RS Vfgh 2014/2/26 G59/2013

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Veröffentlicht am 26.02.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AsylG 2005 §5, §12a Abs1
AVG §68 Abs1
EMRK Art3

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des AsylG 2005 in der Fassung des FremdenrechtsänderungsG 2009 über den generellen Ausschluss des faktischen Abschiebeschutzes bei Folgeanträgen wegen Widerspruchs zum Rechtsstaatsprinzip

Rechtssatz

Zurückweisung des Hauptantrags des VwGH auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 oder" in §12a Abs1 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009.

Die verbleibende Bestimmung des §12a Abs1 würde insbesondere im Hinblick auf die Abs2 bis Abs4 des §12a AsylG 2005 einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren Inhalt annehmen.

Zulässigkeit des ersten Eventualantrags und Feststellung, dass §12a Abs1 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 verfassungswidrig war.

Der VfGH anerkennt im Zusammenhang mit Abwägungsentscheidungen das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Raschheit und der Durchführung der Ausweisung (vgl VfSlg 17340/2004), vor allem im Hinblick auf die begründete Sorge hinsichtlich jener Folgeanträge, die nicht dem berechtigten Vorbringen neuer Asylgründe, sondern alleine der Verhinderung oder Verzögerung fremdenpolizeilicher, insbesondere aufenthaltsbeendender, Maßnahmen und damit der ungerechtfertigten Verlängerung des faktischen Aufenthalts in Österreich dienen.

Dem genannten öffentlichen Interesse können mögliche Nachteile des Fremden entgegenstehen. Die Abwägung dieser Interessen mit den Nachteilen kann nur im Einzelfall vorgenommen werden und ist in der Konstellation eines Folgeantrages nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 nicht vorgesehen. Dies führt insbesondere in jenen Fällen, in denen eine längere Zeitspanne zwischen der vorangehenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz und dem neuerlichen Antrag liegt, zu einer Rechtsschutzlücke.

Der EGMR ging im Fall Mohammed gegen Österreich (EGMR 06.06.2013, Fall Mohammed, Appl 2283/12) davon aus, dass bereits in der Zeitspanne eines Jahres für die Durchführung einer Refoulement-Prüfung oder Interessenabwägung maßgebliche Änderungen eintreten können.

Ungeachtet des grundsätzlich hohen rechtsstaatlichen Niveaus der "Dublin-Staaten" (vgl die Erläuterungen zum FremdenrechtsänderungsG 2009 RV 330 BlgNR 24. GP, 12) kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Änderung der Umstände für den Fremden iSd Art2 und Art3 EMRK eintritt.

Der Gesetzgeber unterscheidet im Zusammenhang mit dem faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs1 AsylG 2005 und einem Folgeantrag nicht danach, ob ein Asylwerber nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 oder nach einer späteren zurückweisenden Entscheidung gemäß §68 Abs1 AVG einen evident unzulässigen Folgeantrag stellt oder aber einen Folgeantrag, der auf Grund der Änderung der Umstände eingebracht wird. Der generelle und ausnahmslose Ausschluss des faktischen Abschiebeschutzes in §12a Abs1 AsylG 2005 führt dazu, dass auch in besonderen Fällen, insbesondere wenn es zu maßgeblichen Änderungen der Umstände im Zusammenhang mit Art3 EMRK im zuständigen "Dublin-Staat" kommt oder wenn das Privat- und Familienleben des Fremden eine entsprechende Veränderung erfährt, eine (erneute) Interessenabwägung zu Gunsten des Asylwerbers unmöglich ist. Die Bestimmung des §12a Abs1 AsylG 2005 war deshalb zu undifferenziert ausgestaltet und daher wegen Widerspruchs mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.

Außerkrafttreten der Bestimmung mit dem FremdenrechtsänderungsG 2011, BGBl I 38/2011; daher Ausspruch gem Art140 Abs4 B-VG.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Refoulement-Verbot, Rechtsstaatsprinzip, Ausweisung, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G59.2013

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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