TE Vwgh Erkenntnis 2013/12/10 2010/05/0220

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Veröffentlicht am 10.12.2013
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
BauO Wr §60 Abs1 lita;
BauO Wr §60 Abs1 litb;
BauO Wr §79 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail, den Hofrat Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde der VN in W, vertreten durch Winkler Reich-Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwälte-Partnerschaft in 1010 Wien, Gonzagagasse 14, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. September 2010, Zl. BOB-442/10, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei: Wiener Landesregierung) (mitbeteiligte Partei:

G GmbH in W, vertreten durch Dr. Thomas Pittner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Waaggasse 5/10), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 sowie der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 18. Februar 2010 beantragte die G.-GmbH als Bauwerberin und Grundeigentümerin der verfahrensgegenständlichen Liegenschaften (Gst. Nr. 1052/1, EZ 361; Gst. Nr. 1053 und 1054, beide EZ 360; KG M, G. Straße 157) beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37/6, die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung von Neubauten in Massivbauweise, bestehend aus vier am G. Gürtel, der G. Straße bzw. der W. Gasse gelegenen Trakten, zur Schaffung eines sozialmedizinischen Zentrums, eines Bürotraktes, zweier Wohnheime sowie einer zweigeschoßigen Tiefgarage.

Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin des östlich an das Baugrundstück Nr. 1054 angrenzenden Grundstückes W. Gasse 9, wobei diese Grundgrenze hofseitig verläuft.

Die Behörde erster Instanz beraumte unter ausdrücklicher Benennung des näher bezeichneten Ansuchens um Baubewilligung und des Ansuchens um Bewilligung von Abweichungen von der festgesetzten Baufluchtlinie als Verhandlungsgegenstand eine mündliche Verhandlung für den 19. April 2010 an, zu der zahlreiche Anrainer, darunter auch die Beschwerdeführerin, geladen wurden. Die Ladung enthielt den Hinweis an sonstige Beteiligte, insbesondere Nachbarn, dass Einwendungen gegen den Gegenstand der Verhandlung, die nicht spätestens bei der Verhandlung vorgebracht würden, keine Berücksichtigung fänden und insofern nach den Bestimmungen der Bauordnung für Wien keine Parteistellung erlangt werden könnte. Die Beschwerdeführerin nahm am 15. April 2010 Einsicht in die Baueinlage und erhob in der Verhandlung Einwendungen gegen die Errichtung von Lüftungsbauten und eines Stiegenhauses auf Flächen der gärtnerischen Ausgestaltung.

Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den

6. Bezirk vom 24. Juni 2010 wurde eine Abweichung von den Vorschriften des Bebauungsplanes gemäß § 69 der Bauordnung für Wien (BO) bewilligt: Es dürfe die Baufluchtlinie an der Hoffront des Traktes am G. Gürtel im Erdgeschoß um 2,25 m auf einer Länge von ca. 30,08 m überschritten werden.

Mit Bescheid der Magistratsabteilung 37/6 vom 20. Juli 2007 wurde sodann unter Bezugnahme auf die erteilte Ausnahmebewilligung gemäß § 69 BO die beantragte baubehördliche Bewilligung gemäß § 70 BO erteilt. Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Errichtung der Lüftungsbauten und des Stiegenhauses wurden als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die Behörde aus, dass die Brandrauchentlüftung für den Betrieb der Tiefgarage, sowie die Stufenanlage für die Erreichbarkeit der Tiefgarage von der Stiege 4 aus erforderlich seien, diese Baulichkeiten weder Zubauten darstellten noch der bebauten Fläche hinzuzuzählen seien und ihre Situierung auf gärtnerisch auszugestaltender Fläche aufgrund ihres unbedingt erforderlichen Ausmaßes entsprechend § 79 Abs. 6 BO zulässig sei.

