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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der HK in F, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit vom 15. Juni 2012, Zl. BMG- 74100/0068-II/B/10/2012, betreffend Entschädigung nach dem Tierseuchengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und in seinem Spruchpunkt II. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde (unter gleichzeitiger Stattgebung des Devolutionsantrags der Beschwerdeführerin wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das "Amt der Kärntner Landesregierung") den Antrag der Beschwerdeführerin auf Entschädigung für die drei in ihrem Bestand verendeten Mutterkühe und drei Jungkälber (die jeweils nach Ohrmarkennummern präzisiert wurden) gemäß den §§ 48, 51, 58 und 61 Tierseuchengesetz, RGBl. Nr. 177/1909 idF BGBl. I Nr. 50/2012 (TSG), ab (Spruchpunkt I.). Weiters wies sie den Antrag "auf Ersatz sonstiger im Betrieb der Beschwerdeführerin entstandener Schäden" gemäß den §§ 48 und 61 TSG zurück (Spruchpunkt II.).
In der Begründung ging die belangte Behörde zusammengefasst davon aus, die Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 15. Jänner 2010 das Verenden von drei Kühen und drei Kälbern, die jeweils nach Ohrmarkennummern präzisiert wurden, geltend gemacht, und - nachdem diese im Jänner bzw. Februar 2009 einer behördlich angeordneten Schutzimpfung gegen die Blauzungenkrankheit unterzogen worden seien - die Zuerkennung einer Entschädigung in Höhe des Wertes der verendeten Tiere begehrt, weil deren Tod auf die genannten Impfungen zurückzuführen sei.
Dieser Antrag sei, wie unter Spruchteil I. ausgeführt, abzuweisen gewesen, da für die Zuerkennung der Entschädigung nach § 48 TSG ein Kausalzusammenhang zwischen der angeordneten Impfung und dem Verenden der Tiere notwendig sei. Im vorliegenden Fall habe ein solcher Kausalzusammenhang weder aufgrund der Behauptungen der Beschwerdeführerin noch aufgrund der Ermittlungsergebnisse festgestellt werden können. Aus den Unterlangen der Landesveterinärdirektion für Kärnten ergebe sich, dass der vor Ort tätige Amtstierarzt sowie die Fachreferenten des Amtes der Kärntner Landesregierung diesen Kausalzusammenhang ausgeschlossen hätten.
Die von der belangten Behörde hinzugezogene amtliche Sachverständige sei aufgrund der ihr vorgelegten Unterlagen und ihrer Fachexpertise zur Schlussfolgerung gelangt, dass ein gesicherter Kausalzusammenhang nicht bestehe. Diesem Gutachten sei die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Auch die von ihr vorgebrachte Tatsache, dass das zuletzt verendete Tier negativ auf das Bovine Respiratorische Syncytialvirus (BRSV) getestet worden sei, könne nicht als Beweis für die behaupteten Impfkomplikationen erkannt werden, weil dieses Tier am 25. August 2009, somit mehr als sechs Monate nach Verabreichung der zweiten Blauzungenimpfung, verendet sei.
Die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsansicht, dass bei Impfschäden der Anscheinsbeweis gelte, sei nicht zutreffend, weil das TSG keine diesbezüglichen Sonderbestimmungen enthalte. Daher treffe die belangte Behörde keineswegs die Verpflichtung, die Todesursache der Tiere zur Widerlegung der Kausalität der Blauzungenimpfung zu ermitteln, "vielmehr hat die Beschwerdeführerin selbst ihre Behauptungen zu beweisen".
Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe auch den Ersatz sonstiger im Betrieb entstandener Schäden ("Kosten aufgrund von Erkrankungen in ihrem Bestand und die dadurch hervorgerufenen Tierarztkosten, Verminderung der Mutterkuhprämie, etc.") geltend gemacht, für die das TSG keine Entschädigung vorsehe. Dieser Antrag sei daher mangels Rechtsgrundlage zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Im vorliegenden Fall sind nachstehende Bestimmungen des Tierseuchengesetzes, RGBl. Nr. 177/1909 in der Fassung BGBl. I Nr. 36/2008 (TSG), maßgeblich:
"Besondere Schutzmaßnahmen.
§ 25a. (1) Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat bei Gefahr der Weiterverbreitung von Tierseuchen die Schutzimpfung der für eine bestimmte Seuche empfänglichen Tiere, die in der Nähe von Tierseuchenversuchsanstalten und Anstalten zur Herstellung von Tierimpfstoffen gehalten werden, anzuordnen.
...
