TE Vfgh Erkenntnis 2013/12/12 U616/2013

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.12.2013
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3
Flüchtlingskonvention Genfer, BGBl 55/1955 Art1 Abschnitt A
Statusrichtlinie 2004/83/EG Art10 Abs1, Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines aus dem Irak stammenden Betreibers von Geschäften für Wasseraufbereitungsanlagen infolge grober Verkennung der Rechtslage mangels Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Verfolgung aus politischen Gründen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 20. April 2012 illegal ins Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, in seiner Heimatstadt Najaf ein Fachgeschäft für Wasseraufbereitungsanlagen betrieben zu haben und mit seiner Fachkenntnis auch für die "Muslim Peacemaker Teams – MPT" tätig gewesen zu sein. Anfang April 2012 sei der Beschwerdeführer von unbekannten maskierten Personen entführt und in den Keller eines nahe gelegenen Hauses verbracht worden. Seine Entführer hätten ihn unter physischen Misshandlungen und Morddrohungen nach seiner Mitwirkung bei den MPT befragt und ihm die Kollaboration mit Juden und Amerikanern vorgeworfen. Nach eineinhalb Tagen in der Gewalt seiner Entführer sei der Beschwerdeführer im Rahmen eines Polizeieinsatzes befreit worden. Nach einer polizeilichen Befragung und einem kurzzeitigen Krankenhausaufenthalt sei er am nächsten Tag wieder zu seinem Geschäft zurückgekehrt. Dort habe er feststellen müssen, dass die Fassade mit Schmierereien verunstaltet worden sei, die ihn als Kollaborateur bzw. feindlichen Agenten ausgewiesen hätten. Kunden und Nachbarn hätten sich deshalb vom Beschwerdeführer distanziert, weshalb er bereits wenige Tage später aus Furcht vor weiteren Verfolgungshandlungen aus dem Irak geflohen sei.

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 6. Dezember 2012 gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 67/2012 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte dem Beschwerdeführer jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 leg.cit. zu und erteilte ihm gemäß §8 Abs4 leg.cit. eine bis zum 6. Dezember 2013 befristete Aufenthaltsberechtigung.

3. Die nur gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom 31. Jänner 2013 ab. Der Asylgerichtshof schließt sich dabei den Ausführungen des Bundes-asylamtes, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers in keinem Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention stehe, "im Ergebnis" an. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit der Ausführungen des Asylwerbers bedürfe es zur Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nämlich des Vorliegens "der Anknüpfung an einen in der GFK normierten Verfolgungsgrund". Der Beschwerdeführer habe behauptet, auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit als Betreiber eines Geschäftes für Wasseraufbereitungsanlagen und der Zusammenarbeit mit der Organisation MPT verfolgt zu werden. Bei diesem Vorbringen könne "ein asylrelevanter Anknüpfungspunkt an die Genfer Flüchtlingskonvention lediglich auf eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gestützt werden". In diesem Zusammenhang hält der Asylgerichtshof weiters fest:

"Sofern nun im Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes zu besonders gefährdeten gesellschaftlichen Gruppen im Irak Folgendes festgehalten wird – 'Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, alle Mitglieder der Regierung bzw. Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der neuen Regierung zusammenarbeiten, sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Anschlägen. … Es gibt Hinweise dafür, dass einige Professoren inzwischen wieder an die Universitäten in Bagdad, Basra, Babilon, Kerbala und al-Anbar zurückkehren. Friseure (das Stutzen von Bärten verstößt gegen das religiöse Empfinden von Radikalen), Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, und Ärzte bzw. medizinisches Personal werden immer wieder Zielscheibe der Aufständischen. Dabei sind die Attentäter in der Lage, ihre Opfer sehr präzise auszuwählen und zu treffen.' – ist grundsätzlich auszuführen, dass dieser Bericht lediglich aussagt, welche Personenkreise aus welchen Gründen auch immer als besonders gefährdete Gruppe im Irak anzusehen sind und wird aber demgegenüber keine Bewertung bzw. Beurteilung der Asylrelevanz der Zugehörigkeit zu diesen Personengruppen vorgenommen. Die individuelle Beurteilung, ob ein Asylwerber, der den in diesem Bericht genannten Personengruppen angehört, die Voraussetzung für die Erteilung des Status eines Asylberechtigten erfüllt oder der jeweils vorgebrachte Sachverhalt unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren ist, obliegt ausschließlich der Asylbehörde oder dem Asylgerichtshof.