In der gegen beide Bescheide jeweils mit Schreiben vom 2. August 2010 erhobenen Berufung ("Einspruch") führte die Beschwerdeführerin u.a. aus, dass die geplanten Lüftungsbauten Bauwerke darstellten, deren Errichtung gemäß § 79 Abs. 6 BO auf einer gärtnerisch auszugestaltenden Grünfläche unzulässig sei. Außerdem dürfe die Bebaubarkeit einer Liegenschaft ohne nachgewiesene Zustimmung des betroffenen Nachbarn gemäß § 69 BO nicht vermindert werden. Eine Zustimmung sei im gegenständlichen Fall nicht vorgelegen; durch die Änderung der Baufluchtlinie sei jedoch die Bebaubarkeit der Liegenschaft der Beschwerdeführerin vermindert worden. Durch die Überschreitung der Baufluchtlinie an der Hoffront des Traktes am G. Gürtel um 2,25 m seien die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte der Beschwerdeführerin als Grundeigentümerin der Nachbarliegenschaft, W. Gasse 9, verletzt worden, da sich der Abstand zu dieser Liegenschaft um 2,25 m verringere.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15. September 2010 wurde die Berufung von der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen. Aus den vorliegenden Einreichplänen gehe eindeutig hervor, dass die in der gärtnerisch auszugestaltenden Fläche situierten Brandrauchentlüftungen für den Betrieb der geplanten Tiefgarage unbedingt erforderlich seien. Die Bestimmung des § 79 Abs. 6 BO enthalte keine taxative, sondern lediglich eine demonstrative Aufzählung der in gärtnerisch auszugestaltenden Flächen im unbedingten Ausmaß zulässigen Bauführungen, weshalb die Errichtung der Brandrauchentlüftungen in der gärtnerisch auszugestaltenden Fläche zulässig sei.

Hinsichtlich der Beanstandung der Erteilung der Ausnahmebewilligung nach § 69 BO habe die Beschwerdeführerin im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens keine Einwendungen erhoben. Die nunmehr in der Berufung vorgebrachten Einwendungen betreffend die Überschreitung der parallel zum G. Gürtel verlaufenden Baufluchtlinie seien somit in Hinblick auf § 134 Abs. 3 BO nicht rechtzeitig geltend gemacht worden, weshalb die Beschwerdeführerin diesbezüglich als präkludiert anzusehen sei und keine Parteistellung erlangt habe.

Bemerkt werde allerdings, dass im Hinblick darauf, dass die gegenständliche Überschreitung der Baufluchtlinie an der Hoffront des am G. Gürtel gelegenen Traktes auf das Erdgeschoß beschränkt sei, eine Beeinträchtigung der an der gegenüberliegenden Hoffront situierten Liegenschaft der Beschwerdeführerin nicht gegeben sein könne, zumal schon auf Grund des gegebenen Abstandes zu der Liegenschaft der Beschwerdeführerin durch die gegenständliche Überschreitung der Baufluchtlinie im Erdgeschoß der der Bauordnung zu Grunde liegende maßgebliche Lichteinfall unter 45 Grad auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin und damit die Bebaubarkeit ihrer Liegenschaft sowie der darauf befindliche konsensmäßige Baubestand nicht beeinträchtigt werden könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichthof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall ist auf Grund der zeitlichen Lagerung des Verwaltungsverfahrens die Bauordnung für Wien in der Fassung LGBl. 25/2009 anzuwenden.

