TE Vwgh Erkenntnis 2013/12/16 2013/11/0111

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Veröffentlicht am 16.12.2013
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Index

68/01 Behinderteneinstellung;

Norm

BEinstG §8 Abs2 idF 2010/I/111;
BEinstG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, in der Rechtssache der beschwerdeführenden Partei Land Steiermark, vertreten durch Mag. Bernd Wurnig, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schillerplatz 1, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 21. Februar 2013, Zl. BMASK-44140/0001-IV/A/7/2013, betreffend Zustimmung zur Kündigung gemäß § 8 Behinderteneinstellungsgesetz (mitbeteiligte Partei: A P in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II; weitere Partei:

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2012 erteilte der Behindertenausschuss beim Bundessozialamt, Landesstelle Steiermark (iF auch: BSA) - einem entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin vom 30. August 2012 stattgebend - gemäß § 8 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung des Mitbeteiligten.

In der Begründung traf das BSA zunächst Feststellungen zum Verfahrensgang:

Der Mitbeteiligte habe am 16. Jänner 2008 einen Antrag auf Aufnahme in den Personenkreis der begünstigten Behinderten gestellt, der - im Instanzenzug - mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 abgewiesen worden sei. Nach Aufhebung dieses Bescheids durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. September 2011, Zl. 2010/11/0018, sei das Verfahren von der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten mit Bescheid vom 24. Mai 2012 abgeschlossen und festgestellt worden, dass der Mitbeteiligte auf Grund eines Grades der Behinderung von 50 vH ab 26. Mai 2008 dem Personenkreis der begünstigten Behinderten zuzuzählen sei.

Der Mitbeteiligte habe die von der Beschwerdeführerin am 12. Juni 2008 zum 31. Oktober 2008 ausgesprochene Kündigung gemäß §§ 105 ff ArbVG vor dem Landesgericht für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht angefochten. Das Klagebegehren sei mit Urteil vom 23. Oktober 2008 abgewiesen, einer dagegen erhobenen Berufung vom Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 4. Februar 2009 nicht Folge gegeben worden. Auf Basis des Bescheids der Bundesberufungskommission vom 24. Mai 2012 sei mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 12. September 2012 die Wiederaufnahme des Anfechtungsverfahrens bewilligt und im wiederaufgenommenen Verfahren (wegen Fehlens der Zustimmung zur Kündigung durch den Behindertenausschuss) der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses festgestellt worden.

Der Mitbeteiligte weise folgende Gesundheitsschädigungen auf:

1.

Degenerative Wirbelsäulenveränderung

30 vH

2.

Rezidivierende depressive Störung

40 vH

3.

Bluthochdruck

20 vH

4.

Gastritis

10 vH

5.

Geringe Arthrose des rechten Kniegelenkes

10 vH

Die Erstbehörde traf weiters Feststellungen zum beruflichen Werdegang des Mitbeteiligten im Zeitraum 1989 bis 2008. Mit 1. Juli 1997 sei das Dienstverhältnis zur Beschwerdeführerin unter Anrechnung von Vordienstzeiten begründet worden; zuletzt, ab 19. Juni 2006, sei der Mitbeteiligte auf seinen Wunsch hin als Amtsbote eingesetzt worden, welche Tätigkeit er bis zur Kündigung des Dienstverhältnisses (am 12. Juni 2008 zum 31. Oktober 2008) ausgeübt habe. Nach weiteren Feststellungen zur sozialen Situation des Mitbeteiligten - dieser sei für zwei Kinder im Alter von zehn und zwölf Jahren unterhaltspflichtig, er sei nicht verheiratet, seine Lebensgefährtin erziele ein monatliches Nettoeinkommen von ca. EUR 1.000,--, er selbst habe zuletzt ein monatliches Nettoeinkommen von ca. EUR 1.400,-- bzw. eine monatliche Berufsunfähigkeitspension in der Höhe von ca. EUR 780,--