(3) Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz kann auch bei Tierseuchen, für die keine amtliche Schutzimpfung (§§ 31 bis 46) vorgesehen ist, bei Gefahr der Weiterverbreitung im Inland die Schutzimpfung der für eine bestimmte Seuche empfänglichen Tiere anordnen.
...
VI. Abschnitt.
Entschädigung für Viehverluste und für aus Anlaß der Desinfektion vernichtete Gegenstände.
Entschädigungen aus Bundesmitteln.
§ 48. (1) Der Bund hat nach den §§ 50 bis 58 Entschädigungen für Vermögensnachteile zu leisten,
1. wenn Einhufer, Wiederkäuer, Schweine und Geflügel, ausgenommen den Fall des § 39 (Räude der Einhufer),
...
d) infolge einer behördlich angeordneten Impfung
verendet sind oder
...
(3) Für die Bemessung der Entschädigung gemäß Abs. 1 Z 1 lit. a und b ist der Zeitpunkt der Anordnung der Tötung, gemäß Abs. 1 Z 1 lit. d der Zeitpunkt, in welchem das Tier verendet ist, maßgebend.
...
Höhe der Entschädigung.
Für Wiederkäuer und Einhufer.
§ 51. (1) Die Entschädigung für Wiederkäuer und Einhufer gemäß § 48 Abs. 1 Z 1 ist in der Höhe des Verkehrswertes zu leisten, den ein vergleichbares Tier zu dem im § 48 Abs. 3 genannten Zeitpunkt hatte.
(2) Der Verkehrswert ist durch eine von der Schätzungskommission (Abs. 3) durchzuführende Schätzung festzustellen. Die Schätzung von Tieren, deren Tötung angeordnet wurde, ist vor deren Tötung vorzunehmen. In besonders dringenden Fällen kann die Schätzung nach vollzogener Tötung durchgeführt werden.
...
§ 58.
Entscheidungskompetenz.
(1) Der Landeshauptmann entscheidet über die Zu- oder Aberkennung der Entschädigung oder Vergütung. Eine Berufung gegen diese Entscheidung ist nicht zulässig.
..."
1.2. Hinsichtlich der Impfung der in Rede stehenden Tiere der Beschwerdeführerin war durch die Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend über Maßnahmen zur Bekämpfung der Blauzungenkrankheit, BGBl. II Nr. 148/2008 idF BGBl. II Nr. 4/2009 (Bluetongue-Bekämpfungsverordnung), Folgendes angeordnet:
"Impfgebiete
§ 7. (1) Die Gebiete gemäß Anhang C werden ab dem dort genannten Datum zur Impfzone erklärt. In diesen Gebieten sind zur Verhinderung der Verbreitung der Bluetongue im Inland jedenfalls alle Rinder, die zum Zeitpunkt der Impfung über drei Monate alt sind, sowie alle Schafe und Ziegen, die zum Zeitpunkt der Impfung über ein Monat alt sind, innerhalb dem im Anhang C genannten Zeitraum einer amtlichen Schutzimpfung gemäß § 25a Tierseuchengesetz gegen Bluetongue zu unterziehen.
...
Anhang C
Amtliche Impfungen
1. Gebiete in denen amtliche Schutzimpfungen gemäß § 7 durchgeführt werden (Sperrzone gemäß Verordnung (EG) Nr. 1266/2007):
...
Ab 15. Dezember 2008: das gesamte Bundesgebiet.
2. Impfzeitraum für die Durchführung der amtlichen Schutzimpfungen gemäß § 7:
Die Schutzimpfungen sind ab den in Punkt 1. jeweils genannten Zeitpunkten bis 31. März 2009 durchzuführen.
3. Impfstoff für die amtlichen Schutzimpfungen gemäß § 7:
Die amtliche Schutzimpfung hat mit dem Impfstoff BTVPUR AlSap 8 der Firma Merial zu erfolgen.
..."
2.1. Im vorliegenden Fall ist unstrittig davon auszugehen, dass die im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Tiere der Beschwerdeführerin einer behördlich angeordneten Impfung iSd § 48 Abs. 1 Z. 1 lit. d TSG unterzogen wurden. Strittig ist, ob diese Tiere "infolge" dieser Impfung verendet sind, ob somit ein Kausalzusammenhang zwischen der genannten Impfung und dem Verenden der Tiere besteht.
2.2. Einen solchen Kausalzusammenhang hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid verneint und sich dazu auf die "Unterlagen der Landesveterinärdirektion" sowie das Gutachten der von ihr beigezogenen amtlichen Sachverständigen gestützt.
