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67/01 VersorgungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung des Individualantrags einer Betrieblichen Vorsorgekasse auf Aufhebung einer Bestimmung des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbstständigenvorsorgegesetzes betreffend die Kapitalgarantie bei Übertragung einer Abfertigungsanwartschaft wegen zu engen AnfechtungsumfangsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Die antragstellende Gesellschaft ist eine Betriebliche Vorsorgekasse iSd Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbstständigenvorsorgegesetzes - BMSVG, BGBl I 100/2002 idF BGBl I 184/2013, (in der Folge: BMSVG), zu deren Gegenstand das Betriebliche Vorsorgekassengeschäft nach §1 Abs1 Z21 des Bundesgesetzes über das Bankwesen, (Bankwesengesetz - BWG), BGBl 532/1993 idF BGBl I 184/2013, somit die Hereinnahme und Veranlagung von Abfertigungsbeiträgen und Selbstständigenvorsorgebeiträgen, zählt.
Diese begehrt mit ihrem auf Art140 B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "die Wortfolge 'Bei Übertragung einer Abfertigungsanwartschaft gemäß §12 Abs3 erhöht sich der Mindestanspruch gegenüber der neuen BV-Kasse im Ausmaß der der übertragenden BV-Kasse zugeflossenen Abfertigungsbeiträge.' in §24 Abs1 des Mitarbeiter- und Selbstständigenvorsorgegesetzes – BMSVG, StF: BGBl I Nr 100/2002, idF BGBl I Nr 77/2011, als verfassungswidrig aufheben, sowie […] gemäß §§27 und 65a VfGG den Bund schuldig erkennen, die der Antragstellerin durch das verfassungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zu Handen der Antragstellervertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen".
1.1. Zu ihrer Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft Folgendes vor:
"Die Antragstellerin ist durch die Verfassungswidrigkeit der gegenständlichen gesetzlichen Bestimmungen unmittelbar belastet: Ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides sind die gegenständlichen gesetzlichen Bestimmungen für die Antragstellerin wirksam geworden. Aufgrund dieser Bestimmungen übernimmt sie laufend, nämlich in Fällen des Wechsels von Kundinnen und Kunden von einer anderen BV-Kasse zur Antragstellerin, die mitunter auch negativen Veranlagungsergebnisse von Mitbewerberinnen und Mitbewerbern (wobei das Ergebnis allenfalls auch erst durch Abzug der Verwaltungskosten in der übertragenden BV-Kasse negativ geworden ist) und ist die Antragstellerin ständig dem unkalkulierbaren und nicht beeinflussbaren Risiko ausgesetzt, im Falle des Entstehens eines Verfügungsanspruches einer anspruchsberechtigten Person derartige Veranlagungsverluste anderer BV-Kassen ausgleichen zu müssen.
All diese Ereignisse sind weder von gerichtlichen, noch von behördlichen Entscheidungen abhängig, noch kann die Antragstellerin das Eintreten dieser Ereignisse beeinflussen. Bei Übernahme von Kundinnen und Kunden kennt sie die Veranlagungsergebnisse nicht und hat aufgrund des gesetzlichen Kontrahierungszwanges auch keine Möglichkeit, eine Entscheidung über die Übernahme zu treffen. Verfügungsansprüche entstehen in den im Gesetz genannten Fällen, die für die Antragstellerin ebenfalls nicht beeinflussbar sind. Somit ist die Antragstellerin aber unmittelbar durch die gegenständlichen gesetzlichen Bestimmungen in ihren Rechten verletzt und steht der Antragstellerin auch kein anderer Weg offen, die Verfassungswidrigkeit der gegenständlichen gesetzlichen Bestimmungen vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen."
