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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art126a, Art126b Abs2, Art127 Abs3, Abs8Leitsatz
Feststellung der Befugnis des Rechnungshofes zur Gebarungsüberprüfung der Media Quarter Marx Errichtungs- und Verwertungsgesellschaft mbH und zur Einsichtnahme in sämtliche gebarungsrelevanten Unterlagen der Gesellschaft auf Grund der tatsächlichen Beherrschung durch die Stadt Wien im Hinblick auf die Einflussmöglichkeit über die "Wirtschaftsagentur Wien. Ein Fonds der Stadt Wien" und die "ZIT - Die Technologieagentur der Stadt Wien GmbH"Rechtssatz
Die Gesellschafter der Media Quarter Marx Errichtungs- und Verwertungsgesellschaft mbH (MQM) sind einerseits die ZIT - Technologieagentur der Stadt Wien GmbH und andererseits die VBM Beteiligungsmanagement GmbH. Die ZIT steht im Alleineigentum der Wirtschaftsagentur. Sowohl die Wirtschaftsagentur als auch die ZIT unterliegen gemäß Art127 Abs1 bzw Art127 Abs3 iVm Art127 Abs8 B-VG der Gebarungsüberprüfung durch den Rechnungshof (vgl KR3/2013 und KR2/2013, beide E v 12.12.2013).
Da die ZIT (nur) 40 % und die VBM (als "private" Gesellschaft) 60 % des nominellen Stammkapitals der MQM hält, kommt die Zuständigkeit des Rechnungshofes gemäß Art127 Abs3 (iVm Abs8) B-VG auf Grund der Beteiligung der ZIT am Stammkapital der MQM nicht in Betracht. Die Zuständigkeit des Rechnungshofes kann sich somit im vorliegenden Fall nur daraus ergeben, dass die Stadt Wien über die Wirtschaftsagentur und die ZIT die MQM "durch finanzielle oder sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen tatsächlich beherrscht" (Art127 Abs3 und Abs8 iVm Art126b Abs2 B-VG).
Die ZIT und die VBM müssen auf Grund der gesellschafts- und syndikatsvertraglichen Grundlagen in den in §7 Abs5 des Gesellschaftsvertrags genannten Angelegenheiten der MQM (Geschäftsführungsmaßnahmen wie zB Erwerb, Veräußerung, Verpachtung oder Verpfändung von Liegenschaften sowie Geschäfte, die diesen in wirtschaftlicher Hinsicht gleichkommen; die Festlegung allgemeiner Grundsätze der Geschäftspolitik etc) gemeinsam vorgehen. Beide Gesellschafter können dementsprechend in allen wesentlichen Angelegenheiten der MQM den anderen Gesellschafter blockieren; keiner der beiden Gesellschafter kann ohne den anderen etwas durchsetzen.
Der Gegenstand des Unternehmens der MQM wird im Gesellschaftsvertrag mit dem Erwerb und der Verwaltung jener Liegenschaften festgelegt, auf denen das Projekt Media Quarter Marx verwirklicht werden soll.
Vor dem Hintergrund des Unternehmensgegenstands der MQM sind die gesellschafts- und syndikatsvertraglichen Regelungen zu beurteilen.
Da die VBM und die ZIT in allen wesentlichen Angelegenheiten der MQM gemeinsam vorgehen müssen, erweist sich die rechtliche Stellung der ZIT einer 50 %-igen Beteiligung am Stammkapital vergleichbar: Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der Festlegung der Beteiligungshöhe im Ausmaß von "mindestens 50 vH des Stammkapitals" bewusst Konstellationen in Kauf genommen, bei denen eine Gleichstellung zwischen den Gesellschaftern entstehen kann. Hat nämlich ein der Rechnungshofkontrolle unterliegender Rechtsträger eine Beteiligung von exakt 50 % des Stammkapitals und hat ein anderer Gesellschafter eine genauso hohe Beteiligung, kann keiner der beiden Gesellschafter ohne den anderen etwas in der Gesellschaft durchsetzen. Genau dieses Ergebnis wird nun durch den Gesellschaftsvertrag der MQM und den zwischen der ZIT und der VBM geschlossenen Syndikatsvertrag zwischen diesen beiden Gesellschaftern in den wesentlichen Angelegenheiten der MQM hergestellt. Durch den Gesellschaftsvertrag und den Syndikatsvertrag werden die VBM und die ZIT in den wesentlichen Angelegenheiten der MQM so gestellt, als ob beide eine Beteiligung von 50 % des Stammkapitals der MQM hielten.
Ein der Gebarungsüberprüfung durch den Rechnungshof unterworfener Rechtsträger ist nicht befugt, die Einsicht zu Zwecken der allgemeinen Gebarungsüberprüfung zu behindern oder von Bedingungen abhängig zu machen. Eine Übermittlung der gebarungsrelevanten Unterlagen der MQM in anonymisierter Form kommt daher nicht in Betracht.
Aus der umfassenden Einsichtsbefugnis des Rechnungshofes kann aber keineswegs eine umfassende Informationspflicht des Rechnungshofes gegenüber der Allgemeinheit abgeleitet werden; der Rechnungshof hat vielmehr bei seiner Berichterstattung regelmäßig eine Interessenabwägung zwischen privaten Geheimhaltungsinteressen (vgl §1 DSG) und öffentlichen Interessen, zu denen unter anderem auch die Bekanntgabe der Kontrollergebnisse zählt, vorzunehmen (vgl VfSlg 17065/2003).
Schlagworte
VfGH / Rechnungshofzuständigkeit, GesellschaftsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:KR1.2013Zuletzt aktualisiert am
29.12.2014