs1] litk BauG einen nachbarrechtlichen Rechtsanspruch (§26 Abs1 litc BauG)" habe. In diesem Zusammenhang stellte sie auch Beweisanträge auf Einholung verschiedener Sachbefunde und Gutachten.
3. Nach dem Ergehen einer amtssachverständigen Stellungnahme betreffend Schall und Erschütterungen (vom 21.05.2010) bekräftigte die beschwerdeführende Gesellschaft ihre Bedenken in einer "Stellungnahme" vom 17. Juni 2010.
4. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 erteilte der Bürgermeister der zweitbeteiligten Gemeinde die Baubewilligung, ohne im Spruch über die Einwendungen der beschwerdeführenden Gesellschaft abzusprechen. In der Begründung führte der Bürgermeister hinsichtlich der Einwendungen der beschwerdeführenden Gesellschaft u.a. aus:
"Zu den Einwendungen der Rechtsvertreter der Anrainerin ********** ******** **** * ** ist einleitend auf die bereits erläuterten Nachbarrechte im Baurechtsverfahren gem. §26 des Baugesetzes hinzuweisen:
Diese beinhalten […] das Recht auf Einhaltung des Immissionsschutzes gem. §8 des Baugesetzes.
Letztere Rechtsvorschrift formuliert, dass Bauwerke [...] keinen Verwendungszweck haben dürfen, der eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung des Nachbarn erwarten lässt. Ob eine Belästigung das ortsübliche Ausmaß übersteigt, ist unter Berücksichtigung der Flächenwidmung am Standort des Bauvorhabens zu beurteilen.
[…]
Das Recht auf Immissionsschutz des Nachbarn unter den genannten Rahmenbedingungen (Ortsüblichkeit, Bezugnahme auf Flächenwidmung) bezieht sich ausdrücklich auf den Gegenstand des Bauverfahrens und von diesem allenfalls ausgehende Immissionen.
Auf Grundlage der Rechtsvorschrift des §8 des Baugesetzes kann daher kein Rechtsanspruch des Nachbarn auf Schutz des Antragstellers gegen von der Nachbarin bzw. ihren Bauwerken, Betriebszwecken usw. ausgehenden Immissionen abgeleitet werden.
Die darauf abzielenden Einwendungen der Rechtsvertreter der Anrainerin ********** ******** **** * ** sind vor diesem Hintergrund gem. §26 Abs2 des Baugesetzes als unzulässig zurückzuweisen.
Gleiches gilt für die behauptete Auffassung bzw. Befürchtung, dass eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und Gefährdung der künftigen Bewohner des Antragsgegenstandes im Sinne des §8 des Baugesetzes und damit deren Verlangen nach zusätzlichen Auflagen zum Schutz vor Immissionen nach §79 der Gewerbeordnung zu erwarten sei. Dieser Einwand ist mit gleicher Begründung als unzulässig abzuweisen, da nicht das Nachbarrecht auf Immissionsschutz im Sinne des §8 des Baugesetzes auf dem Grundstück des Nachbarn gemeint ist.
[…]
Die Feststellung, dass es aus Sicht der Nachbarin bzw. deren Rechtsvertreterin technisch und praktisch nicht möglich sei, das Baugrundstück bzw. dessen Bewohner durch Schutzmaßnahmen vor den Emissionen des bestehenden Betriebes zu schützen, ist It. amtssachverständiger Beurteilung auf Basis zweier gutachterlichen Stellungnahmen nicht haltbar. […]
Es ist hier wiederum anzumerken, dass die Erfüllung dieser Vorgabe nach Maßgabe baurechtlicher Bestimmungen durch die Baubehörde zu beurteilen ist und kein Nachbarrecht tangiert.
[…]
Eine abschließend beantragte Verifizierung zu erwartender zusätzlicher Auflagen für den bislang konsentierten Betrieb der Nachbarin nach §79 GewO sowie raumplanerischer Zuwidersprechung ist einerseits nach Maßgabe des §28 Abs2 des Baugesetzes nicht Gegenstand des Bauverfahrens und betrifft andererseits kein Nachbarrecht im Sinne des §26 des Baugesetzes."
5. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung an die Gemeindevertretung. Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 wurde der Berufung "keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt". In der Begründung führte die Gemeindevertretung u.a. aus:
"Der mehrfach in der Berufung ausgeführte Umkehrschluss der Berufungswerberin, dass eine von ihrem Betrieb ausgehende, das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und Gefährdung der Bewohner des Grundstückes der Bauwerberin stattfinden könnte, ist auch nach Ansicht der Berufungsbehörde nicht zulässig und deshalb zurück zu weisen.