Wie die Beschwerde zutreffend einwendet, vermögen diese (aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlichen) behördlichen Ermittlungsergebnisse die Rechtsansicht der belangten Behörde, es fehle der genannte Kausalzusammenhang, nicht zu tragen:
2.2.1. Zwar finden sich im Verwaltungsakt zwei Prüfberichte der Landesanstalt für veterinärmedizinische Untersuchungen vom 20. April 2009 über durchgeführte Obduktionen, die entsprechend den Ohrmarkennummern zumindest zwei der sechs verendeten Tiere der Beschwerdeführerin betreffen (hinsichtlich der anderen vier Tiere fehlen solche Prüfberichte). Die Beurteilung des Prüfberichtes betreffend das eine Tier lautet auf "Verdacht für das Vorliegen BRSV Infektion" und betreffend das andere Tier auf "Vorliegen einer stark ausgeprägten fibrinösen Pneumonie sowie eines Darmvolvulus und einer Darminvagination". Allerdings beantwortet keiner dieser Prüfberichte die Frage, ob (und weshalb) diese Obduktionsergebnisse für oder gegen die Kausalität der Impfung sprechen.
2.2.2. Mit dieser Frage setzt sich aber auch die von der belangten Behörde eingeholte Stellungnahme der "Abteilung II/B/11 des Bundesministeriums für Gesundheit" (die im Akt erliegende, undatierte Stellungnahme lässt weder den Namen des Sachverständigen noch dessen Fachgebiet erkennen) nicht nachvollziehbar auseinander. Diese nimmt zwar Bezug auf die genannten Obduktionsergebnisse der beiden Prüfberichte und meint, diese "legen nahe", dass bereits vor der Impfung der Tiere bei der Beschwerdeführerin "Bestandsprobleme" vorgeherrscht hätten (das Vorliegen einer BRSV-Problematik vor der Impfung könne nur "vermutet werden, ist jedoch als sehr wahrscheinlich anzusehen"). Die entscheidende Frage, ob und vor allem weshalb der Tod der Tiere nicht Folge der genannten Impfung war, bleibt jedoch unbeantwortet.
Die belangte Behörde hat es daher verabsäumt, auf sachverständiger Grundlage nachvollziehbar darzulegen, weshalb das Verenden der Tiere der Beschwerdeführerin nicht in einem Kausalzusammenhang mit der genannten Impfung gegen die Blauzungenkrankheit steht. Dies hätte nämlich insbesondere erfordert, zunächst die Erkennungsmerkmale (Symptome) dieser Krankheit darzustellen (laut Gegenschrift der belangten Behörde sei ein Kausalzusammenhang in anderen, insgesamt 89 Fällen "zweifelsfrei" erwiesen worden) und daran anknüpfend darzulegen, ob die konkret zu beurteilenden Tiere diese Symptome aufwiesen. Entsprechendes gilt für das im angefochtenen Bescheid angesprochene Zeitintervall zwischen Impfung und dem Verenden der Tiere.
Die Frage, ob die Impfung gegen die Blauzungenkrankheit den Tod der Tiere der Beschwerdeführerin verursacht hat, ist von der Behörde aufgrund schlüssiger Sachverständigengutachten von Amts (§ 39 Abs. 2 AVG) wegen zu ermitteln. Die belangte Behörde irrt daher, wenn sie meint, die Beschwerdeführerin habe "selbst ihre Behauptungen zu beweisen".
Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang des Spruchpunktes I. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
3. Unter Spruchpunkt II. wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin "auf Ersatz sonstiger in ihrem Betrieb entstandener Schäden" zurück und meinte in der Begründung, konkret habe die Beschwerdeführerin auch den Ersatz der "Kosten aufgrund von Erkrankungen in ihrem Bestand und die dadurch hervorgerufenen Tierarztkosten, Verminderung der Mutterkuhprämie, etc." begehrt. Damit übersieht die belangte Behörde, dass sie aufgrund des eingangs erwähnten Devolutionsantrages vom 19. Jänner 2011 nur zuständig war, über den (vom Landeshauptmann von Kärnten unerledigten) Antrag der Beschwerdeführerin vom 15. Jänner 2010 abzusprechen. Dieser Antrag vom 15. Jänner 2010 betraf jedoch, wie die Aktenlage zeigt, nur die Entschädigung für die genannten sechs Tiere in Höhe des Verkehrswertes und enthielt kein Begehren auf Ersatz sonstiger im Betrieb entstandener Schäden, sodass die belangte Behörde nicht zuständig war, im Devolutionsweg darüber zu entscheiden.
Der Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen (vom Verwaltungsgerichtshof amtswegig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff. VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 27. Jänner 2014
Schlagworte
Anforderung an ein GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012110157.X00Im RIS seit
20.02.2014Zuletzt aktualisiert am
28.03.2014