Weiters muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass nicht jede Personengruppe, die in einem Länderbericht als besonders gefährdete Gruppe bezeichnet bzw. beschrieben wird, gleichsam eine bestimmte soziale Gruppe iSd Genfer Flüchtlingskonvention – losgelöst von den entsprechenden Voraussetzungen – bildet.

Hierzu ist auch grundsätzlich festzuhalten, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als 'Auffangtatbestand' in die GFK eingefügt wurde. Art10 Abs1 lit d StatusRL erläutert den Begriff der 'bestimmten sozialen Gruppe' folgendermaßen: 'Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.'

Unter Heranziehung dieser Erläuterung ist davon auszugehen, dass Betreiber eines Geschäftes für Wasseraufbereitungsanlagen, auch wenn sie für eine Hilfsorganisation oder für die Amerikaner tätig sind, indem sie Wasseraufbereitungsanlagen liefern und montieren, keine Mitglieder einer bestimmten sozialen Gruppe sind. Diese berufliche Tätigkeit bildet weder ein angeborenes Merkmal oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, noch weisen sie Merkmale auf oder teilen eine Glaubensüberzeugung, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Ebenso verfügen Inhaber eines Geschäftes für Wasseraufbereitungsanlagen in einem betreffenden Land bzw. im Irak über keine deutlich abgegrenzte Identität, sodass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden.

Da der Beschwerdeführer somit keiner bestimmten sozialen Gruppe angehört, liegt kein Anknüpfungspunkt an die GFK vor, der eine Voraussetzung für eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten bilden könnte."

Soweit der Beschwerdeführer implizit eine Verfolgung wegen des Umstandes behaupte, dass die Fassade seines Geschäfts beschmiert worden sei und seine Umgebung ihn nunmehr für einen Kollaborateur der Amerikaner erachte, weshalb er auch Schande über seine Familie gebracht habe, sei festzuhalten, dass daraus keine Verfolgungshandlungen von asylrelevanter Eingriffsintensität hervorgehen würden. Aus diesen Gründen sei seiner Beschwerde nicht stattzugeben.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Asyl gemäß Art18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden auch: GRC) sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Der Beschwerdeführer tritt dabei der Argumentation des Asylgerichtshofes, wonach die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, die für internationale Organisationen tätig ist, nicht unter den Auffangtatbestand der sozialen Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren sei, nicht entgegen. Der Asylgerichtshof übersehe aber, dass die gegen den Beschwerdeführer gesetzten Verfolgungshandlungen ihre Grundlage in einer ihm unterstellten politischen Gesinnung – nämlich "eine Kollaboration mit dem Feind" – fänden. Ein wirksamer Schutz gegen diese Verfolgung aus politischen Gründen bestehe nicht; auch habe sich der Asylgerichtshof mit keinem Wort mit diesem Aspekt auseinandergesetzt. Dem Asylgerichtshof sei somit sowohl Willkür als auch eine Verletzung des Rechts auf Asylgewährung im Sinne von Art18 GRC vorzuwerfen.

5. Die belangte Behörde legte die Verfahrensakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (im Folgenden: "Genfer Flüchtlingskonvention") lauten:

"Artikel 1

Definition des Begriffs 'Flüchtling'

A.

Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck 'Flüchtling' auf jede Person Anwendung:

1. Die in Anwendung der Vereinbarungen vom 12. Mai 1926 und 30. Juni 1928 oder in Anwendung der Abkommen vom 28. Oktober 1933 und 10. Februar 1938 und des Protokolls vom 14. September 1939 oder in Anwendung der Verfassung der Internationalen Flüchtlingsorganisation als Flüchtling gilt.

Die von der internationalen Flüchtlingsorganisation während der Dauer ihrer Tätigkeit getroffenen Entscheidungen darüber, dass jemand nicht als Flüchtling im Sinne ihres Statuts anzusehen ist, stehen dem Umstand nicht entgegen, dass die Flüchtlingseigenschaft Personen zuerkannt wird, die die Voraussetzungen der Ziffer 2 dieses Artikels erfüllen;

2. die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

Für den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, bezieht sich der Ausdruck 'das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt,' auf jedes der Länder, dessen Staatsangehörigkeit diese Person hat. Als des Schutzes des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie hat, beraubt, gilt nicht eine Person, die ohne einen stichhaltigen, auf eine begründete Befürchtung gestützten Grund den Schutz eines der Länder nicht in Anspruch genommen hat, deren Staatsangehörigkeit sie besitzt.

