RS Vfgh 2014/2/21 B1429/2011

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Veröffentlicht am 21.02.2014
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §31 Abs3 Z12, §351c Abs8, §351f, §351h, §351i,
Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG §23, §24, §25
Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Nichtaufnahme der Arzneispezialität Valdoxan in den gelben Bereich des Erstattungskodex mangels Vorliegens eines zusätzlichen therapeutischen Nutzens des Wirkstoffes der Arznei; keine Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs der wesentlichen therapeutischen Innovation vor dem Hintergrund der Regelungszwecke des Erstattungskodex; keine Willkür im Hinblick auf die Einstufung des Arzneimittels als weitere Therapieoption mit gleichem oder ähnlichem therapeutischen Nutzen

Rechtssatz

Qualifikation der Unabhängigen Heilmittelkommission (UHK) als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art133 Z4 B-VG in der bis zum Ablauf des 31.12.2013 geltenden Fassung und als Tribunal iSd Art6 EMRK (VfSlg 17686/2005).

Keine Befangenheit des Leiters der Abteilung "EBM/HTA" ("Evidence Based Medicine" bzw "Health Technology Assessment") des Hauptverbandes; keine Bedenken gegen die Zusammensetzung der belangten Behörde (vgl zB VfSlg 9887/1983, 11912/1988, VfSlg 12470/1990, VfSlg 19631/2012).

Die vom Hauptverband für die Aufnahme von Arzneimitteln in den Erstattungskodex zu beachtenden gesetzlichen Kriterien geben einen ausreichend determinierenden Rahmen für eine Abwägungsentscheidung des Hauptverbandes. Der Umstand, dass die UHK bloß kassatorische Entscheidungsbefugnis hat, reicht angesichts der gesetzlichen Bindungswirkung ihrer Entscheidungen nach dem genannten Maßstab aus.

Der Ausschluss der beschwerdeführenden Partei von neuem Tatsachen- und Beweisvorbringen im Beschwerdeverfahren vor der belangten Behörde dient der Einhaltung der der Behörde im Interesse einer raschen Erledigung gesetzten Entscheidungsfristen und entspricht der Logik einer bloß nachprüfenden Kontrolle, die der VfGH als verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt hat.

Keine Verfassungswidrigkeit des §351c Abs8 ASVG.

Bei dem Rechtsbegriff der wesentlichen therapeutischen Innovation in §351c Abs8 ASVG handelt es sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, zu dessen Beurteilung im Einzelfall es zwar sachverständigen Wissens bedarf, von dem aber nicht gesagt werden kann, dass er dem Hauptverband einen "unermesslichen Ermessensspielraum" einräumt.

Die im Gesetz und in der Verfahrensordnung - auch in Umsetzung der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln (ABl 1989 L 40, 8) - vorgesehenen Anforderungen für die Aufnahme einer Arzneispezialität in den Erstattungskodex dienen - gemeinsam mit anderen Preisregelungsvorschriften auf diesem Gebiet - dem Ziel der "Gewährleistung einer adäquaten Versorgung mit Arzneimitteln zu angemessenen Kosten" sowie einer "Einschränkung der Palette der Erzeugnisse, die vom staatlichen Krankenversicherungssystem gedeckt werden" bzw - in den verba legalia des §25 Abs1 VO-EKO - dem Ziel einer ökonomischen Krankenbehandlung im Kontext der verfügbaren therapeutischen Alternativen bei Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit. Mit den Vorschriften des §351c ff ASVG hat der Gesetzgeber unmissverständlich den für den Erstattungskodex tragenden Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass eine Arzneispezialität nur dann in den Erstattungskodex aufgenommen werden soll, wenn sie entweder einen medizinischen oder zumindest einen ökonomischen Zusatznutzen gegenüber anderen im Erstattungskodex angeführten Arzneispezialitäten aufweist. Der Begriff der wesentlichen therapeutischen Innovation iSd vor dem Hintergrund der Regelungszwecke des Erstattungskodex geradezu auf der Hand liegenden Begriffsverständnisses einer deutlich günstigeren therapeutischen Wirkung ist daher nicht unbestimmt.

