RS Vfgh 2014/2/26 G88/2013

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Veröffentlicht am 26.02.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EMRK Art8, Art14
StbG 1985 §7, §8 Abs2, Abs3
StbG-Nov 1983 ArtII
StbG-Nov 1986 ArtII

Leitsatz

Verstoß von Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung vor der Novelle 2013 über die Rechtsvermutung des Staatsbürgerschaftserwerbs kraft Abstammung gegen die EMRK wegen Ungleichbehandlung von ehelich und unehelich geborenen Kindern; Unsachlichkeit der Vorschriften für vor dem 1. September 1983 im Gebiet der Republik geborene Kinder mangels bestehender Übergangsregelungen

Rechtssatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Wortes "ehelicher" und der Wortfolge ", b) bei unehelicher Geburt die Mutter" in §8 Abs2 sowie der Wörter "ehelicher" und "uneheliche" in §8 Abs3 StbG 1985, BGBl 311.

Die unterschiedliche Behandlung von ehelichen und unehelichen Kindern gemäß §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 verstößt aus denselben Gründen, die in VfSlg 19704/2012 zur Aufhebung von Bestimmungen in §7 StbG 1985 in der damals geltenden Fassung vor der Novelle BGBl I 136/2013 geführt haben, gegen Art14 iVm Art8 EMRK.

Eheliche Kinder erwerben im Fall des §8 Abs2 leg cit die Staatsbürgerschaft mit der Geburt im Gebiet der Republik bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung, wenn ein Elternteil im Gebiet der Republik geboren worden ist. Uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft auf diese Weise, wenn ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist.

Unehelichen Kindern eines Vaters, der im Gebiet der Republik geboren worden ist, und einer Mutter, die eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, steht damit diese Form des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch Abstammung nicht offen, sodass für diese nur ein Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft kraft jener Verleihungstatbestände gemäß den §10 ff StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 in Frage kommt, die nicht darauf abstellen, dass die Eltern die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Solches für uneheliche Kinder eines im Gebiet der Republik geborenen Vaters und einer Mutter mit fremder Staatsangehörigkeit im Hinblick auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft kraft Abstammung iSd §8 Abs2 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 in jedem Fall, also beispielsweise auch in Fällen, in denen der Vater die Vaterschaft in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Geburt anerkannt hat und diese im Geburtenbuch gemäß §19 Z4 iVm §8 Abs2 PersonenstandsG eingetragen ist, zur Anwendung zu bringen, erweist sich als nicht verhältnismäßig und damit als gegen Art14 iVm Art8 EMRK verstoßend.

Vor dem 01.09.1983 im Gebiet der Republik geborenen ehelichen Kindern steht ein Erwerb der Staatsbürgerschaft nach §8 Abs3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung, wenn ihre Mutter im Gebiet der Republik geboren worden ist, nicht offen. Denn eine vergleichbare Übergangsregelung, wie sie ArtII der StbG-Novelle 1983 für eheliche Kinder, deren Mutter österreichische Staatsbürgerin ist, vorgesehen hat und die durch ArtII StbG-Novelle 1986 bis zum 31.12.1988 verlängert wurde, besteht für eheliche Kinder, die im Gebiet der Republik geboren wurden, hinsichtlich deren Eltern aber die Staatsbürgerschaft tatsächlich nicht geklärt werden kann, nicht.

Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen der Regelung des §7 und jener des §8 StbG fehlt aber eine sachliche Rechtfertigung dafür, ehelichen Kindern, die vor dem 01.09.1983 geboren wurden, derartige Übergangsregelungen gänzlich vorzuenthalten. Dass der Gesetzgeber §7 StbG 1985 und §8 StbG 1985 in dieser Hinsicht gleich behandeln wollte, geht auch aus den Gesetzesmaterialien hervor. Die ausschließlich auf einen Erwerb der Staatsbürgerschaft bis zum Beweis des Gegenteils kraft Abstammung vom ehelichen Vater abstellende Regelung des §8 Abs3 StbG 1985 für Kinder, die vor dem 01.09.1983 im Gebiet der Republik geboren worden sind, erweist sich daher als unsachlich und damit als Verstoß gegen Art7 Abs1 B-VG.

Gleiches gilt für uneheliche Kinder, die vor dem 01.09.1983 im Gebiet der Republik geboren worden sind, wenn §8 Abs3 StbG 1985 idF vor der Novelle BGBl I 136/2013 den Erwerb nur von der Mutter, unter keinen Umständen aber vom Vater zulässt (vgl VfSlg 19704/2012).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Staatsbürgerschaftsrecht, Privat- und Familienleben, Gleichbehandlung, Kinder, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G88.2013

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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