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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verstoß von Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung vor der Novelle 2013 über die Rechtsvermutung des Staatsbürgerschaftserwerbs kraft Abstammung gegen die EMRK wegen Ungleichbehandlung von ehelich und unehelich geborenen Kindern; Unsachlichkeit der Vorschriften für vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geborene Kinder mangels bestehender ÜbergangsregelungenSpruch
I. Das Wort "ehelicher" und die Wortfolge ", b) bei unehelicher Geburt die Mutter" in §8 Abs2 sowie die Wörter "ehelicher" und "uneheliche" in §8 Abs3 StbG 1985, BGBl Nr 311, waren verfassungswidrig.
II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren
1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Verwaltungsgerichtshof festzustellen, dass das Wort "ehelicher" und die Wortfolge ", b) bei unehelicher Geburt die Mutter" in §8 Abs2 sowie die Wörter "ehelicher" und "uneheliche" in §8 Abs3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (im Folgenden: StbG 1985), BGBl 311, verfassungswidrig waren.
1.1. Vor dem Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung anhängig, mit dem festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs2 litb StbG 1985, BGBl 311 (Wv.) idF BGBl I 135/2009, nicht österreichische Staatsbürgerin sei.
Begründend wird hiezu ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei am 23. Dezember 1969 in Wagna (Steiermark) als uneheliches Kind geboren worden. Ihre Mutter sei in der Geburtsurkunde als am 22. Juni 1953 in Feffernitz (Kärnten) geboren, jedoch als "staatenlos" eingetragen. Das im Einzelnen näher dargelegte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Mutter der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Geburt der Beschwerdeführerin nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft und damit Fremde gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe daher die österreichische Staatsbürgerschaft nicht kraft Abstammung nach ihrer Mutter gemäß §7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 erwerben können, weshalb in weiterer Folge gemäß §8 Abs2 StbG 1985 vorzugehen, aber wegen Beweis des Gegenteils auch insoweit dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht Folge zu geben gewesen sei.
1.2. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Vorschrift des §8 Abs2 StbG 1985 von der belangten Behörde tatsächlich herangezogen wurde und damit Voraussetzung für die zu treffende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei. Da die Beschwerdeführerin vor dem 1. September 1983 geboren sei, stütze sich der angefochtene Bescheid in der Sache (auch) auf die zweite Alternative des §8 Abs3 StbG 1985; die belangte Behörde hätte daher auch diese Bestimmung (im angefochtenen Umfang) heranziehen müssen, weshalb sie insoweit ebenfalls Voraussetzung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei.
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof macht folgende Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen im Hinblick auf den in Art7 Abs1 B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz im Zusammenhang mit Art8 EMRK und Art14 EMRK geltend:
Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich auf das — in seinen wesentlichen Entscheidungsgründen wiedergegebene – Erkenntnis VfSlg 19.704/2012 (vgl. auch VfGH 14.3.2013, G63/12 und G65/12), mit dem der Verfassungsgerichtshof das Wort "Eheliche" in §7 Abs1 sowie §7 Abs3 StbG 1985, BGBl 311, als verfassungswidrig aufgehoben hat. Daran anknüpfend begründet der Verwaltungsgerichtshof seine Bedenken wie folgt:
"Diese [im Einzelnen in VfSlg 19.704/2012 angestellten] Erwägungen [zu §7 StbG aF] sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß auf die gegenständlich angefochtenen Bestimmungen übertragbar, zumal durch die Bestimmungen des §8 Abs2 und 3 StbG aF eine dem (im dargestellten Umfang als verfassungswidrig aufgehobenen) §7 StbG aF entsprechende Rechtslage geschaffen werden sollte (vgl. die Gesetzeserläuterungen RV 1272 BlgNR 15. GP, zur Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983, BGBl Nr 170: ‘Die Neufassung des §8 StbG 1965 soll dieser geänderten Rechtslage Rechnung tragen.‘).