Die maßgeblichen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

"Ansuchen um Baubewilligung

§ 60. (1) Bei folgenden Bauvorhaben ist, soweit nicht die §§ 62, 62a oder 70a zur Anwendung kommen, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken:

a) Neu-, Zu- und Umbauten. Unter Neubau ist die Errichtung neuer Gebäude zu verstehen; ein solcher liegt auch vor, wenn nach Abtragung bestehender Bauwerke die Fundamente oder Kellermauern ganz oder teilweise wieder benützt werden. Ein einzelnes Gebäude ist ein raumbildendes Bauwerk, das in seiner Bausubstanz eine körperliche Einheit bildet und nicht durch Grenzen eines Bauplatzes oder Bauloses oder durch Eigentumsgrenzen geteilt ist, ausgenommen die zulässige Bebauung von Teilen des öffentlichen Gutes. Der Bezeichnung als ein einzelnes Gebäude steht nicht entgegen, dass in ihm Brandmauern enthalten sind oder es auf Grundflächen von verschiedener Widmung, verschiedener Bauklasse oder verschiedener Bauweise errichtet ist. Ein Raum liegt vor, wenn eine Fläche zumindest zur Hälfte ihres Umfanges von Wänden umschlossen und von einer Deckfläche abgeschlossen ist; ein Aufenthaltsraum muss allseits umschlossen sein. Flugdächer mit einer bebauten Fläche von mehr als 25 m2 oder einer lotrecht zur bebauten Fläche gemessenen Höhe von mehr als 2,50 m gelten als Gebäude. Zubauten sind alle Vergrößerungen eines Gebäudes in waagrechter oder lotrechter Richtung, ausgenommen die Errichtung von Dachgauben. Unter Umbau sind jene Änderungen des Gebäudes zu verstehen, durch welche die Raumeinteilung oder die Raumwidmungen so geändert werden, dass nach Durchführung der Änderungen das Gebäude als ein anderes anzusehen ist. Ein Umbau liegt auch dann vor, wenn solche Änderungen selbst nur ein einzelnes Geschoß betreffen. Der Einbau von Wohnungen oder Teilen davon in das Dachgeschoß gilt nicht als Umbau.

b) Die Errichtung aller sonstigen Bauwerke über und unter der Erde, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine kraftschlüssige Verbindung gebracht werden und wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sind, öffentliche Rücksichten zu berühren. Öffentliche Rücksichten werden jedenfalls berührt, wenn Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen, Friedhöfe und Grundflächen für öffentliche Zwecke errichtet werden.

c) …

Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes

§ 69. (1) Für einzelne Bauvorhaben hat die Behörde über die Zulässigkeit von Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes zu entscheiden. Diese Abweichungen dürfen die Zielrichtung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes nicht unterlaufen. Darüber hinaus darf

1. die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen ohne nachgewiesene Zustimmung des betroffenen Nachbarn nicht vermindert werden,

2. an Emissionen nicht mehr zu erwarten sein, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entsteht,

3. das vom Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild nicht störend beeinflusst werden und

4. die beabsichtigte Flächennutzung sowie Aufschließung nicht grundlegend anders werden.

(2) Abweichungen, die die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen, sind weiters nur zulässig, wenn sie nachvollziehbar

1.

eine zweckmäßigere Flächennutzung bewirken,

2.

eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung von Bauwerken, insbesondere des konsensgemäßen Baubestandes, bewirken,

              3.              der Herbeiführung eines den zeitgemäßen Vorstellungen entsprechenden örtlichen Stadtbildes dienen oder

              4.              der Erhaltung schützenswerten Baumbestandes dienen.

Vorgärten, Abstandsflächen und gärtnerisch auszugestaltende Flächen

§ 79.

(6) Vorgärten, Abstandsflächen und sonstige gärtnerisch auszugestaltende Flächen sind, soweit auf diesen Flächen zulässige Bauwerke oder Bauwerksteile nicht errichtet werden, gärtnerisch auszugestalten und in gutem Zustand zu erhalten. Befestigte Wege und Zufahrten, Stützmauern, Stufenanlagen, Rampen uä. sind nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß zulässig. Darüber hinaus sind Schwimmbecken bis zu einem Gesamtausmaß von 60 m3 Rauminhalt zulässig; diese müssen von Nachbargrenzen einen Abstand von mindestens 3 m haben, sofern der Nachbar nicht einem geringeren Abstand zustimmt.