1.2. In der Sache hegt die antragstellende Gesellschaft im Wesentlichen folgende Bedenken:
§24 BMSVG enthalte eine Garantie, dass beim Entstehen eines Auszahlungsanspruchs der Anspruchsberechtigte zumindest den tatsächlich einbezahlten Betrag als Abfertigung ausgezahlt bekomme, womit er vor allfälligen Veranlagungsverlusten geschützt werden soll. Die Verwaltungskosten bei der Veranlagung der Beiträge beliefen sich bei monatlicher Zahlungsweise auf durchschnittlich 2,5% der Beiträge, wobei diese Kosten bei einem durchschnittlichen Zinsertrag von 2,6% p.a. erst nach rund 25 Beitragsmonaten kompensiert seien. Sofern ein Verfügungsanspruch des Anspruchsberechtigten über die Abfertigung entstehe – dies sei im System der "Abfertigung neu" zB bei einvernehmlicher Kündigung und mindestens 36 Beitragsmonaten der Fall –, garantiere §24 leg.cit. den o.a. Mindestanspruch, auch wenn die Veranlagung der Beiträge und/oder die Verwaltungskosten zum Auszahlungsstichtag zu einem unter der Beitragssumme liegenden Kontostand geführt hätten. Bei einem negativen oder so geringen Veranlagungsergebnis, dass die entnommenen Verwaltungskosten damit nicht kompensiert worden seien, übertrage bei einem Wechsel der Betrieblichen Vorsorgekasse die alte Kasse der neuen einen unter den tatsächlich einbezahlten Beiträgen liegenden Betrag, den die neue Kasse – im Falle des Eintritts des Verfügungsanspruchs – auszugleichen habe. Die Regelung des §24 Abs1 letzter Satz leg.cit. sei daher unsachlich und verstoße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums.
2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag geäußerten Bedenken entgegentritt und beantragt, den Individualantrag wegen fehlender Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. Zur Frage der Zulässigkeit des Antrags führt die Bundesregierung im Wesentlichen wie folgt aus:
2.1. Zunächst sei bereits fraglich, ob die bekämpfte Bestimmung des §24 Abs1 letzter Satz BMSVG unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft eingreife. Es könne zwar jede Betriebliche Vorsorgekasse nach einem Wechsel der Kasse durch den Arbeitgeber im Fall der Geltendmachung eines Verfügungsanspruches durch den Anwartschaftsberechtigten Normadressatin des §24 Abs1 letzter Satz leg.cit. werden, der Antrag lege jedoch nicht dar, inwieweit gerade die antragstellende Gesellschaft unmittelbar und aktuell durch die angefochtene Norm betroffen sei. Die Ausführungen der antragstellenden Gesellschaft zur Antragslegitimation würden im Ergebnis bloße wirtschaftliche Nachteile aufzeigen.
2.2. Des Weiteren stünde der antragstellenden Gesellschaft ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung zur Verfügung. Die antragstellende Gesellschaft hätte nämlich die Möglichkeit, im ordentlichen Rechtsweg Klage bei einem Zivilgericht – in Betracht kämen zB schadenersatz- und bereicherungsrechtliche Ansprüche – gegen die übertragende Betriebliche Vorsorgekasse zu erheben und nach einer möglichen Abweisung des Klagebegehrens im Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung ihre verfassungsrechtlichen Bedenken mit der Anregung auf Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags zu unterbreiten. Nach dem Wissensstand der Bundesregierung habe die antragstellende Gesellschaft einen solchen Klagsweg im Zusammenhang mit der Übertragung von Abfertigungsanwartschaften bereits beschritten.
2.3. Schließlich sei mit dem von der antragstellenden Gesellschaft gestellten Aufhebungsbegehren ihr angestrebtes Ziel, dass nämlich nach einem Wechsel der Betrieblichen Vorsorgekasse durch den Arbeitgeber im Fall der Geltendmachung eines Verfügungsanspruches durch den Anwartschaftsberechtigten die übertragende Kasse und nicht die neue Kasse für die Kapitalgarantie aufkommen soll, nicht zu erreichen. Die Aufhebung des §24 Abs1 letzter Satz BMSVG hätte zur Folge, dass im Fall der Übertragung einer Abfertigungsanwartschaft gemäß §12 Abs3 leg.cit. überhaupt keine Kapitalgarantie mehr greifen würde, was vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sei. Dem §24 Abs1 leg.cit. würde durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge somit ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben werden.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des BMSVG, BGBl I 100/2002 idF BGBl I 184/2013, lauten wie folgt (der angefochtene Satz ist hervorgehoben):
"Beitrittsvertrag und Kontrahierungszwang
§11. (1) Der Beitrittsvertrag ist zwischen der BV-Kasse und dem beitretenden Arbeitgeber abzuschließen.