Eheliche Kinder erwarben die Staatsbürgerschaft gemäß §8 Abs2 StbG aF nämlich, wenn ihr Vater oder ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren wurden, uneheliche Kinder hingegen nur, wenn dies hinsichtlich der Mutter der Fall war. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in den angefochtenen Regelungen vor diesem Hintergrund deswegen einen Verstoß gegen Art14 iVm Art8 EMRK, weil sie Kinder, deren Eltern (bzw. Mutter) im Gebiet der Republik geboren wurden im Hinblick auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft unterschiedlich behandeln, je nachdem ob das Kind ehelich oder unehelich ist. Für diese Differenzierung ist im Sinne der wiedergegebenen Ausführungen des VfGH nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich bzw. sind ‘sehr gewichtige Gründe‘, nach denen eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder der unehelichen Geburt als mit Art7 B-VG vereinbar angesehen werden kann, nicht erkennbar. Die Bestimmung erscheint daher aus den wiedergegebenen Erwägungen verfassungswidrig.
Ebenso wenig scheint es sachlich gerechtfertigt, dass für vor dem 1. September 1983 geborene Kinder gemäß §8 Abs3 StbG aF der Erwerb der Staatsbürgerschaft für eheliche Kinder nur nach dem in Österreich geborenen Vater, für uneheliche Kinder hingegen nur nach der in Österreich geborenen Mutter möglich war, zumal der Erwerb der Staatsbürgerschaft in diesen Fällen auch durch Abgabe einer Erklärung gemäß der Übergangsbestimmung des ArtII der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983 nicht in Betracht kam (weil hiefür nach Abs1 Z3 leg. cit. die Staatsbürgerschaft der Mutter Voraussetzung war; vgl. dazu die Erkenntnisse des VfGH je vom 14. März 2013, G63/12 sowie G65/12 ua)."
1.4. Zum Anfechtungsumfang führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Worte bzw. Wortfolgen einerseits die als verfassungswidrig erachteten Differenzierungen zwischen unehelichen und ehelichen Kindern beim Erwerb der Staatsbürgerschaft kraft Rechtsvermutung beseitigt würden (indem alle Kinder, die im Gebiet der Republik Österreich geboren wurden, bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung die Staatsbürgerschaft nach §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 erwerben, wenn auch nur ein Elternteil im Gebiet der Republik geboren wurde), ohne dass andererseits mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden würde, als Voraussetzung für den Anlassfall wäre, und der verbleibende Rest des §8 (Abs1 iVm Abs3 1. Alternative) StbG aF auch keine Veränderung seiner Bedeutung erfahre.
2. Die Bundesregierung teilte im Gesetzesprüfungsverfahren mit, von einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.
II. Rechtslage
1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des StbG 1985, BGBl 311 (Wv.) idF BGBl I 135/2009 (also vor der Novelle BGBl I 136/2013) lauten:
1.1. §6 StbG 1985 aF:
"ABSCHNITT II
Erwerb der Staatsbürgerschaft
§6. Die Staatsbürgerschaft wird erworben durch
1. Abstammung (Legitimation) (§§7, 7a und 8); (BGBl 202/1985, ArtI Z2)
2. Verleihung (Erstreckung der Verleihung) (§§10 bis 24);
3. (Anm.: aufgehoben durch BGBl I 122/2009)
4. (Anm.: aufgehoben durch BGBl I 122/2009)
5. Anzeige §§57, 58c und 59."
1.2. §7 StbG 1985 aF (die mit VfSlg 19.704/2012 als verfassungswidrig aufgehobenen Worte bzw. Wortfolgen sind hervorgehoben):
"Abstammung (Legitimation)
§7. (1) Eheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn
a) in diesem Zeitpunkt ein Elternteil Staatsbürger ist oder
b) ein Elternteil, der vorher verstorben ist, am Tag seines Ablebens Staatsbürger war. (BGBl 170/1983, ArtI Z3)
(2) (Entfällt; BGBl 170/1983, ArtI Z4)
(3) Uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn ihre Mutter in diesem Zeitpunkt Staatsbürger ist. Abs1 litb gilt sinngemäß. (BGBl Nr 170/1983, ArtI Z5; BGBl Nr 202/1985, ArtI Z4)
(4) (Entfällt; BGBl Nr 375/1984)"
1.3. §8 StbG 1985 aF (die vom VwGH angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"§8. (1) Bis zum Beweis des Gegenteiles gilt als Staatsbürger kraft Abstammung, wer im Alter unter sechs Monaten im Gebiet der Republik aufgefunden wird.