Diesem Grundgedanken folgt die Bestimmung des §351c Abs8 ASVG iVm §25 Abs2 Z2 VO-EKO: Bei Fehlen einer wesentlichen therapeutischen Innovation ist für die soziale Krankenversicherung die Aufnahme einer neuen Arzneispezialität in das Heilmittelverzeichnis nur dann wirtschaftlich (und daher sinnvoll), wenn die Behandlungskosten ausreichend unter jenen der im grünen Bereich angeführten, günstigsten vergleichbaren Arzneispezialität liegen.

Es reicht nicht aus, wenn die pharmakologische Innovation eines neuen Wirkmechanismus (wie zB im Falle von Valdoxan), bloß eine "ebenso gute Wirkung zeigt, wie bereits am Markt verfügbare andere Arzneimittel". Ein Vorteil für die gesetzliche Krankenversicherung - und darauf kommt es beim Erstattungskodex entscheidend an - besteht vielmehr nur dann, wenn entweder eine wesentliche Verbesserung in den therapeutischen Wirkungen für die Behandlung krankenversicherter Patienten entsteht oder wenn sich Vorteile auf der Finanzierungsseite ergeben, weil es sich im Verhältnis zu den am Markt und nach dem Erstattungskodex verfügbaren Alternativen um ein signifikant kostengünstigeres Medikament handelt. Es ist aber nicht gleichheitswidrig, wenn die gesetzliche Regelung dazu führt, dass ein vertriebsberechtigtes Unternehmen das Marktrisiko für ein im Wirkmechanismus zwar neuartiges und daher hochpreisiges, aber in den therapeutischen Wirkungen den bisherigen Alternativen (von denen überdies bereits Generika existieren) im Wesentlichen bloß entsprechendes Arzneimittel, in erster Linie selbst zu tragen hat.

Die für die gesundheitsökonomischen Anforderungen maßgebliche gesetzliche Differenzierung zwischen Arzneimitteln, die eine wesentliche therapeutische Innovation darstellen und Arzneimitteln, bei denen dies nicht der Fall ist, verstößt daher weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitssatz.

Keine Willkür.

Der für das Ergebnis zwischen den Parteien des Verfahrens maßgebliche Streitpunkt ist die Frage, ob Valdoxan im Zuge der medizinisch-therapeutischen Evaluation zu Recht in §24 Abs2 Z2 VO-EKO (als "eine weitere Therapieoption mit gleichem oder ähnlichem therapeutischen Nutzen für Patienten/Patientinnen im Vergleich zu den im Rahmen der pharmakologischen Evaluation festgelegten Arzneispezialitäten") statt wie beantragt in §24 Abs2 Z5 VO-EKO ("Die beantragte Arzneispezialität hat einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für die Mehrzahl der Patienten/Patientinnen, welche für die Behandlung mit dem beantragten Mittel in Frage kommen, im Vergleich zu therapeutischen Alternativen") eingestuft wurde.

Der VfGH vermag nicht zu erkennen, dass die belangte Behörde Willkür geübt hätte. Auch der für die Aufnahme einer Arzneispezialität eines im Wesentlichen gleichen therapeutischen Nutzens in den Erstattungskodex geforderte Kostenvorteil eines um 10 % niedrigeren Abgabepreises ist weder gesetzwidrig noch unverhältnismäßig.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Arzneimittel, Tribunal, Kollegialbehörde, Behördenzusammensetzung, Befangenheit, Preisregelung, Determinierungsgebot, Rechtsbegriffe unbestimmte, Legalitätsprinzip, Rechtsstaatsprinzip, EU-Recht Richtlinie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B1429.2011

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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