Parteien

§ 134.

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§ 8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Bauwerk liegen.

(4) Weist ein Nachbar der Behörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 134 Abs. 3 zu erlangen, kann er seine Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem Baubeginn vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§ 134 Abs. 3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat.

Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte

§ 134a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

b)

Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

c)

Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen, Baulosen und Kleingärten;

              d)              Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;

…"

Die Beschwerdeführerin vertritt unter dem Aspekt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides die Ansicht, dass Lüftungsbauten nicht unter die Ausnahmebestimmungen des § 79 Abs. 6 BO zu subsumieren seien. Daher komme es gar nicht darauf an, ob der Lüftungsbau in seinem Ausmaß unbedingt erforderlich sei, das Bauvorhaben sei nämlich keinesfalls berechtigt. Dort, wo eine gärtnerisch auszugestaltende Fläche oder eine Baufluchtlinie festgesetzt worden sei, sei zwar eine bauliche Änderung im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. c BO, nicht aber ein Neubau im Sinne des § 60 Abs. 1 lit a BO, wie der verfahrensgegenständliche Lüftungsbau, zulässig.

Wie die im § 79 Abs. 6 BO enthaltene (demonstrative) Aufzählung deutlich zeigt, sind nach dieser Norm zwar sonstige Bauwerke im Seitenabstand zulässig, nicht aber Gebäude (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 2013, Zl. 2012/05/0192). Bei der verfahrensgegenständlichen Lüftungsanlage handelt es sich entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin keineswegs um einen Neubau nach § 60 Abs. 1 lit. a BO, weil es einer solchen Lüftungsanlage am raumbildenden Charakter und damit an der Gebäudeeigenschaft mangelt. Vielmehr handelt es sich bei einer Lüftungsanlage um ein sonstiges Bauwerk iSd § 60 Abs. 1 lit. b BO (vgl. zur Bewilligungspflicht von Technikschächten nach dieser Bestimmung das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2010, Zl. 2009/05/0162, zu Lüftungslamellen das hg. Erkenntnis vom 24. April 1990, Zl. 89/05/0044, sowie zu oberirdischen Lüftungsöffnungen einer Tiefgarage, die der Qualifikation der Garage als unterirdisches Gebäude nicht entgegenstünden, da es auf raumbildende bauliche Maßnahmen ankomme, gleichfalls das hg. Erkenntnis vom 24. April 1990).

Den unbedenklichen Ausführungen der belangten Behörde, die in der gärtnerisch auszugestaltenden Fläche situierten Brandrauchentlüftungen seien für den Betrieb der geplanten, 63 Stellplätze umfassenden Tiefgarage aus technischer Sicht unbedingt erforderlich, ist die Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten. Es kann sohin eine Rechtsverletzung der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Errichtung der geplanten Brandrauchentlüftungen nicht erkannt werden.

Die Beschwerdeführerin erblickt eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, dass die belangte Behörde davon ausgehe, die Beschwerdeführerin sei nach § 134 Abs. 3 BO präkludiert, da sie gegen die verfahrensgegenständliche Überschreitung der Baufluchtlinie im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens keine Einwendungen erhoben habe. Die Abweichung von den Vorschriften des Bebauungsplanes gemäß § 69 BO im Umfang des Bescheides vom 24. Juni 2010 sei jedoch bei der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2010 kein Thema gewesen. Die Beschwerdeführerin sei mit diesen beabsichtigten Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes vor Zustellung des Bescheides vom 24. Juni 2010 nicht im Detail konfrontiert gewesen. Erstmals habe sie mit Zustellung des Bescheides davon Kenntnis erlangt, dass für das vorliegende Bauvorhaben die Baufluchtlinie an der Hoffront des Traktes am G. Gürtel im Erdgeschoß in bestimmtem Ausmaß unterschritten (gemeint wohl: überschritten) werden sollte. Fristgerecht innerhalb von 14 Tagen habe die Beschwerdeführerin durch ihr Berufungsschreiben vom 2. August 2010 die Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte thematisiert und dargelegt, dass einerseits ihre Zustimmung zur Abweichung nach § 69 BO nicht gegeben sei und überdies die Abweichung nicht gerechtfertigt sei, weil die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen vermindert werde und keine relevanten Gründe für die Abweichung von den Vorschriften des Bebauungsplans nach § 69 BO gegeben seien. Bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften, insbesondere des § 134 Abs. 4 BO, hätte über die diesbezüglichen Einwände inhaltlich abgesprochen werden müssen.