(2) Das gleiche gilt für eine Person, die im Gebiet der Republik geboren wird, wenn
a) bei ehelicher Geburt ein Elternteil,
b) bei unehelicher Geburt die Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist.
(BGBl Nr 170/1983, ArtI Z6)“
(3) Abs1 gilt auch für Personen, die vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik aufgefunden worden sind, Abs2 auch für Personen, die vor diesem Tag geboren worden sind, wenn ihr ehelicher Vater oder ihre uneheliche Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist. (BGBl Nr 170/1983, ArtI Z6)"
2. Die durch die Novelle BGBl I 136/2013 neugefassten §§7 und 8 StbG 1985 lauten in ihrer geltenden Fassung:
"Abstammung
§7. (1) Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit dem Zeitpunkt der Geburt, wenn in diesem Zeitpunkt
1. die Mutter gemäß §143 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches – ABGB, JGS 946/1811, Staatsbürgerin ist,
2. der Vater gemäß §144 Abs1 Z1 ABGB Staatsbürger ist,
3. der Vater Staatsbürger ist und dieser die Vaterschaft gemäß §144 Abs1 Z2 ABGB anerkannt hat, oder
4. der Vater Staatsbürger ist und dessen Vaterschaft gemäß §144 Abs1 Z3 ABGB gerichtlich festgestellt wurde.
Vaterschaftsanerkenntnisse gemäß Z3 oder gerichtliche Feststellungen der Vaterschaft gemäß Z4, die innerhalb von acht Wochen nach Geburt des Kindes vorgenommen wurden, wirken für den Anwendungsbereich der Z3 und 4 mit dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes.
(2) Das Ableben eines Elternteiles, der die Voraussetzungen gemäß Abs1 Z1 bis 4 vor der Geburt des Kindes erfüllt, hindert den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht, sofern dieser Elternteil am Tag seines Ablebens Staatsbürger war.
(3) Unbeschadet des Abs1 erwerben im Ausland geborene Kinder die Staatsbürgerschaft, wenn
1. im Zeitpunkt der Geburt ein österreichischer Staatsbürger nach dem Recht des Geburtslandes Mutter oder Vater des Kindes ist, und
2. sie ansonsten staatenlos sein würden.
§8. (1) Bis zum Beweis des Gegenteiles gilt als Staatsbürger kraft Abstammung, wer im Alter unter sechs Monaten im Gebiet der Republik aufgefunden wird.
(2) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I 136/2013)
(3) Abs1 gilt auch für Personen, die vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik aufgefunden worden sind. (BGBl Nr 170/1983, ArtI Z6)"
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesbestimmungen zweifeln ließe. Der Verwaltungsgerichthof geht zumindest denkmöglich davon aus, dass er bei der Entscheidung im bei ihm anhängigen Anlassverfahren die angefochtenen Bestimmungen in §8 Abs2 und 3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 anzuwenden hat, die – wie der Verweis in Abs3 auf Abs2 zeigt – in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (zur Maßgeblichkeit dieses Aspekts vgl. VfSlg 7376/1974, 10.705/1985, 10.904/1984, 15.762/2000).
Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. Der Antrag ist auch begründet:
2.1. Die Frage der Erlangung der Staatsbürgerschaft, soweit sich diese auf die Abstammung von den Eltern gründet, fällt in den Schutzbereich des Art8 Abs1 EMRK (VfSlg 19.704/2012; VfGH 14.3.2013, G63/2012, jeweils unter Bezugnahme auf EGMR 11.10.2011, Genovese, Appl. 53.124/2009 [Z33 f.]). Auch der in Art7 Abs1 B-VG österreichischen Staatsbürgern gewährleistete Gleichheitsgrundsatz ist auf Fallkonstellationen, in denen es um die rechtliche Klärung des Status der österreichischen Staatsbürgerschaft für bestimmte Personen geht, anwendbar (VfSlg 19.704/2012; VfGH 27.6.2013, G64/2012). Staatliche Regelungen, die die Erlangung (Erwerb oder Verleihung) der Staatsbürgerschaft in solchen Fällen von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, müssen daher den Anforderungen des Art8 Abs2 EMRK entsprechen und im Einklang mit Art14 EMRK und Art7 Abs1 B-VG ausgestaltet sein. Daher müssen sehr gewichtige Gründe vorliegen, damit eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder unehelichen Geburt oder auf Grund des Geschlechts als mit den genannten Verfassungsbestimmungen vereinbar angesehen werden kann (s. in einschlägigem Zusammenhang wiederum nur VfSlg 19.704/2012; VfGH 14.3.2013, G63/2012; 27.6.2013, G64/2012, jeweils mwH).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in den angefochtenen Bestimmungen des §8 Abs2 und 3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 im Anschluss an VfSlg 19.704/2012 eine unzulässige Diskriminierung unehelicher Kinder. Eheliche Kinder hätten nämlich nach diesen Bestimmungen die Staatsbürgerschaft bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung erworben, wenn ihr Vater oder ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren wurde, während dies für uneheliche Kinder nur der Fall gewesen sei, wenn die Mutter im Gebiet der Republik geboren wurde. Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung durch entsprechend gewichtige Gründe sei nicht erkennbar. Erst recht sei es daher sachlich nicht gerechtfertigt, dass für vor dem 1. September 1983 geborene Kinder gemäß §8 Abs3 StbG 1985 ein solcher Erwerb für eheliche Kinder nur nach dem im Gebiet der Republik geborenen Vater, für uneheliche Kinder hingegen nur nach der im Gebiet der Republik geborenen Mutter möglich war. Ein Erwerb der Staatsbürgerschaft sei in diesen Fällen auch nicht durch Abgabe einer Erklärung gemäß der Übergangsbestimmung des ArtII der Staatbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983 in Betracht gekommen, weil hiefür nach ArtII Abs1 Z3 der genannten Novelle die Staatsbürgerschaft der Mutter Voraussetzung war (womit auch die in VfGH 14.3.2013, G63/2012, und VfGH 14.3.2012, G65/2012, maßgeblichen Rechtfertigungsgründe nicht vorliegen würden).
2.3. §7 StbG 1985 regelt den Grundfall des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch Abstammung (vgl. §6 Z1 StbG 1985), bei dem maßgeblich an die feststehende Staatsbürgerschaft der Eltern angeknüpft wird. §8 StbG 1985 kommt gegenüber §7 StbG 1985 insoweit eine subsidiäre Auffangfunktion zu, als Kinder "bis zum Beweis des Gegenteils" die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung von den Eltern auch dann erwerben können, wenn letztere im Gebiet der Republik geboren sind und ihre Staatsbürgerschaft tatsächlich nicht geklärt werden kann. Denn die Rechtsvermutung des §8 StbG 1985 ist dann entkräftet, wenn die Eltern des Kindes eine fremde Staatsbürgerschaft besitzen oder zumindest nachweisbar ist, dass sie jedenfalls nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft waren (vgl. Zeyringer/Mussger, Österreichisches Staatsbürgerschaftsrecht, 1985, 37 Anm. 2 sowie Fessler et al, Das neue österreichische Staatsbürgerschaftsrecht7, 2006, 61 f.; ebenso bereits der Verfassungsausschussbericht zur RV 497 BlgNR 10. GP [Verabschiedung des StbG 1965] im Zusammenhang mit den zu §8 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 inhaltsgleichen, durch das StbG 1965 erstmals eingeführten Anordnungen [abgedruckt bei Zedtwitz, Staatsbürgerschaftsgesetz 1965, 1. Auflage 1966, 160]: "Der Verfassungsausschuß hält diese Erweiterung für unbedenklich, weil die Rechtsvermutung jederzeit durch den Beweis entkräftet werden kann, daß der eheliche Vater oder die uneheliche Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besaß und sohin das Kind die österreichische Staatsbürgerschaft nicht durch Abstammung erwerben konnte."; vgl. dazu auch EB RV 497 BlgNR 10. GP, 19: "Das im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht herrschende Abstammungsprinzip bereitet in der Praxis […] dann große Schwierigkeiten, wenn bei der Beurteilung der Staatsbürgerschaft […] auf die staatsbürgerschaftsrechtlichen Verhältnisse von Vorfahren höheren Grades zurückgegriffen werden muss, ein eindeutiger Beweis aber, ob diese die Staatsbürgerschaft überhaupt besaßen, nicht zu erbringen ist.").
