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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §68 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des U S in E, vertreten durch die Stix Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Kärntner Straße 10/5, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. März 2011, Zl. Ve1-8-1/444-8, betreffend Untersagung der Benützung gemäß Tiroler Bauordnung 2001 (mitbeteiligte Partei: Gemeinde E), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu setzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 11. Jänner 2010 untersagte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Beschwerdeführer als Eigentümer eines näher genannten Objektes gemäß § 37 Abs. 4 lit. d Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001) die Benützung des Gebäudes ab 28. Februar 2010. Begründend führte er aus, das gegenständliche Objekt sei als Dreifamilienwohnhaus bewilligt worden. Das Bauansuchen auf eine Änderung des Verwendungszweckes der Wohnungen im Erdgeschoß und im Dachgeschoß zur Verwendung als Ferienwohnungen sei abgewiesen worden. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in dem gegenständlichen Projekt Ferienwohnungen kurzfristig an wechselnde Feriengäste vermiete, werde nicht bestritten. Das Gebäude werde somit zweckwidrig verwendet, weshalb die Untersagung aufzutragen gewesen sei. Dem Bescheid lag als Anlage eine "Kopie der Bettenstatistik des Tourismusverbandes vom 27.05.2009" bei, wonach der Beschwerdeführer mit seiner eigenen Unterschrift bestätigte, im verfahrensgegenständlichen Haus Ferienwohnungen mit zehn Betten und sechs Zusatzbetten gewerblich zu vermieten.
Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung vom 8. Februar 2010 - in welcher der Beschwerdeführer unter anderem vorbrachte, er habe seinen Hauptwohnsitz in dem verfahrensgegenständlichen Gebäude - wurde vom Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 18. März 2010 abgewiesen. Begründend führte die Berufungsbehörde unter anderem aus, Feststellungen dazu, wie die Liegenschaft genutzt werde, erübrigten sich "auf Grund der Aktenlage".
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 30. März 2010 Vorstellung.
Mit Bescheid vom 18. August 2010 wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers als unzulässig zurück. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass es sich bei dem Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 18. März 2010 um einen "Nichtbescheid" handle, weil er den Anforderungen des § 58 AVG nicht entspreche; er enthalte insbesondere keinen Spruch. Somit fehle ein essenzieller Teil des Bescheides, weshalb es sich um einen "Nichtbescheid" handle. Dagegen könne keine Vorstellung erhoben werden, weshalb diese als unzulässig zurückzuweisen gewesen sei.
Mit E-Mail der mitbeteiligten Gemeinde vom 28. September 2010 teilte diese der belangten Behörde mit, dass der Bescheid im Vorstellungsakt nicht richtig kopiert worden sei und es daher zu der Entscheidung vom 18. August 2010 gekommen sei. Es werde jener Bescheid übermittelt, der dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers übermittelt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2010 übermittelte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde der belangten Behörde neuerlich den vollständigen Akt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid (vom 4. März 2011) wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 18. März 2010 als unbegründet ab. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass das Gebäude nicht zum bewilligten Zweck - nämlich zu Wohnzwecken - verwendet werde, der Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 lit. b TROG 2006 nicht zur Anwendung komme und daher davon auszugehen sei, dass das Objekt rechtswidrig als Freizeitwohnsitz genutzt werde. Die Erstbehörde habe den maßgeblichen Sachverhalt festgestellt, indem sie unter Hinweis auf einen Auszug der Statistik Austria ihrer Entscheidung eine Vermietung von zehn Betten und sechs Zusatzbetten zugrunde gelegt habe. Dieser Auszug sei als integrierender Bestandteil des Bescheides diesem angeschlossen gewesen. Angesichts dessen habe außer Betracht bleiben können, ob der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in dem Gebäude habe, weil der Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 lit b TROG 2006 schon aufgrund der Bettenanzahl nicht mehr gegeben sei.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen zunächst bei ihm erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 24. September 2012, B 520/11-9, ab und trat die Beschwerde unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In der nach Aufforderung vom Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde bringt zunächst vor, die belangte Behörde habe mit Bescheid vom 18. August 2010 die Vorstellung des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 23. August 2010 zugestellt worden. Da der Beschwerdeführer diesen nicht bekämpft habe, sei der Bescheid vom 18. August 2010 rechtskräftig geworden. Im selben Verwaltungsverfahren habe die belangte Behörde nun ein zweites Mal über die Vorstellung des Beschwerdeführers vom 30. März 2010 entschieden. Die belangte Behörde habe somit mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 14. März 2011 ohne Antrag (ohne Vorstellung) des Beschwerdeführers inhaltlich entschieden. Damit habe sie über einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt ohne diesbezüglichen Antrag einen Bescheid erlassen, und dadurch eine Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen, die ihr nicht zustehe. Sie setze sich somit über die Rechtskraft ihres eigenen vorangegangen Bescheides vom 18. August 2010 hinweg.
Dazu ist Folgenden auszuführen:
Alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens haben einen Rechtsanspruch gegenüber der Behörde auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft. Setzt sich die Behörde über die materielle Rechtskraft des Bescheides hinweg und erlässt sie trotz Unwiderrufbarkeit/Unabänderlichkeit und Unwiederholbarkeit in derselben und damit "entschiedenen Sache" nochmals von Amts wegen oder auf Antrag eine Entscheidung, ohne dazu (z.B. gemäß § 68 Abs. 2 bis 4, §§ 69, 71 AVG oder durch spezielle Verwaltungsvorschriften) ermächtigt zu sein, ist der Bescheid nach der ständigen hg. Rechtsprechung inhaltlich rechtswidrig, aber nicht absolut nichtig (vgl. die Ausführungen in Hengstschläger - Leeb, AVG, Rz 48 f zu § 68).
Die belangte Behörde führte in ihrer Gegenschrift aus, bei Aktenvorlage zur Vorstellung vom 30. März 2010 sei der Berufungsbescheid vom 18. März 2010 irrtümlich nur einseitig kopiert worden, sodass dieser keinen Spruch enthalten habe. Daher sei die Vorstellung des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen worden. Dieser Irrtum sei mit E-Mail vom 28. September 2010 und Vorlage der vollständigen Verfahrensakten aufgeklärt worden. Die belangte Behörde habe sodann auf Grundlage der veränderten Verhältnisse mit einer neuerlichen Entscheidung über die Vorstellung vom 30. März 2010 entschieden. Eine "res iudicata" liege nicht vor, weil der Vorstellungsbehörde ein fehlerhafter und unvollständiger - somit nicht gleichlautender - Bescheid wie dem Beschwerdeführer vorgelegen sei. Die belangte Behörde habe somit nicht über die Vorstellung des Beschwerdeführers, die sich gegen den rechtmäßigen Bescheid gerichtet habe, entschieden, sondern habe "einen anderen Bescheid als Nichtbescheid" erklärt. Über den dem Beschwerdeführer zugestellten Bescheid sei gar nicht entschieden worden, dieser bestehe nach wie vor.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 18. August 2010 über die Vorstellung des Beschwerdeführers entschied, indem sie diese als unzulässig zurückwies. Dadurch nahm sie ihre Entscheidungskompetenz in Anspruch. Aus welchen Gründen - im vorliegenden Fall wegen eines Kopierfehlers - die Entscheidung in dieser Form getroffen wurde, ist dabei ebenso wenig entscheidend wie der Umstand, dass dem Beschwerdeführer ein vollständiger Berufungsbescheid zugestellt wurde. Der Bescheid vom 18. August 2010 wurde rechtskräftig und ist nach wie vor im Rechtsbestand, auch wenn er sich nach Aufklärung des Irrtums als rechtswidrig erweist. Die belangte Behörde setzte sich daher mit der neuerlichen Entscheidung über die Rechtskraft des Bescheides vom 18. August 2010 hinweg und sprach nochmals über die bereits erledigte Vorstellung, und zwar in inhaltlich abweisender Weise (Ab- statt Zurückweisung) ab.
Die belangte Behörde hat damit eine ihr nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen, sodass ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit behaftet ist, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 12. Dezember 2013
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeZulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der BefugnisseIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2012060208.X00Im RIS seit
22.01.2014Zuletzt aktualisiert am
31.07.2015