bezogen; er habe monatliche Tilgungsraten von EUR 350,-- bzw. von monatlich EUR 50,-- für einen Hauskredit bzw. einen Autokredit zu leisten - stellte das BSA weiter fest, der Mitbeteiligte habe sich "über die letzten elfeinhalb Jahre hinweg, bis zum Ausspruch der Kündigung durchschnittlich 111 Tage pro Jahr im Krankenstand befunden"; vom 1. Jänner 2008 bis 23. Oktober 2008 habe er sich an weiteren 163 Tagen im Krankenstand befunden. Krankenstände bzw. Rehabilitationsaufenthalte in den Jahren 2006 und 2007 seien Folge eines am 30. August 2006 erlittenen Arbeitsunfalls gewesen.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BSA zunächst aus, es sei zur Beurteilung der Frage, ob der am 12. Juni 2008 ausgesprochenen Kündigung nachträglich zugestimmt werde, die "neue", ab 1. Jänner 2011 geltende Rechtslage heranzuziehen. Gemäß § 8 Abs. 2 BEinstG idF der Novelle 111/2010 sei ein Ausnahmefall, der die Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung rechtfertige, dann gegeben, wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt war und nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer dem Personenkreis der begünstigen Behinderten im Sinne des § 2 BEinstG angehöre. Dem Dienstgeber, der Beschwerdeführerin, habe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft des Mitbeteiligten als begünstigter Behinderter nicht bekannt sein können, zumal diese erst mit Bescheid vom 24. Mai 2012 - rückwirkend ab 26. Mai 2008 - festgestellt worden sei.

Nach einer Wiedergabe der maßgebenden Bestimmungen des BEinstG führte das BSA (zusammengefasst) aus, Dienstnehmer mit derart hohen Krankenständen über einen derart langen Zeitraum (der Mitbeteiligte habe sich über elfeinhalb Jahre lang durchschnittlich an 111 Arbeitstagen pro Jahr im Krankenstand befunden) seien keinem Dienstgeber wirtschaftlich zumutbar; der Beschwerdeführerin könne daher die Weiterbeschäftigung des Mitbeteiligten nicht zugemutet werden, zumal diesem bereits 2006 die körperlich leichteste Tätigkeit (die eines Amtsboten) zugewiesen worden sei und sich dennoch keine Verringerung der Krankenstandstage ergeben habe. Da der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Begünstigteneigenschaft des Mitbeteiligten nicht bekannt sein konnte, seien auch die Voraussetzungen für eine nachträgliche Zustimmung zur Kündigung gegeben.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde, die Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, der vom Mitbeteiligten gegen den Erstbescheid erhobenen Berufung Folge, änderte den Erstbescheid, mit dem die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung erteilt wurde, dahin ab, dass der Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung des Mitbeteiligten abgewiesen werde, und verwies die Rechtssache im Übrigen (zur Prüfung der Frage, ob die Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung zu erteilen sei) zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheids an die Erstbehörde zurück.

Nach einer Wiedergabe des maßgebenden Verfahrensgangs legte die belangte Behörde zunächst ihre Auffassung dar, wonach hinsichtlich der Frage, ob die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung zu erteilen sei, auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung abzustellen sei: Wohl sei mit Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 § 8 Abs. 2 BEinstG dahin geändert worden, dass ein die nachträgliche Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung rechtfertigender Ausnahmefall dann gegeben sei, wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehöre. Gemäß § 25 Abs. 15 BEinstG sei § 8 Abs. 2 BEinstG mit 1. Jänner 2011 in Kraft getreten, wobei "eine weiterführende, detailliertere Übergangsbestimmung" nicht vorliege.

Nach Auffassung der belangten Behörde komme dem "Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das maßgebende Gewicht" für die Beurteilung zu. Der Gesetzgeber habe für den vorliegenden Fall explizit keine Regelung getroffen; man könne ihm aber nicht unterstellen, dass er die Neuregelungen auch auf Sachverhalte anwenden wollte, die zeitlich vor dem Inkrafttreten lägen. Hätte er dies gewollt, wäre dies in den Übergangsbestimmungen entsprechend berücksichtigt worden. Der Umstand, dass der Gesetzgeber ohne weitere Übergangsregelungen die Wirksamkeit eines Gesetzes ab einem bestimmten Zeitpunkt festlege, bedeute "im Allgemeinen, dass die geänderte gesetzliche Bestimmung nur auf jene Fälle anwendbar ist, die einen Sachverhalt, der sich nach dem Wirksamkeitsbeginn ereignet hat, zum Gegenstand haben". Diese Beurteilung stehe auch im Einklang mit den Materialien, wonach der Gesetzgeber beabsichtigt habe, einen Beitrag zur nachhaltigen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den offenen Arbeitsmarkt zu leisten. Mit der Neuregelung sollte der Verschweigung einer bereits seit längerem bestehenden Begünstigteneigenschaft gegenüber dem Dienstgeber entgegengewirkt werden; an der auf den Antragszeitpunkt zurückwirkenden Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten habe sich nichts ändern sollen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur "alten Rechtslage" habe nur dann eine nachträgliche Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Kündigung erteilt werden können, wenn von einem "besonderen Ausnahmefall" auszugehen wäre. Ein solcher Ausnahmefall liege im vorliegenden Fall aber nicht vor, weil weder von einem gänzlichen Verlust der Arbeitsfähigkeit des Dienstnehmers noch von einer Betriebseinschränkung des Dienstgebers auszugehen sei; es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführerin die vorherige Einholung einer behördlichen Zustimmung nicht zumutbar gewesen wäre.

