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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des C in S, vertreten durch Mag. Thomas Christl, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Promenade 4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitmarktservice Oberösterreich vom 29. November 1996, Zl. Bl-12896861/1163-9, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Beschwerdeführer steht seit vielen Jahren mit kurzen Unterbrechungen im Bezug von Leistungen aus der Arbeitlosenversicherung. Zuletzt wurde ihm Notstandhilfe ab 1. Oktober 1995 bis 1. September 1996 gewährt.
Am 7. August 1996 nahm die zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift über die Nichtannahme bzw. das Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung auf. Danach sei dem Beschwerdeführer eine Beschäftigung als Glasreiniger mit Arbeitsantritt am 31. Juli 1996 zugewiesen worden. Auf dem für die Niederschrift verwendeten Formular findet sich unter "Stellungnahme des Vermittlers" folgender handschriftlicher Vermerk:
"Hr. B. hat zuletzt 09/91 gearbeitet! Fa. H. - Fr. B. - hat sich am 30.7.96 bzgl. Hrn. B. erkundigt, da er ursprünglich nicht in die engere Wahl der Fa. gekommen war!, sondern vorgemerkt wurde!
Fa. BEB angeboten, da LZA! Fa. H. hat daraufhin tel. mit Hrn. B. Kontakt aufgenommen und Hrn. B. für 31.7.96 zu einem Besprechungstermin eingeladen! Hr. B. hätte am 31.7.96 tagsüber bei der Fa. vorsprechen sollen, da er kein Auto besitzt! DV wäre mit ÖVKM machbar gewesen! B. hat sich aber nicht gemeldet! Daraufhin hat die Fa. von einem möglichen DV Abstand genommen! Hr. B. hat auf Grund seines Verhaltens ein mögliches DV verhindert!"
Die Stellungnahme des Beschwerdeführers wird in diesem Formular wie folgt wörtlich wiedergegeben:
"Das Beschäftigungsverhältnis ist nicht zustande gekommen, weil ich nie einen Termin mit der Fa. ausgemacht habe! Die 'Dame' der Firma hat mich angerufen und hat mich gefragt, ob ich schon ein Auto habe. Ich verneinte, da ich kein Auto besitze. Daraufhin hat die Frau gesagt: 'Da kann man halt nichts machen' und wir beendeten das Gespräch! Ansonsten sind keine Gründe anzugeben! KM: 11.9.96 Berücksichtigungswürdige Gründe: 5-köpfige Familie! Schulden"
2.1. Mit Bescheid vom 12. August 1996 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steyr aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 i.V.m.
§ 10 AlVG in der Zeit vom 31. Juli 1996 bis 1. September 1996 (also bis Bezugsende der Notstandshilfe) verloren habe. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei. Nachsicht werde nicht erteilt. In der Begründung ist nach Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Annahme einer ihm zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung vereitelt. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.
Der Beschwerdeführer erhob am 16. August 1996 Berufung. Darin führte er aus, er habe nie einen konkreten (zweiten) Vorstellungstermin erhalten.
2.2. Auf Grund des Antrags des Beschwerdeführers auf Weitergewährung der ursprünglich bis zum 1. September 1996 gewährten Notstandshilfe ab dem 2. September 1996 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steyr mit Bescheid vom 13. September 1996 aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 i.V.m. § 10 AlVG in der Zeit vom 2. September 1996 bis 10. September 1996 (somit unter Einrechnung des Anspruchsverlusts aus dem Vorbezug in Ergänzung auf 6 Wochen) verloren habe. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei. In der Begründung ist ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Annahme einer ihm zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung vereitelt.
Der Beschwerdeführer erhob auch gegen diesen Bescheid am 24. September 1996 eine mit der vorhin genannten Berufung gleich lautende weitere Berufung.
3. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen keine Folge, sprach jedoch aus, dass dem Beschwerdeführer eine einwöchige Nachsicht von den Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG erteilt werde und die Notstandshilfe ab dem 4. September 1996 im gesetzlichen Ausmaß gebühre.
In der Begründung führte die belangte Behörde nach auszugsweiser Wiedergabe der anzuwenden Gesetzesstellen und kurzer Darstellung des Verfahrensganges aus, es sei unbestritten, dass dem Beschwerdeführer die vom Arbeitsmarktservice Steyr als Glasreiniger zugewiesene Beschäftigung in jeder Hinsicht zumutbar sei. Frau B. von der Fa. H. habe auf Anfrage der Berufungsbehörde zum relevanten Sachverhalt befragt telefonisch Folgendes angegeben:
"Herr B stellte sich am 23.7.1996 bei Fa. H. für die ausgeschriebene Stelle als Glasreiniger vor und wurde von mir zunächst in Vormerkung genommen. Am 30.7.1996 rief ich Herrn B. an um einen weiteren Vorstellungstermin zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang fragte ich auch Herrn B., ob er ein Auto besitze, um von seinem Wohnort zur Firma zu gelangen. Er verneinte dies, gab jedoch an, er müsse ohnehin am nächsten Tag (31.7.1996) mit der Bahn nach Linz fahren und werde dann im Laufe des Vormittages bei der Firma vorbeischauen. Da sich Herr B. am nächsten Tag nicht mehr meldete, sah ich von einer Einstellung ab. Am Abend des 31.7.1996 trug ich dies in das Formular des Arbeitsmarktservice ein. Für die Einstellung ist der Besitz eines PKW nicht erforderlich, da ein Auto von der Firma zur Verfügung gestellt worden wäre."