§8 StbG 1985 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 steht daher mit der Regelung des §7 StbG 1985 in der Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 insoweit in einem engen Zusammenhang, als — abgesehen von der in §8 StbG 1985 auch enthaltenen "Findelkindregelung" — die Rechtsvermutung für die im Gebiet der Republik geborenen Kinder an jene Elternteile anknüpft, von deren Abstammung das Kind an sich nach §7 StbG 1985 die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung erwerben würde, wenn deren österreichische Staatsbürgerschaft feststünde. §8 Abs2 StbG 1985 in der Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 knüpft daher an die — in VfSlg 19.704/2012 für verfassungswidrig erkannte – Rechtslage nach §7 Abs1 und 3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 an.
§8 Abs3 StbG 1985 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 knüpft für vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geborene Kinder an die insoweit maßgebliche Rechtslage des §7 StbG 1965 idF BGBl 250, also in der Stammfassung, an. Diese enthielt eine nur vor dem Hintergrund des damals geltenden Rechts, das Statusfragen des ehelichen Kindes grundsätzlich vom Vater ableitete, verständliche Ungleichbehandlung von Mann und Frau dahingehend, dass eheliche Kinder die Staatsbürgerschaft nur nach dem Vater erwerben konnten (s. VfGH 14.3.2013, G63/2012; 27.6.2013, G64/2012). Mit der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983 hat — im Gefolge familienrechtlicher Reformen — der Gesetzgeber auch im Staatsbürgerschaftsrecht diese als diskriminierend erkannte Ungleichbehandlung von Mann und Frau beseitigt (vgl. auch EB RV 1272 BlgNR 15. GP, 9 f.). Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 14. März 2013, G65/12, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber das dabei auftretende Gleichbehandlungsproblem von vor und nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geborenen Kindern erkannt und ihm durch angemessene Übergangsregelungen entsprechend Rechnung getragen hat, womit die Regelung des §7 StbG 1965 idF BGBl 250 nicht verfassungswidrig war (s. auch VfGH 14.3.2013, G63/2012, hinsichtlich des zu §7 StbG 1965, BGBl 250 im Wesentlichen inhaltsgleichen §3 StbG 1949, BGBl 276).
Mit der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle BGBl I 136/2013 hat der Gesetzgeber §8 Abs2 und 3 StbG dahingehend novelliert, dass diese Bestimmung nunmehr ausschließlich eine Regelung für Findelkinder enthält. Den Wegfall (mit anderen) jener Bestimmungen in §8 Abs2 und 3 StbG 1985 idF vor der genannten Novelle, die im vorliegenden Verfahren den Gegenstand der Anfechtung durch den Verwaltungsgerichtshof bilden, begründet der Gesetzgeber unter Hinweis u.a. auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes damit, dass "eine Differenzierung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern im gesamten Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 nunmehr entbehrlich ist" (s. EB RV 2303 BlgNR 24. GP, 7).
2.4. Dem Verwaltungsgerichtshof ist zunächst dahingehend zu folgen, dass die unterschiedliche Behandlung von ehelichen und unehelichen Kindern gemäß §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 aus denselben Gründen, die in VfSlg 19.704/2012 zur Aufhebung von Bestimmungen in §7 StbG 1985 in der damals geltenden Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 geführt haben, gegen Art14 iVm Art8 EMRK verstößt. Die vom Verfassungsgerichtshof zu §7 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 angestellten Erwägungen sind auch auf die von §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 geregelten Fallkonstellationen zu übertragen (vgl. auch die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Intention des Gesetzgebers, durch §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 eine dem §7 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 entsprechende Rechtslage zu schaffen, EB RV 1272 BlgNR 15. GP, 10).
Wie nach der mit VfSlg 19.704/2012 als verfassungswidrig aufgehobenen Regelung des §7 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 erwerben eheliche Kinder im Fall des §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 die Staatsbürgerschaft mit der Geburt im Gebiet der Republik bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung, wenn ein Elternteil im Gebiet der Republik geboren worden ist. Uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft auf diese Weise, wenn ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist.