[…]
Einwendungen hiezu, ergänzt mit der geäußerten Befürchtung, dass für den Betrieb der Berufungswerberin zusätzliche Auflagen zum Schutz vor dessen Immissionen nach §79 GewO zu erwarten seien, sind daher in Anwendung des §26 Abs2 BauG nach Ansicht der Berufungsbehörde klar zurückzuweisen […]."
6. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid wies die Bezirkshauptmannschaft Bregenz die dagegen erhobene Vorstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft ab. In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. aus (Hervorhebungen im Original):
"Zur Frage der Flächenwidmung:
[…] Da die Vorbringen der Vorstellungswerberin hinsichtlich einer möglichen Mangelhaftigkeit der durchgeführten Umwidmung der Baufläche das gemeindebehördliche (Verordnungs-)Verfahren nach §21 ff Raumplanungsgesetz betreffen, können diese von der Aufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren über einen Baubescheid nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen stellen die diesbezüglichen Vorbringen keine in §26 Baugesetz normierten Nachbarrechte dar. […] Zur Frage der heranrückenden Bebauung:
Der VwGH hat zur herannahenden Wohnbevölkerung dem Betriebsinhaber in einer Reihe von Entscheidungen kein Recht darauf zuerkannt, dass er sich gegen die Errichtung eines Wohnhauses in der Nähe seines Betriebes mit der Begründung wenden könne, dadurch würden sich in Zukunft für den Betrieb Schwierigkeiten usw ergeben (VwGH 82/05/0093; 82/05/0185 ua). An dieser Rechtsprechung, dass ein Betriebsinhaber die Errichtung eines Wohnhauses nicht mit der Einwendung, die künftigen Bewohner werden sich über Belästigungen durch den Betrieb beschweren, erfolgreich sein kann, hat der VwGH in der Folge festgehalten (zB VwGH 92/05/0208).
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kann ein Nachbar im Baugenehmigungsverfahren zulässigerweise die Widmungswidrigkeit der Errichtung emissionsträchtiger Anlagen in Immissionsschutz gewährenden Widmungskategorien geltend machen (Hauer, Rechtsfragen der "heranrückenden Wohnbebauung", RdU 1995, 115 f), nicht aber umgekehrt. […].
Problematisch erscheint, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) (mögliche) künftige Vorschreibungen in einem gewerberechtlichen Verfahren als für die Baubehörde rechtlich erheblich ansieht, was dem in der Österreichischen Verfassung zum Ausdruck kommenden Kompetenztrennungsprinzip widerspricht […], während nach anderer Ansicht Rechtsfolgen gewerberechtlicher Art keine von der Baubehörde wahrzunehmende Rechte begründen können […].
[…]
§26 Vorarlberger Baugesetz sieht jedenfalls kein Recht eines Betriebsinhabers bzw. Nachbarn vor, sich gegen möglicherweise drohende (zusätzliche) gewerbebehördliche Auflagen zur Wehr setzen zu können. Die diesbezüglichen Vorbringen der Vorstellungswerberin sind somit nicht erfolgreich."
7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
8. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der "auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Vorstellungsbescheides" verwiesen wird.
9. Die erstbeteiligte Partei hat sich am Verfahren bisher nicht beteiligt. Die zweitbeteiligte Gemeinde erstattete eine Äußerung, in der sie zu dem dem Bauverfahren vorangegebenen Umwidmungsverfahren Stellung nimmt.
II. Rechtslage
§26 BauG in der im Beschwerdefall angewendeten Fassung LGBl 32/2009 lautete auszugsweise:
"§26
Nachbarrechte, Übereinkommen
(1) Der Nachbar hat im Verfahren über den Bauantrag das Recht, durch Einwendungen die Einhaltung der folgenden Vorschriften geltend zu machen:
a) §4 Abs3, soweit mit Auswirkungen auf sein Grundstück zu rechnen ist;
b) §§5 bis 7, soweit sie dem Schutz des Nachbarn dienen;
c) §8, soweit mit Immissionen auf seinem Grundstück zu rechnen ist;
d) die Festlegungen des Bebauungsplanes über die Baugrenze, die Baulinie und die Höhe des Bauwerks, soweit das Bauwerk nicht mehr als 20 Meter vom unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Nachbargrundstück entfernt ist.
(2) Einwendungen des Nachbarn, mit denen die Verletzung anderer als im Abs1 genannter öffentlich-rechtlicher Vorschriften behauptet wird, sind als unzulässig zurückzuweisen.
[…]"
III. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", soweit mit Immissionen auf seinem Grundstück zu rechnen ist" in §26 Abs1 litc BauG ein. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G98/2013, hob er diese Wortfolge als verfassungswidrig auf.
3. Die belangte Behörde hat somit bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).
2. Der Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 368,80 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B990.2011Zuletzt aktualisiert am
25.03.2014