Index
E3L E19100000;Norm
32008L0115 Rückführungs-RL;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 10. September 2012, Zl. 161.746/5-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Devolutionsweg ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines ukrainischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 und § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei erstmals im Mai 1999 mit einem Visum C in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Am 20. Februar 2000 sei er abgeschoben worden. Am 23. März 2003 sei er schlepperunterstützt wieder nach Österreich eingereist und habe am 25. März 2003 Asyl beantragt. Dieser Antrag sei letztinstanzlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15. Oktober 2009 abgewiesen worden.
Am 10. Dezember 2009 habe der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellt. Mit Bescheid vom 27. Juli 2010 habe die Bundespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer ausgewiesen. Seiner Berufung sei mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 9. Dezember 2010 keine Folge gegeben worden.
Am 10. November 2011 habe er seinen Antrag dahin geändert, dass er nunmehr einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG begehre. Den Antrag habe er damit begründet, dass er seit sechs Jahren geschieden wäre und aus dieser Ehe zwei volljährige Töchter hätte, die verheiratet wären und in der Ukraine lebten. In Österreich hätte er zwar keinen Familienbezug, dafür sehr viele Freunde und Bekannte. Mangels Beschäftigungsbewilligungen hätte er nicht arbeiten können.
Über den modifizierten Erstantrag habe der Landeshauptmann von Wien nicht entschieden, sodass die Zuständigkeit auf die belangte Behörde übergegangen sei.
Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers sei nicht erkennbar, dass im Zeitraum zwischen der "seit 10.12.2010 rechtskräftigen Ausweisung" und der hier zu treffenden Entscheidung ein im Hinblick auf Art. 8 EMRK maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG in Verbindung mit § 11 Abs. 3 NAG eingetreten wäre. Einen Arbeitsvorvertrag habe der Beschwerdeführer schon früher vorgelegt. Allein der Zeitablauf von etwa zwei Jahren zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und dem Zurückweisungsbescheid stelle noch keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts dar. Im vorliegenden Fall handle es sich um einen Zeitraum von etwa 21 Monaten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG i.d.F. BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Weiters ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im September 2012 die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden sind.
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG sind Anträge (u.a.) gemäß § 41a Abs. 9 leg. cit. als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt. Eine Sachverhaltsänderung ist dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 2012, 2012/22/0114).
Die Beschwerde tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen. Davon ausgehend ist die behördliche Rechtsansicht nicht zu beanstanden, dass sich der Sachverhalt seit der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung nicht wesentlich geändert habe, weshalb die Voraussetzungen der Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorlägen.
In der Beschwerde wird dahin argumentiert, dass das Ausweisungsverfahren erst nach Beantragung eines Aufenthaltstitels eingeleitet worden sei und somit in Bezug auf die Beurteilung der geänderten Umstände nicht maßgebend sein dürfe.
§ 44b Abs. 2 NAG lautet:
"Liegt kein Fall des Abs. 1 Z 1 oder 2 vor, hat die Behörde unverzüglich die der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordnete Landespolizeidirektion von einem Antrag gemäß §§ 41a Abs. 9 oder 43 Abs. 3 zu verständigen und eine begründete Stellungnahme zu fremdenpolizeilichen Maßnahmen, insbesondere ob diese bloß vorübergehend oder auf Dauer unzulässig sind, einzuholen. Bis zum Einlangen der begründeten Stellungnahme der Landespolizeidirektion ist der Ablauf der Frist gemäß § 73 Abs. 1 AVG gehemmt. Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird. Im Übrigen gilt § 11 Abs. 1 Z 1."
Dazu führen die Erläuterungen (88 BlgNR 24. GP 12 f) zur Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 aus:
"Abs. 2 stellt somit einerseits sicher, dass die Fremdenpolizeibehörden von Anträgen gemäß § 44b Kenntnis erlangen und andererseits in ihrem Zuständigkeitsbereich tätig werden können. In jedem Fall ist die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde über das Vorgehen der Fremdenpolizeibehörde zu informieren. Gemäß § 66 Abs. 3 FPG (neu) wird die Fremdenpolizeibehörde formal über die Ausweisung abzusprechen haben. Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisungsentscheidung vor, so ist diese daher selbstverständlich zu erlassen und sind unter Berücksichtigung des § 46 Abs. 1 FPG entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu setzen."
Dementsprechend normiert § 44b Abs. 2 NAG, dass das Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen ist, wenn eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft erwächst.
Der Beschwerdeführer ist somit im Recht, wenn er meint, dass in einer solchen Konstellation, in der das Ausweisungsverfahren erst nach Beantragung eines Aufenthaltstitels eingeleitet und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abgeschlossen wurde, kein Fall einer Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegt, weil ansonsten die zitierte Bestimmung des § 44b Abs. 2 NAG sinnentleert wäre. § 44b Abs. 1 Z 1 NAG kommt somit nur dann zur Anwendung, wenn eine Ausweisung schon vor Antragstellung rechtskräftig erlassen wurde.
Der Beschwerdeführer übersieht aber, dass er einen Aufenthaltstitel nach § 41a Abs. 9 NAG nicht schon am 10. Dezember 2009, sondern erst nach Änderung seines Antrages in der Niederschrift vom 10. November 2011 begehrt hat. Zuvor hatte er nach der sogenannten "Altfallregelung" gemäß § 44 Abs. 4 NAG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) einen Aufenthaltstitel beantragt, der nicht in den Anwendungsbereich des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG fiel. Zum Zeitpunkt der Änderung des Antrags in Richtung der Gewährung eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG war jedoch die Ausweisung bereits rechtskräftig erlassen, weshalb gegen die Anwendung des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG in einer solchen Konstellation keine Bedenken bestehen.
Weiters verweist der Beschwerdeführer auf die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 14 FPG, der zufolge vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen als Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 mit der Maßgabe weitergelten, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden ist. In diesem Zusammenhang meint der Beschwerdeführer, dass eine solche Entscheidung keine Aussage nach Art. 8 EMRK enthalte. Dem ist nicht zu folgen, weil auch im Fall einer Rückkehrentscheidung gemäß § 61 Abs. 1 FPG zu prüfen ist, ob diese - wenn damit in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird - zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Soweit der Beschwerdeführer auch in der Grundrechtecharta verbriefte Rechte anspricht, ist ihm entgegenzuhalten, dass nicht zu sehen ist, inwieweit im vorliegenden Fall der Anwendungsbereich des Unionsrechts gegeben wäre. Insbesondere trifft seine Ansicht nicht zu, dass es sich bei der gegenständlichen Entscheidung, mit der ihm die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt wurde, um eine Rückkehrentscheidung im Sinn der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) gehandelt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2013, 2013/22/0221).
Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 i.d.F. BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 19. Februar 2014
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Auslegung Diverses VwRallg3/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012220201.X00Im RIS seit
19.03.2014Zuletzt aktualisiert am
23.12.2014