(2) […]
(3) Lehnt die BV-Kasse ein gesetzesgemäßes Anbot eines Arbeitgebers zum Abschluss eines Beitrittsvertrages ab, hat sie trotzdem, sofern der Arbeitgeber schriftlich auf einem Vertragsabschluss besteht, das Anbot anzunehmen (Kontrahierungszwang), und zwar zu den gleichen Bedingungen wie für ihre sonst üblicherweise abgeschlossenen Beitrittsverträge mit anderen Arbeitgebern, insbesondere zu den gleichen Verwaltungskosten gemäß §29 Abs2 Z5.
(4) […]
Beendigung des Beitrittsvertrages und Wechsel der BV-Kasse
§12. (1) Eine Kündigung des Beitrittsvertrages durch den Arbeitgeber oder durch die BV-Kasse oder einvernehmliche Beendigung des Beitrittsvertrages ist nur rechtswirksam, wenn die Übertragung der Abfertigungsanwartschaften auf eine andere BV-Kasse sichergestellt ist. Die Kündigung oder einvernehmliche Beendigung des Beitrittsvertrages kann rechtswirksam nur für alle von diesem Beitrittsvertrag erfassten Anwartschaftsberechtigten gemeinsam erfolgen.
(2) Die Kündigung oder einvernehmliche Beendigung des Beitrittsvertrages darf nur mit Wirksamkeit zum Bilanzstichtag der BV-Kasse ausgesprochen werden. Die Frist für die Kündigung des Beitrittsvertrages beträgt sechs Monate. Die einvernehmliche Beendigung des Beitrittsvertrages wird frühestens zu dem Bilanzstichtag der BV-Kasse wirksam, der zumindest drei Monate nach der Vereinbarung der einvernehmlichen Beendigung des Beitrittsvertrages liegt.
(3) Die Übertragung der Abfertigungsanwartschaften auf die neue BV-Kasse hat binnen fünf Werktagen nach Ende des zweiten Monats nach dem Bilanzstichtag der BV-Kasse zu erfolgen, wobei zu diesem Monatsende eine Ergebniszuweisung unter Berücksichtigung einer allfälligen Garantieleistung gemäß §24 vorzunehmen ist. Nach Übertragung hervorkommende, noch zu diesen Abfertigungsanwartschaften gehörige Beträge sind als Nachtragsüberweisung unverzüglich auf die neue BV-Kasse zu übertragen. Ab dem Bilanzstichtag sind die Abfertigungsbeiträge unabhängig davon, ob sie noch vor dem Bilanzstichtag gelegene Monate betreffen, an die neue BV-Kasse zu überweisen.
(4) […]
[…]
2. Abschnitt
Organisatorische Rahmenbedingungen
Garantie
§24. (1) In den Fällen des §14 Abs5 und §17 Abs1 Z1, 3 und 4, Abs2a sowie Abs3 beträgt der Mindestanspruch des Anwartschaftsberechtigten gegenüber der BV-Kasse
1. die Summe der dieser BV-Kasse zugeflossenen Abfertigungsbeiträge zuzüglich
2. einer allenfalls übertragenen Altabfertigungsanwartschaft sowie
3. der allenfalls aus einer anderen BV-Kasse übertragenen Abfertigungsanwartschaft.
Bei Übertragung einer Abfertigungsanwartschaft gemäß §12 Abs3 erhöht sich der Mindestanspruch gegenüber der neuen BV-Kasse im Ausmaß der der übertragenden BV-Kasse zugeflossenen Abfertigungsbeiträge.