Unehelichen Kindern eines Vaters, der im Gebiet der Republik geboren worden ist, und einer Mutter, die eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, steht damit diese Form des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch Abstammung nicht offen, sodass für diese nur ein Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft kraft jener Verleihungstatbestände gemäß den §§10 ff. StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 in Frage kommt, die nicht darauf abstellen, dass die Eltern die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Solches für uneheliche Kinder eines im Gebiet der Republik geborenen Vaters und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit im Hinblick auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft kraft Abstammung im Sinne des §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 in jedem Fall, also beispielsweise auch in Fällen, in denen der Vater die Vaterschaft in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Geburt anerkannt hat und diese im Geburtenbuch gemäß §19 Z4 iVm §8 Abs2 Personenstandsgesetz eingetragen ist, zur Anwendung zu bringen, erweist sich als nicht verhältnismäßig und damit als gegen Art14 iVm Art8 EMRK verstoßend (siehe VfSlg 19.704/2012). Dies schließt freilich, worauf der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 19.704/2012 hingewiesen hat, nicht jede zwischen ehelichen und unehelichen Vätern differenzierende Regelung aus, die den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Kinder kraft Abstammung zum Gegenstand hat.
2.5. Auch die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die angefochtenen Bestimmungen in §8 Abs3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 erweisen sich als berechtigt. Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend darlegt, steht vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geborenen ehelichen Kindern ein Erwerb der Staatsbürgerschaft nach §8 Abs3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung, wenn ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist, nicht offen. Denn eine vergleichbare Übergangsregelung, wie sie ArtII der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983 für eheliche Kinder, deren Mutter österreichische Staatsbürgerin ist, vorgesehen hat und die durch ArtII Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1986 bis zum 31. Dezember 1988 verlängert wurde, besteht für eheliche Kinder, die im Gebiet der Republik geboren wurden, hinsichtlich deren Eltern aber die Staatsbürgerschaft tatsächlich nicht geklärt werden kann, nicht (zur Maßgeblichkeit eines entsprechenden Übergangsregimes bei einer gleichheitsrechtlich gebotenen Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechts s. VfGH 27.6.2013, G64/2012).
Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen der Regelung des §7 und jener des §8 StbG fehlt aber eine sachliche Rechtfertigung dafür, ehelichen Kindern, die vor dem 1. September 1983 geboren wurden, derartige Übergangsregelungen gänzlich vorzuenthalten. Dass der Gesetzgeber §7 StbG 1985 und §8 StbG 1985 in dieser Hinsicht gleich behandeln wollte, geht auch aus den Gesetzesmaterialien hervor, wenn diese ausführen: "Die ehelichen Kinder einer österreichischen Staatsbürgerin sollen nach [§7 Abs1] nunmehr uneingeschränkt mit ihrer Geburt die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung auch nach der Mutter erwerben. Die Neufassung des §8 […] soll dieser geänderten Rechtslage Rechnung tragen." (vgl. EB RV 1272 BlgNR 15. GP; vgl. auch Ringhofer, Staatsbürgerschaftsgesetz idF Novelle 1983, 1984, 44 f.). Die ausschließlich auf einen Erwerb der Staatsbürgerschaft bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung vom ehelichen Vater abstellende Regelung des §8 Abs3 StbG 1985 für Kinder, die vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geboren worden sind, erweist sich daher als unsachlich und damit als Verstoß gegen Art7 Abs1 B-VG.
Gleiches gilt für uneheliche Kinder, die vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geboren worden sind, wenn §8 Abs3 StbG 1985 in der Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 den Erwerb nur von der Mutter, unter keinen Umständen aber vom Vater zulässt (vgl. wiederum VfSlg 19.704/2012).
IV. Ergebnis
1. Es ist daher festzustellen, dass das Wort "ehelicher" und die Wortfolge ", b) bei unehelicher Geburt die Mutter" in §8 Abs2 sowie die Wörter "ehelicher" und "unehelicher" in §8 Abs3 StbG 1985, BGBl 311, verfassungswidrig waren.
2. Eine Fristsetzung für das Außerkrafttreten der Aufhebung kommt bei einem Ausspruch im Sinne des Art140 Abs4 B-VG nicht in Betracht; ohne gleichzeitigen Ausspruch, dass die Gesetzesstelle auch auf die vor der Feststellung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist (Art140 Abs7 B-VG), wirkt sich eine solche Feststellung allerdings nur auf den Anlassfall aus (VfGH 27.6.2013, G64/2012, mit Hinweis auf die Vorjudikatur).
3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Staatsbürgerschaftsrecht, Privat- und Familienleben, Gleichbehandlung, Kinder, ÜbergangsbestimmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G88.2013Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015