Es sei deshalb der Berufung gegen den die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung erteilenden Bescheid Folge zu geben gewesen. Die Frage hingegen, ob die Voraussetzungen für eine Zustimmung zu einer zukünftig auszusprechenden Kündigung vorliegen, könne auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse noch nicht beurteilt werden. Hinsichtlich der vorzunehmenden Interessenabwägung sei ein Ermittlungsverfahren dahin durchzuführen, dass zunächst zu klären sei, über welches medizinische Leistungskalkül der Mitbeteiligte verfüge und dann ergänzend berufskundlich zu prüfen sei, ob ihm die bisherige Tätigkeit eines Amtsboten noch zumutbar sei bzw. ob allfällige Ersatzarbeitsplätze bei der Beschwerdeführerin vorhanden seien. Die Feststellungen der Erstinstanz reichten unter diesen Gesichtspunkten zur Vornahme der Interessenabwägung nicht aus. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG seien gegeben, weshalb die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheids betreffend die Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten - dieser hat zudem weitere Schriftsätze erstattet - erwogen:

1. Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, die neue Fassung des § 8 Abs. 2 BEinstG - wonach ein die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung rechtfertigender Ausnahmefall gegeben ist, wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt war und nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehört - sei (mangels abweichender Übergangsbestimmungen) entgegen der Auffassung der belangten Behörde auch im Beschwerdefall, in dem die Entscheidung über den in Rede stehenden Antrag der Beschwerdeführerin nach Inkrafttreten der Neuregelung (1. Jänner 2011) zu treffen gewesen war, anzuwenden.

Die Beschwerde bringt vor, anlässlich der Novelle BGBl. I Nr. 17/1999 habe der Gesetzgeber in drei Absätzen zu alleine zwei von mehr als 20 geänderten Paragrafen Übergangsbestimmungen festgehalten, darunter zwei alleine für Neuregelungen des § 8 BEinstG. So sei in § 27 Abs. 3 leg. cit. angeordnet worden, dass § 8 Abs. 4 auf ab dem Inkrafttreten der Neuregelung eingebrachte Anträge auf Zustimmung zur Kündigung anzuwenden sei, in § 27 Abs. 4 leg. cit., dass die Neufassung auf nach Inkrafttreten neu begründete Dienstverhältnisse anzuwenden sei.

"Dementsprechend" habe der Gesetzgeber anlässlich der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 eine differenzierende Übergangsregelung getroffen: Gemäß § 27 Abs. 8 BEinstG finde § 8 Abs. 6 lit. b in der durch die Novelle geänderten neuen Fassung nur auf nach dem 31. Dezember 2010 neu begründete Dienstverhältnisse Anwendung; damit sei klar zum Ausdruck gebracht, dass im Übrigen die neue Fassung der Bestimmung des § 8 Abs. 2 BEinstG ohne weitere Einschränkung ab 1. Jänner 2011 anzuwenden sei. Gegenteiliges sei auch den Materialien nicht zu entnehmen.

Es liege daher ein Grund vor, der die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung rechtfertige. Zudem liege selbst unter Zugrundelegung der Auffassung der belangten Behörde, es sei § 8 Abs. 2 in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 anzuwenden, ein besonderer Ausnahmefall vor, weil es der Beschwerdeführerin nicht nur unzumutbar, sondern geradezu unmöglich gewesen sei, die vorherige behördliche Zustimmung einzuholen.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde sei ausgehend von den getroffenen Feststellungen dem Dienstgeber, also der Beschwerdeführerin, die weitere Beschäftigung des Mitbeteiligten nicht mehr zumutbar. Die belangte Behörde, die als Berufungsbehörde grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden habe, wäre dazu verpflichtet gewesen, den ihrer Auffassung nach ergänzungsbedürftigen Sachverhalt amtswegig entsprechend umfassend zu erheben bzw. allenfalls das Beweisverfahren zu ergänzen, was sie in Verkennung der Rechtslage unterlassen habe.

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

2.1. § 8 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 (BEinstG), lautet - auszugsweise - wie folgt:

"Kündigung

§ 8. (1) Das Dienstverhältnis eines begünstigten Behinderten darf vom Dienstgeber, sofern keine längere Kündigungsfrist einzuhalten ist, nur unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen gekündigt werden. Ein auf Probe vereinbartes Dienstverhältnis kann während des ersten Monates von beiden Teilen jederzeit gelöst werden.

(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates, der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn nicht in Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt wird. Diese Zustimmung ist nicht zu erteilen, wenn die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten die Folge eines Arbeitsunfalles gemäß § 175f des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 ist. Ein Ausnahmefall, der die Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung rechtfertigt, ist dann gegeben, wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 angehört. Abs. 4 und 4a sind anzuwenden.

(3) Der Behindertenausschuß hat bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten die besondere Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers zu berücksichtigen und unter Beachtung des § 6 zu prüfen, ob dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes zugemutet werden kann.

(4) Die Fortsetzung des Dienstverhältnisses wird dem Dienstgeber insbesondere dann nicht zugemutet werden können, wenn

a) der Tätigkeitsbereich des begünstigten Behinderten entfällt und der Dienstgeber nachweist, daß der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann;

b) der begünstigte Behinderte unfähig wird, die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und der Dienstgeber nachweist, daß der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann;

c) der begünstigte Behinderte die ihm auf Grund des Dienstverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und der Weiterbeschäftigung Gründe der Arbeitsdisziplin entgegenstehen.

..."

Abs. 2 des § 8 BEinstG in der wiedergegebenen Fassung geht auf die Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 zurück. In der Fassung vor dieser Novelle hatte diese Bestimmung wie folgt gelautet:

"(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuß (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landes-Behindertengesetzes jeweils zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.

..."

Entsprechend der Inkrafttretensregelung des § 25 Abs. 15 BEinstG trat (u.a.) die Bestimmung des § 8 Abs. 2 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 mit 1. Jänner 2011 in Kraft.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 (981 BlgNR, XXIV. GP) wird (u.a.) Folgendes ausgeführt:

"Zu Art. 103 (Änderung des Behinderteneinstellungsgesetzes):

Mit der vorliegenden Novelle soll der Anreiz, Menschen mit Behinderung auf dem offenen Arbeitsmarkt zu beschäftigen, maßgeblich verstärkt werden. Zugleich soll nachhaltig gewährleistet werden, dass der Ausgleichstaxfonds auch weiterhin im derzeitigen Ausmaß sein breit gefächertes Förderinstrumentarium einsetzen kann, um die Eingliederung von behinderten Menschen in das Erwerbsleben umfassend zu unterstützen.

...

Das Regierungsprogramm der XXIV. Legislaturperiode sieht unter dem Punkt Menschen mit Behinderungen, Zugang zum Arbeitsmarkt die Einrichtung einer Arbeitsgruppe im Sozialministerium unter Einbindung der Sozialpartner und der Interessensvertretung der Menschen mit Behinderung vor.

Diese Arbeitsgruppe wurde im Herbst 2009 eingerichtet und hat in mehreren Sitzungen neben der Schaffung und dem Ausbau von Anreizsystemen und Unterstützungsstrukturen insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe auch die Möglichkeiten zur Steigerung der Effektivität der Ausgleichstaxe, Verbesserung der Stellung der Behindertenvertrauenspersonen und den erhöhten Kündigungsschutz diskutiert.

Die im Rahmen dieses Arbeitskreises als Paket erzielten Ergebnisse sollen mit der vorliegenden Novelle zum Behinderteneinstellungsgesetz umgesetzt werden; damit soll ein Beitrag zur nachhaltigen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den offenen Arbeitsmarkt geleistet werden. Im Zuge der Wirtschaftsentwicklung der letzten beiden Jahre ist die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung gestiegen, wenngleich der Zuwachs nicht ganz so stark ausgefallen ist wie bei den nicht behinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Mit der vorliegenden Novelle sollen die Rahmenbedingungen dahingehend modifiziert werden, dass der Anreiz, Menschen mit Behinderung auf dem offenen Arbeitsmarkt zu beschäftigen, maßgeblich verstärkt wird. Zugleich soll nachhaltig gewährleistet werden, dass der Ausgleichstaxfonds auch weiterhin im derzeitigen Ausmaß sein breit gefächertes Förderinstrumentarium einsetzen kann, um die Eingliederung von behinderten Menschen in das Erwerbsleben umfassend zu unterstützen."