(2) Die BV-Kasse kann eine über das Mindestausmaß gemäß Abs1 hinausgehende Zinsgarantie gewähren. Dieser Garantiezinssatz muss für alle Anwartschaftsberechtigten gleich sein und darf nur für ein folgendes Geschäftsjahr geändert werden."
III. Erwägungen
1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
Ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit genereller Normen steht einem Antragsteller unter anderem dann offen, wenn vom Antragsteller ein gerichtliches Verfahren anhängig gemacht werden kann, das ihm Gelegenheit bietet, die von ihm gehegten Bedenken gegen die angewendeten Rechtsvorschriften vorzubringen und anzuregen, dass beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfungsantrag gestellt wird (s. VfSlg 18.246/2007).
1.2. Entgegen der Ansicht der Bundesregierung trifft es zu, dass die antragstellende Gesellschaft durch §24 Abs1 letzter Satz BMSVG unmittelbar und aktuell betroffen ist. Der antragstellenden Gesellschaft steht auch kein zumutbarer Weg zur Geltendmachung ihrer Bedenken zur Verfügung: Es ist ihr nicht zumutbar, Verträge über die Übernahme von nicht ausreichend gedeckten Abfertigungsanwartschaften nur zum Zweck der Provozierung eines gerichtlichen Verfahrens zu schließen, um über die ordentlichen Gerichte die behauptete Verfassungswidrigkeit an den Verfassungsgerichtshof herantragen zu können. Dass bereits ein solches Verfahren anhängig oder anhängig gewesen sei, wurde von der Bundesregierung zwar "als ihr Wissensstand" vermutet, aber nicht näher spezifiziert.
2. Der Antrag ist jedoch aus folgenden Gründen unzulässig:
2.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
2.2. §24 BMSVG lautete in seiner Stammfassung BGBl I 100/2002 folgendermaßen:
"§24. (1) In den Fällen des §12 Abs3 und §17 Abs1 Z1, 3 und 4 sowie Abs3 beträgt der Mindestanspruch des Anwartschaftsberechtigten gegenüber der MV-Kasse
1. die Summe der dieser MV-Kasse zugeflossenen Abfertigungsbeiträge zuzüglich
2. einer allenfalls übertragenen Altabfertigungsanwartschaft sowie
3. der allenfalls aus einer anderen MV-Kasse übertragenen Abfertigungsanwartschaft.
(2) Die MV-Kasse kann eine über das Mindestausmaß gemäß Abs1 hinausgehende Zinsgarantie gewähren. Dieser Garantiezinssatz muss für alle Anwartschaftsberechtigten gleich sein und darf nur für ein folgendes Geschäftsjahr geändert werden."
Den Erläuterungen zu dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass der "Anwartschaftsberechtigte […] einen Anspruch auf die Summe jener vom Arbeitgeber geleisteten Beitragsteile [hat], die der MV-Kasse auch tatsächlich zugeflossen sind. Wird eine Altabfertigungsanwartschaft auf eine MV-Kasse übertragen, so hat der Anwartschaftsberechtigte einen Garantieanspruch auf den Wert dieser Übertragung. Wird eine Abfertigungsanwartschaft auf eine neue MV-Kasse übertragen, so hat die neue MV-Kasse den Übertragungswert zuzüglich der ihr zugeflossenen Abfertigungsbeiträge zu garantieren. Eine Garantie für Vermögensteile, die der MV-Kasse nicht zugeflossen sind, ist aber nicht vorgesehen. Eine allfällige Kapitalgarantie durch die MV-Kasse ist nur in jenen Fällen zu erbringen, in denen eine Auszahlung oder Überweisung der Abfertigungsanwartschaft erfolgt" (s. RV 1131 BlgNR 21. GP). Daher hatte die übertragende Kasse auf Grund des Verweises in §24 BMSVG idF BGBl I 100/2002 auf §12 Abs3 leg.cit. den Abfertigungsanspruch gemäß der Kapitalgarantie (dh., dass der Abfertigungsanspruch in der Höhe zunächst den in Summe bezahlten Beiträgen entspricht) in voller Höhe der eingezahlten Beiträge zu übertragen.
Mit der BMSVG-Novelle 2007, BGBl I 102/2007, erhielt §24 BMSVG die oben unter Pkt. II. wiedergegebene Fassung. Den Erläuterungen zu dieser Novelle ist zu entnehmen, dass bei einer Kündigung des Beitrittsvertrages durch den Arbeitgeber keine Kapitalgarantie gebührt. "Wird hingegen nach der Übertragung der Abfertigungsanwartschaften auf eine andere BV-Kasse über die Abfertigung verfügt, gilt in diesem Fall selbstverständlich die Kapitalgarantie" (RV300 BlgNR 23. GP).
2.3. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes erhielte das Gesetz durch die Aufhebung des von der antragstellenden Gesellschaft bekämpften Satzes in §24 BMSVG einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren Inhalt: Wie sich aus den Materialien ergibt (vgl. RV 300 BlgNR 23. GP), wollte der Gesetzgeber durch die Einfügung des bekämpften Satzes und die Streichung der Wendung "§12 Abs3" im Einleitungssatz des §24 leg.cit. erreichen, dass nicht mehr jene Betriebliche Vorsorgekasse, welche die Anwartschaften überträgt, verpflichtet ist, für eine allfällige Kapitalgarantie (also den Mindestanspruch eines Arbeitnehmers in Höhe der eingezahlten Abfertigungsbeiträge) aufzukommen, sondern dass dazu die übernehmende Kasse verpflichtet wird, und zwar erst in dem Zeitpunkt, in dem entsprechend den im Einleitungssatz des §24 Abs1 leg.cit. dargelegten Fällen der Abfertigungsanspruch schlagend wird.
Anders als nach der Rechtslage vor der BMSVG-Novelle 2007, BGBl I 102/2007, bestünde im Falle einer solchen Aufhebung nur des bekämpften Satzes in §24 BMSVG aber auch keine Verpflichtung der übertragenden Betrieblichen Vorsorgekasse mehr, für diese Kapitalgarantie aufzukommen, weil durch den Entfall des Verweises auf §12 Abs3 leg.cit. im Einleitungssatz des §24 Abs1 leg.cit. durch die BMSVG-Novelle 2007 zum Zeitpunkt der Übertragung von Abfertigungsanwartschaften die Kapitalgarantie nicht mehr erfüllt werden muss.
Die Aufhebung lediglich des letzten Satzes des §24 Abs1 BMSVG, in welchem sich die Bezugnahme auf §12 Abs3 leg.cit. findet, hätte daher zur Folge, dass der Abfertigungsberechtigte gar keine Kapitalgarantie mehr für Beiträge hätte, die an jene Betriebliche Vorsorgekasse geleistet wurden, von der Abfertigungsanwartschaften auf eine andere gemäß §12 BMSVG übertragen werden. Dieses Ergebnis kann dem Gesetzgeber keinesfalls zugesonnen werden (vgl. die oben dargelegten Materialien zur Stammfassung des §24 BMSVG). Der Aufhebungsantrag wäre daher so weit zu stellen, dass derartige – dem Gesetzgeber nicht zusinnbare – Folgen vermieden werden (wobei allenfalls ein Ergebnis, wonach durch eine solche Aufhebung zentrale Bestimmungen des Gesetzes bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers unanwendbar gemacht würden, in Kauf genommen werden müsste oder ausnahmsweise – da das vom Gesetzgeber gewünschte Ergebnis durch den Entfall der Wendung "§12 Abs3" im Einleitungssatz des §24 Abs1 BMSVG herbeigeführt wurde – eine Anfechtung der novellierenden Bestimmung in Betracht käme – vgl. VfSlg 19.522/2011).
2.4. Die Aufhebung bloß des bekämpften – letzten – Satzes in §24 Abs1 BMSVG ist daher keinesfalls zulässig, weswegen der Antrag zurückzuweisen ist.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Pensionskassen, VfGH / Individualantrag, HaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:G18.2012Zuletzt aktualisiert am
29.12.2014