[…]

Artikel 33

Verbot der Ausweisung und Zurückweisung

1. Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde."

Die Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs auf fluchtauslösende Ereignisse, die sich vor dem 1. Jänner 1951 zutrugen, wurde durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967 (im Folgenden: New Yorker Protokoll) beseitigt. Die Genfer Flüchtlingskonvention sowie das New Yorker Protokoll wurden mit BGBl 55/1955 und BGBl 78/1974 in innerstaatliches Recht – auf einfachgesetzlicher Ebene – transformiert.

2. Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Statusrichtlinie) enthält folgende relevante Bestimmungen:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) […]

b) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung;

c) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

d) – k) […]

[…]

Artikel 6

Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter

Schaden ausgehen kann

Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

a) dem Staat;

b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;

c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.

[…]

Artikel 10

Verfolgungsgründe

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:

a) Der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

b) Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

c) Der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Ursprünge oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

d) Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

— die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

— die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten; geschlechterbezogene Aspekte können berücksichtigt werden, rechtfertigen aber

für sich allein genommen noch nicht die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist.

e) Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

[…]

Artikel 13

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu."

3. §2 Abs1 Z15 und §3 AsylG 2005 lauten:

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. – 14. […]

15. der Status des Asylberechtigten: das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;

16. – 25. […]

(2) – (3) […]

Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011)

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Der Asylgerichtshof geht auf die Glaubwürdigkeit der Ausführungen des Beschwerdeführers im Asylverfahren nicht näher ein, sondern hält bloß fest, dass sich sein Vorbringen – auch im Falle dessen Wahrheitsgehaltes – nicht unter die in Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände subsumieren lasse. Im Falle des Beschwerdeführers komme lediglich das Vorliegen einer sozialen Gruppe in Betracht; mit der unter Pkt. I.3. zitierten näheren Begründung kommt der Asylgerichtshof dabei zum Ergebnis, dass Betreiber von Geschäften für Wasseraufbereitungsanlagen – auch wenn diese für eine Hilfsorganisation oder für Amerikaner tätig seien – keine soziale Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bildeten.

2.2. Mit dieser Begründung verabsäumt es der belangte Asylgerichtshof jedoch, das Fluchtvorbringen nach dem – infolge der Ausführungen des Beschwerdeführers viel naheliegenderen – Tatbestand der Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung zu beurteilen. Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat sowie für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.9.2002, 2001/20/0310 mwN). Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es dabei aus, dass diese von den Verfolgern bloß unterstellt wird (Art10 Abs1 lite iVm Abs2 Statusrichtlinie; s. auch VwGH 12.9.2002, 2001/20/0310).

Im vorliegenden Fall gab der Beschwerdeführer an, er sei deshalb entführt worden, weil er als Fachmann für Wasseraufbereitungsanlagen mit den "Muslim Peacemaker Teams" – einer irakischen Nichtregierungsorganisation, die in enger Zusammenarbeit mit der Organisation "Iraqi American Reconciliation Project" steht – zusammengearbeitet habe. Im Rahmen seiner Festhaltung hätten ihm seine Entführer die Unterstützung von "Juden und Amerikanern" vorgeworfen; in den Schmierereien auf der Fassade seines Geschäftes sei er als Agent bzw. Kollaborateur bezeichnet worden. Damit beschreibt der Beschwerdeführer eindeutig Verfolgungshandlungen, die auf seiner – ihm von seinen Verfolgern zumindest unterstellten – politischen Einstellung beruhen, nämlich der friedlichen Kooperation mit der (vormaligen) US-amerikanischen Besatzungsmacht und damit der Zusammenarbeit mit den Feinden der extremistischen Aufständischen.

2.3. Soweit der Asylgerichtshof also das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht auch unter dem Aspekt der Verfolgung aus politischen Gründen beurteilte, ist ihm eine grobe Verkennung der Rechtslage vorzuwerfen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Asylgerichtshof hinsichtlich der Frage der asylrelevanten Eingriffsintensität der behaupteten Verfolgungshandlungen nur auf die Schmierereien an der Geschäftsfassade sowie die folgenden sozialen Nachteile Bezug nahm, die vorgebrachte Entführung sowie die dabei erfolgten Schläge und Morddrohungen jedoch völlig unberücksichtigt ließ.

2. Die vorliegende Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Bescheidbegründung, EU-Recht Richtlinie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U616.2013

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten