RS Vfgh 2013/12/12 V3/2010

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Veröffentlicht am 12.12.2013
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art117 Abs4
VfGG §57 Abs1
Tir RaumOG 2001 §56, §62, §65, §67, §112
Tir RaumOG 2011 §57, §117
Gesamtbebauungsplan der Gemeinde Mutters für den Abschnitt Gärberbach vom 10.11.2005 und 26.01.2006

Leitsatz

Zulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Gesamtbebauungsplans der Gemeinde Mutters hinsichtlich des im Eigentum der Antragsteller stehenden Grundstücks; aktuelle Betroffenheit eines potentiellen Bauwerbers; Zurückweisung des Antrags hinsichtlich des Nachbargrundstücks; Tiroler Raumordnungsgesetz 2001 als Prüfungsmaßstab für die angefochtenen Bestimmungen; keine Gesetzwidrigkeit des Zustandekommens des Plans; keine Verletzung des Öffentlichkeitsgebotes; ordnungsgemäße Kundmachung; keine Gesetzwidrigkeit von unterschiedlichen Festlegungen für das Grundstück der Antragsteller gegenüber dem angrenzenden Grundstück angesichts unterschiedlicher Bebaubarkeit; keine Sanierung von Schwarzbauten

Rechtssatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Gesamtbebauungsplans Mutters für den Abschnitt Gärberbach für das Grundstück Nr 242/4. Eigentümerin des Grundstücks ist die im Verfahren B265/2012 mitbeteiligte Partei. In diesem Beschwerdeverfahren hat der VfGH die Bedenken der Antragsteller gegen die konkret angewendeten Bestimmungen des Gesamtbebauungsplanes zu prüfen. Unzulässigkeit des Antrags entsprechend den Prinzipien der Subsidiarität des Individualantrags und der Hintanhaltung einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes.

Weiters Unzulässigkeit des Antrags auf Aufhebung von Bestimmungen für das Grundstück Nr 242/3 (hins einer Straßenfluchtlinie, der offenen Bauweise, der maximalen Bauplatzgröße und der Zahl von mindestens zwei oberirdischen Geschoßen) mangels Darlegung von Bedenken im Einzelnen.

Hingegen Zulässigkeit des Antrags hinsichtlich von Festlegungen für das - im Eigentum der Antragsteller stehende - Grundstück Nr 242/3 betr die maximale traufenseitige Wandhöhe, die maximale Gebäudehöhe, die Höchst- und Mindestbaumassendichte, die maximale Bebauungsdichte sowie eine "(undefinierbare) Baugrenzlinie/Straßenfluchtlinie".

Es ist unerheblich, dass nur der Drittantragsteller das Wohnhaus errichten will. Wenn wie im vorliegenden Fall konkrete Bauabsichten dargetan werden, sind sowohl die Miteigentümer des Grundstücks als auch der potentielle Bauwerber als aktuell betroffen anzusehen.

Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg 19654/2012 zu Flächenwidmungsplänen in Tirol ausgesprochen, dass diese den im Zeitpunkt ihrer Beschlussfassung geltenden gesetzlichen Vorschriften entsprechen müssen. Dies folgt aus den Bestimmungen über die Änderung des Flächenwidmungsplanes (§36 iVm §35 Tir RaumOG 2011), wonach eine Änderung des Tir RaumOG 2011 keinen zwingenden Grund für eine Änderung des Flächenwidmungsplanes darstellt. Dies gilt in Hinblick auf §57 Tir RaumOG 2011, der die Änderung des Bebauungsplanes regelt, ebenso für Bebauungspläne (vgl auch §117 Abs7 Tir RaumOG 2001 betr die Weitergeltung der bisherigen zweistufigen Bebauungspläne als einheitlicher Bebauungsplan). Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen des Gesamtbebauungsplanes ist somit das Tir RaumOG 2001 idF LGBl 60/2005.

Bei dem bekämpften allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan handelt es sich um die erstmalige Erlassung eines solchen zweistufigen Bebauungsplans, die im Hinblick auf das Außerkrafttreten alter Bebauungspläne nach §112 Abs1 zweiter Satz Tir RaumOG 2001 grundsätzlich erforderlich war. Auf eine derartige Neuerlassung finden die Bestimmungen über die Änderung von Bebauungsplänen keine Anwendung. Der allgemeine und der ergänzende Bebauungsplan wurden in Form eines einheitlichen Gesamtbebauungsplanes erlassen, was nach §56 Abs3 Tir RaumOG 2001 zulässig war.

Der 4. Tagesordnungspunkt der Gemeinderatssitzung vom 10.11.2005 war in der vom Bürgermeister versendeten Einladung mit "4. Erlassung eines allgemeinen Bebauungsplanes für das gesamte Gemeindegebiet von Mutters-Gärberbach; Auflage des Entwurfes" bezeichnet. Tatsächlicher Inhalt des unter Tagesordnungspunkt 4. gefassten Gemeinderatsbeschlusses vom 10.11.2005 war nach dem Sitzungsprotokoll die Auflage des Entwurfes des Gesamtbebauungsplanes nach §65 Abs1 Tir RaumOG 2001. In der am nächsten Tag erfolgten Kundmachung war im Einklang mit der Beschlusslage von der "Auflage des Entwurfes des Gesamtbebauungsplanes Mutters/Abschnitt Gärberbach lt. Planunterlage und Legende von DI L vom 10.11.2005, Plan Nr 331" die Rede. Damit wurde der beschlossene Gegenstand der Auflage präzise bezeichnet, sodass eine Verkürzung der Gemeindebürger in ihren Einsichts- und Stellungnahmerechten nicht eingetreten ist. Eine derartige Fehlbezeichnung kann auch noch nicht als so gravierend angesehen werden, dass darin eine Verletzung des Öffentlichkeitsgebotes des Art117 Abs4 B-VG, welches nach VfSlg 12.398/1990 eine grundsätzliche Bindung an die kundgemachte Tagesordnung erfordert, erblickt werden könnte.

Kundmachung des ("Beharrungs-")Beschlusses des Gemeinderates durch Anschlag in allen Ortsteilen der Gemeinde Mutters vom 27.01. bis zum 13.02.2006. §67 Tir RaumOG 2001 sieht die aufsichtsbehördliche Genehmigung eines Bebauungsplanes nicht als Voraussetzung für das Inkrafttreten vor. Aus §67 Abs1 iVm Abs3 Tir RaumOG 2001 ergibt sich auch, dass lediglich das Faktum der Beschlussfassung, nicht aber der gesamte Plan kundzumachen ist. Zur Gewährleistung der Publizität sieht §67 Abs3 Tir RaumOG 2001 die Auflage des beschlossenen Planes im Gemeindeamt vor. Eine Kundmachung von Materialien bzw Begründungen war im Tir RaumOG 2001 nicht vorgesehen und daher nicht erforderlich.

Keine unsachliche Bevorzugung anderer Grundstücke, insbesondere des Nachbargrundstücks Nr 242/4: Aus der Sonderbehandlung anderer Grundstücke kann sich bei Fehlen einer gesetzmäßigen Grundlage für die Differenzierung die Gesetzwidrigkeit der Festlegungen für diese anderen Grundstücke ergeben, daraus folgt aber nicht notwendig, dass ungünstigere Festlegungen für das Grundstück der Antragsteller gesetzwidrig sind.

Bei der bekämpften "(undefinierbaren) Baugrenzlinie/Straßenfluchtlinie" handelt es sich um eine durch Punkte unterbrochene strichlierte Linie, über die wiederholt das Zeichen "v" gesetzt ist. Nach der Legende des Gesamtbebauungsplanes ist - im Einklang mit der Anlage 2 zur Tiroler Plangrundlagen- und Planzeichenverordnung (Abschnitt Bebauungsplanung) - eine solche Linie eine Baufluchtlinie.

Dem Gesamtbebauungsplan liegt - wie sich aus den Akten ergibt und wie es auch in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH bestätigt wurde - eine nachvollziehbare, ordnungsgemäße und sachliche Gesamtplanung der Gemeinde für das Gebiet zugrunde, in welchem unter anderem die Grundstücke Nr 242/3 und 242/4 liegen. Die unterschiedlichen Festlegungen im Gesamtbebauungsplan für das im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstück Nr 242/3 gegenüber dem angrenzenden Grundstück haben ihren Grund in der unterschiedlichen Bebaubarkeit der beiden Grundstücke und der unterschiedlichen Zufahrtsmöglichkeit zu den beiden Grundstücken. Entgegen dem wesentlichen Vorbringen der Antragsteller haben - wie auch die mündliche Verhandlung vor dem VfGH unbestrittenermaßen ergeben hat - die Festlegungen im Gesamtbebauungsplan für das Grundstück Nr 242/4 nicht zum Ziel, den auf dem Grundstück Nr 242/4 bestehenden, nicht konsensgemäß errichteten Bau in dieser Form zu sanieren. Dies erweist sich daraus, dass dieser konsenswidrige Bau auf Grund des Gesamtbebauungsplanes - wie insbesondere die mündliche Verhandlung unstrittig ergeben hat - rückgebaut werden muss.

Die Festlegungen des Gesamtbebauungsplanes sowohl für das Grundstück Nr 242/3 als auch für das angrenzende Grundstück Nr 242/4 ermöglichen im Übrigen eine Bebauung, welche sich unbedenklich in die für das Gesamtgebiet festgelegte Planung einbettet.

Die Annahme der Antragsteller, wonach Gebäudehöhen nur durch einen "höchsten Gebäudepunkt mit absoluter Bezugshöhe" festgelegt werden dürften, ist verfehlt. §62 Abs1 Tir RaumOG 2001 eröffnet dem Verordnungsgeber - gleichberechtigt und kombinierbar - verschiedene Möglichkeiten der Höhenfestsetzung. Das örtliche Raumordnungskonzept enthält eine Festlegungen zur Gebäudehöhe, sodass der von den Antragstellern behauptete Widerspruch nicht vorliegen kann.

Der Gesetzgeber hat Geschoßflächendichten seit der Novelle LGBl 73/2001 zum Tir RaumOG 1997 nicht mehr vorgesehen (vgl auch die Übergangsbestimmung des §112 Abs3 Tir RaumOG 2001, die nur noch eine "Auslaufregelung" enthält).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Raumordnung, Bebauungsplan, Planungsakte Verfahren, Verordnung Kundmachung, Öffentlichkeitsprinzip, Schwarzbauten, VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Bedenken, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:V3.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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