Nach § 134 Abs. 3 dritter Satz BO erlangt ein Nachbar im Baubewilligungsverfahren Nachbar- und damit Parteistellung nur im Rahmen und im Umfang der rechtzeitig erhobenen rechtserheblichen Einwendungen und kann daher nur insoweit in seinen Rechten verletzt sein. Da somit die mitbeteiligte Partei nur im Rahmen der von ihr erhobenen Einwendungen Parteistellung erlangt hat, kann sie auch nur insoweit Parteirechte beanspruchen. Ein über die erlangte Parteistellung hinausgehendes Berufungsvorbringen ist daher unzulässig (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2003, Zl. 2003/05/0009).

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, die diesbezügliche Einwendung nicht fristgerecht erhoben zu haben, sie vermeint aber, unverschuldet iSd § 134 Abs. 4 BO an der Erhebung von Einwendungen gehindert gewesen zu sein.

Den Behauptungen der Beschwerdeführerin ist entgegenzuhalten, dass bereits die rechtzeitige Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 19. April 2010 als Verwaltungsangelegenheit nicht nur das eigentliche Ansuchen um Baubewilligung umschrieb, sondern auch das Ansuchen um Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes hinsichtlich der festgesetzten Baufluchtlinie. Am 15. April 2010 - somit noch vor der mündlichen Verhandlung - nahm die Beschwerdeführerin Einsicht in die Baueinlage. Schließlich geht aus dem von der Beschwerdeführerin unterzeichneten Verhandlungsprotokoll vom 19. April 2010 hervor, dass das gegenständliche Bauvorhaben entsprechend den vorgelegten Plänen und Beilagen "die Bewilligung für unwesentliche Abweichungen von Bebauungsvorschriften und die Baubewilligung für … (den) Neubau eines Wohnheimes, sozialmedizinisches Zentrums und Bürogebäudes, sowie Abweichung von der festgesetzten Baufluchtlinie" zum Gegenstand habe. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich - und wurde auch von der Beschwerdeführerin nicht näher dargelegt - , warum die Beschwerdeführerin trotz deutlicher Bezeichnung des Verfahrensgegenstandes und trotz Akteneinsicht nicht in der Lage gewesen sein sollte, rechtzeitig Einwendungen zu erheben. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Präklusion nach dem AVG muss auch eine rechtsunkundige Person, die zu einer mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 42 AVG geladen wird, in der Lage sein, bei der Bauverhandlung eindeutig darzulegen, in welchen Punkten sie ein Bauvorhaben bekämpft. Im Übrigen steht es dem Nachbarn frei, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1991, Zl. 91/05/0142, und vom 30. Mai 1996, Zl. 93/06/0155).

Da die belangte Behörde daher zu Recht vom Vorliegen der Präklusion hinsichtlich der Frage der Überschreitung der Baufluchtlinie ausgehen konnte, ist auf die Frage der Zulässigkeit der Abweichung von der Baufluchtlinie iSd § 69 BO nicht näher einzugehen. Eine Rechtsverletzung liegt insoweit nicht vor.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 10. Dezember 2013

Schlagworte

Voraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungsrecht und Präklusion (AVG §42 Abs1)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2010050220.X00

Im RIS seit

26.12.2013

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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