2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 8 BEinstG liegt die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines Behinderten erteilt werden soll, im freien Ermessen der Behörde. Bei dieser Ermessensentscheidung ist es Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Ermessensentscheidung entsprechend Art. 130 Abs. 2 B-VG ausschließlich daraufhin zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat oder ob dies nicht der Fall gewesen ist. Eine solche Prüfung setzt freilich voraus, dass alle für die Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden. Es unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ob alle für die Ermessensübung maßgebenden Umstände in die Abwägung einbezogen wurden, sowie ferner, ob die Behörde Umstände in die Erwägungen einbezogen hat, die bei richtiger rechtlicher Beurteilung dabei nicht berücksichtigt werden dürften (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2008, Zl. 2006/11/0018, und vom 27. Februar 2004, Zl. 2002/11/0056, jeweils mwN).

Über die bei jeder Entscheidung über einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung hinaus ist bei der Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung noch zu prüfen, ob ein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 zweiter Satz BEinstG vorliegt, in dem dem Dienstgeber die vorherige Einholung der Zustimmung nicht zugemutet werden kann. Die besonderen Ausnahmegründe haben in diesem Fall ergänzend zu den für die grundlegende Interessenabwägung maßgebenden Gründen zu treten (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2002/11/0056, sowie das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2003/11/0251, mwN).

2.3. An diesen Grundsätzen hat die Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 nichts Entscheidendes geändert.

Mit der genannten Novelle wurde - wie dargestellt - dem § 8 Abs. 2 BEinstG die Bestimmung angefügt, dass ein die Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung rechtfertigender Ausnahmefall gegeben ist, "wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer den Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 angehört".

Ein solcher Umstand (fehlende Kenntnis der Eigenschaft als begünstigter Behinderter) ist in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs schon bisher als für die Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Zustimmung wesentlicher Gesichtspunkt beurteilt worden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. Oktober 2004, Zl. 2003/11/0251, vom 21. September 1999, Zl. 95/08/0210, vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0026, und vom 28. November 1983, Zl. 83/01/0382).

2.4. Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass erst dann, wenn feststeht, dass einer künftigen Kündigung die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre, zu prüfen ist, ob darüber hinaus auch die nachträgliche Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2008, Zl. 2006/11/0018, und vom 27. Februar 2004, Zl. 2002/11/0056). Die von der belangten Behörde eingeschlagene Vorgangsweise (Abweisung des Antrags auf Erteilung der nachträglichen Zustimmung zur Kündigung vor abschließender Beurteilung der Frage, ob überhaupt eine Zustimmung - zu einer künftigen Kündigung - zu erteilen ist) ist daher schon deshalb verfehlt, zumal im Beschwerdefall auf Basis der getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden kann, dass der bereits ausgesprochenen Kündigung keineswegs die Zustimmung erteilt werden könnte.

2.5. Die Beschwerdeführerin rügt in der Beschwerde auch die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde. Auch damit ist sie im Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

Wenn die belangte Behörde - wie im Beschwerdefall - davon ausging, die ihr vorliegenden Verfahrensergebnisse reichten nicht aus, um zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für eine Zustimmung zu einer zukünftig auszusprechenden Kündigung vorliegen, so ist dies kein Grund für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Der Berufungsbehörde ist eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann gestattet, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist, somit nur dann, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2013, Zl. 2010/11/0059, mwN). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde - und daher auch die belangte Behörde - in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2011/11/0093).

Dass die belangte Behörde ausgehend von dieser Rechtslage nicht imstande gewesen wäre, den Sachverhalt zu ergänzen, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich und auch sonst nicht erkennbar.

Im fortgesetzten Verfahren wird zu berücksichtigen sein, dass auch schon nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 die fehlende Kenntnis des Dienstgebers von der Eigenschaft des Dienstnehmers als begünstigter Behinderter - für sich genommen oder in Zusammenhalt mit weiteren Umständen - als rechtfertigender Grund für die Erteilung der nachträglichen Zustimmung zur Kündigung beurteilt wurde (vgl. die oben wiedergegebene Judikatur).

3. Aus dem Gesagten folgt, dass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist.

Im fortgesetzten Verfahren wird gegebenenfalls zudem zu beachten sein, dass gemäß § 8 Abs. 2 dritter Satz BEinstG die Zustimmung zur Kündigung nicht zu erteilen ist, wenn die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten die Folge eines Arbeitsunfalls gemäß § 175 f ASVG ist (der Mitbeteiligte hat am 30. August 2006 einen Arbeitsunfall erlitten, der in den Jahren 2006 und 2007 lange Krankenstände und Rehabilitationsaufenthalte zur Folge hatte).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Dezember 2013

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2013110111.X00

Im RIS seit

24.01.2014

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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