Am 25. September 1996 habe der Beschwerdeführer zu diesen Angaben telefonisch wie folgt Stellung genommen:
"Am 30.7.1996 rief mich eine Frau von der Fa. H. an und teilte mir mit, die Firma würde für die Stelle als Glasreiniger noch jemanden suchen. Die Frau fragte mich, ob ich ein eigenes Auto hätte. Als ich verneinte antwortete sie: 'Da kann man halt nichts machen' und legte den Hörer auf. Ich hatte daher keine Gelegenheit mehr, etwas zu sagen. Es war nie die Rede von einer weitere Vorstellung."
Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer in der Folge selbst zurückgerufen hätte, habe dieser angegeben, er habe gedacht, dies würde die Firma, falls sie noch Interesse an ihm hätte, ohnedies tun. Weiters habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, es wäre ihm möglich gewesen, die Firma mit dem Zug zu erreichen.
Die belangte Behörde gelangte in freier Beweiswürdigung zur Überzeugung, dass - den Schilderungen der Firma entsprechend - mit dem Beschwerdeführer ein weiterer Vorstellungstermin für den 31. Juli 1996 vereinbart worden sei. Zur Begründung führte sie aus, dass die Firma H. ein offensichtliches Interesse an der Einstellung des Beschwerdeführers als Glasreiniger gehabt habe. Die Firma habe sich nach dem ersten Vorstellungsgespräch erneut an den Beschwerdeführer gewandt, um einen neuerlichen Vorstellungstermin zu vereinbaren. Es habe somit kein Grund bestanden, das Telefongespräch den Schilderungen des Beschwerdeführers entsprechend abrupt zu beenden.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe dadurch, dass er der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht nachgekommen sei, das Zustandekommen eines möglichen Dienstverhältnisses vereitelt.
Auf Grund des Vorliegens eines berücksichtigungswürdigen Umstandes gemäß § 10 Abs. 2 AlVG (Sorgepflicht für drei Kinder) könne dem Beschwerdeführer jedoch eine einwöchige Nachsicht gewährt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, eine völlig lebensfremde Beweiswürdigung vorgenommen zu haben, weil auch nach den Feststellungen der belangten Behörde bei dem "ersten Gespräch am 31. Juli 1996" über das Vorhandensein eines Fahrzeuges gesprochen worden sei und dieses Thema nie angeschnitten worden wäre, wenn das Fahrzeug nicht für die Ausübung des Berufes sowie für die Erreichbarkeit der Arbeitsstelle erforderlich gewesen wäre.
Dieses Argument ist in Anbetracht dessen, dass (im Übrigen am 30. Juli und nicht am 31. Juli 1996) lediglich eine Anreisemöglichkeit des Beschwerdeführers zu dem zweiten Vorstellungstermin besprochen worden war, nicht nachvollziehbar. Die Beweiswürdigung ist überdies nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist (vgl. dazu im Einzelnen die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 684 ff, angeführten Entscheidungen).
Soweit die Beschwerde der belangten Behörde vorwirft, Feststellungen zur Frage der Zumutbarkeit bzw. Erreichbarkeit der Arbeitsstelle verabsäumt zu haben, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der vorliegenden Beschwerde konkret ausführt, worin die Unzumutbarkeit der Beschäftigung liegen sollte. Angesichts einer direkten Bahnverbindung zwischen Steyr und Linz bei einer Fahrzeit von rd. 50 Minuten bestand für die belangte Behörde auch keine Veranlassung, von Amts wegen auf die Frage der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes einzugehen.
Ausgehend von den Feststellungen der belangten Behörde erweist sich deren rechtliche Beurteilung als zutreffend. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Eine solche Beschäftigung ist gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert.
Grundvoraussetzung für die Zuweisungstauglichkeit einer Beschäftigung an einen Arbeitslosen ist, dass dessen Kenntnisse und Fähigkeiten jenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen, die an der zugewiesenen Arbeitsstelle verlangt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 97/08/0414, u.v.a.).
Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt dieser Zeitraum acht Wochen.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 99/08/0159) sind die genannten Bestimmungen Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein.
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc.), oder aber, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.
Unter "Vereitelung" i.S.d. § 10 Abs. 1 AlVG ist daher ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muss in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben. Die Vereitelung i. S.d. § 10 Abs. 1 AlVG verlangt ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Slg. 13.722/A - ständige Rechtsprechung).
Dadurch, dass der Beschwerdeführer am 31. Juli 1996 entgegen seiner Vereinbarung mit dem zukünftigen Dienstgeber zu einem weiteren Vorstellungsgespräch ohne Entschuldigungsgrund nicht erschienen ist, hat er das Nichtzustandekommen des Dienstverhältnisses zumindest in Kauf genommen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Oktober 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997080408.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
04.08.2009