Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
KOVG 1957 §4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der Mag. MK in M, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 17. August 2011, Zl. 41.550/623- 9/11, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit formularmäßigen Schreiben, jeweils eingelangt beim Bundessozialamt am 27. Oktober 2010, beantragte die Beschwerdeführerin Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes von Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung, einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, des Ersatzes des Verdienstentganges und des Ersatzes von Sachschäden. In der Rubrik "Angaben zum Verbrechen" (Akt S. 4) verwies die Beschwerdeführerin ganz allgemein auf mehrere, dem Datum nach präzisierte Anzeigen, die sie in den Jahren 2009 und 2010 bei Polizeidienststellen eingebracht habe.
Die nach der Aktenlage von der Erstbehörde (Bundessozialamt) beigeschafften Anzeigen der Beschwerdeführerin (Akt S. 43, 47 bzw. 99) betreffen den rechtswidrigen Zugriff unbekannter Täter auf den Computer der Beschwerdeführerin über das Internet samt Vernichtung von Daten der Beschwerdeführerin. Ausweislich eines Abschlussberichts vom 18. Juni 2010 (Akt S. 47) hat die Beschwerdeführerin angegeben, sie sei Dolmetsch für Tibetisch/Deutsch u.a. in Asylverfahren und vermute, dass der chinesische Geheimdienst bzw. von diesem bezahlte Tibeter in ihr Computersystem eingedrungen seien und dort ihre schriftlichen Arbeiten (Doktorarbeit) verändert hätten.
In ihrer Vernehmung durch die Bundespolizeidirektion Wien vom 9. Juni 2010 (Akt S. 104 bis 106) brachte die Beschwerdeführerin vor, sie vermute, dass sie durch ihre langjährige Übersetzertätigkeit und ihren zehnjährigen Aufenthalt in Nepal zu viele Informationen über Schleppermethoden, Namen der Schlepper usw. habe. Aus diesem Grund und wegen ihres Einsatzes für die Menschenrechte befürchte sie, dass sie von einer tibetanischen bzw. nepalesischen Gruppe observiert werde, die dafür bezahlt werde. So sei sie am 20. März 2010 am I Bahnhof von diesen Leuten observiert worden, nachdem sie an der Universität I einen Unterricht in tibetanischer Sprache abgehalten habe.
Mit Schreiben vom 15. April 2011 verwies die Beschwerdeführerin abermals auf die "Massivität der Datenfälschung durch Hacken meiner Computer". Seit dem 2. April 2011 komme es auch häufig zu sehr auffälligen Unregelmäßigkeiten und Störungen der email-Adresse der Beschwerdeführerin, sie verwies weiters auf "Vorfälle an meinem Auto im Sommer 2010 in Wien;
Observierung 2010; Anruf auf Geheimnummer auf Nepalesisch 2010, Vorfälle in Deutschland seit Februar 2011". Auch sei, wie sie u. a. dem Landeskriminalamt M am 1. März 2011 mitgeteilt habe, ein Brief des (deutschen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bereits geöffnet bei ihr angekommen. All diese Straftaten und die Bedrohung über Jahre hätten bei der Beschwerdeführerin eine Gesundheitsschädigung verursacht, die als posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden sei. Konkret habe der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. die Gesundheitsschädigung der Beschwerdeführerin als akute Belastungsreaktion bzw. sonstige Reaktion auf eine schwere Belastung, als Muskelhartspann, BWS-HWS-Syndrom und Zustand nach zervikaler Migräne diagnostiziert (s. auch Akt S. 45).
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurden die Begehren der Beschwerdeführerin abgewiesen.
In der Begründung vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe des (oben bereits auf das Wesentliche zusammengefassten) Verfahrensganges und nach Zitierung des § 1 Abs. 1 und 2 VOG den Standpunkt, dass die Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der umfassenden behördlichen Ermittlungen nicht hätten objektiviert werden können. Laut dem forensischen Untersuchungsbericht des Kriminalfachdezernates M (Akt S. 116 ff) habe an dem am 31. Mai 2010 sichergestellten Laptop der Beschwerdeführerin eine Datenveränderung durch Dritte oder eine eingebrachte Schadstoffsoftware nicht festgestellt werden können. Auch laut Abschlussbericht des (österreichischen) Landeskriminalamtes hätte die Untersuchung des Computers der Beschwerdeführerin keine Anzeichen eines widerrechtlichen Zugriffes ergeben. Ebenso hätten die Erhebungen der Sicherheitsdirektion Wien und der zuständigen Fachgruppe im Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung keine Anhaltspunkte für in deren Zuständigkeitsbereich fallende strafbare Handlungen ergeben. Was die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Verfolgungshandlungen betreffe, so gebe es dafür keine objektiven Hinweise, zumal die Beschwerdeführerin diesbezügliche Beweismittel nicht vorgelegt habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" im § 1 Abs. 1 VOG der allgemeine Sprachgebrauch maßgeblich. Wahrscheinlichkeit sei daher gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG spreche. Diesen Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit hätten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens im vorliegenden Fall nicht begründen können. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Handlung gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG reiche aber für die Anerkennung eines Anspruches nach diesem Gesetz nicht aus (Hinweis auf hg. Judikatur). Zwar sei Hilfe gemäß § 1 Abs. 2 VOG auch dann zu leisten, wenn der Täter nicht bekannt sei, doch fehlten gegenständlich schon objektive Anhaltspunkte oder Hinweise auf mit Strafe bedrohte Handlungen iSd § 1 Abs. 1 VOG. Da die Beschwerdeführerin somit die angegebene Gesundheitsschädigung nicht mit Wahrscheinlichkeit durch eine mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung erlitten habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
§ 1 VOG, BGBl. Nr. 828/1972 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 4/2010, lautet auszugsweise:
"Artikel II
Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. als Unbeteiligte …
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. …
(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn
1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,
2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder
3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.
…"
In ihrer Beschwerde bemängelt die Beschwerdeführerin die Erfüllung der amtswegigen Ermittlungspflicht durch die belangte Behörde, da nur durch ein Sachverständigengutachten aus dem Fach der Informatik, das die belangte Behörde hätte einholen müssen, eruiert hätte werden können, ob tatsächlich Zugriffe auf den Computer der Beschwerdeführerin stattgefunden haben. Die Beschwerdeführerin hätte angeleitet werden müssen, ein derartiges Sachverständigengutachten zu beantragen. Auf Grund "massiver Verfolgung von offensichtlich entsprechenden Schlepperkreisen" liege bei der Beschwerdeführerin eine Traumatisierung vor, welche massiven Krankheitswert habe. Auch durch die ständige Observierung habe die Beschwerdeführerin einen gesundheitlichen Schaden erlitten. Durch die Anzeigen der Beschwerdeführerin gebe es auch einen objektiven Hinweis auf ein Verschulden bestimmter Tätergruppen. Keinesfalls sei es erforderlich, dass tatsächlich irgendwelche Personen in Strafverfahren involviert seien, denn offensichtlich agierten die Tätergruppen gegenständlich derart geschickt, dass man ihrer nicht habhaft werden könne. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei die Situation dahin gehend objektiviert, dass sie als Dolmetscherin jahrelang durch Tätergruppen der Überwachung, Stalking und diverser Schikanen - Verfolgung und Internetkriminalität - ausgesetzt gewesen sei.
Dieses Vorbringen ist nicht zielführend:
Im gegenständlichen Fall ist einzig die Frage strittig, ob die Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin (welche von der belangten Behörde nicht angezweifelt wurden) mit Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung hervorgerufen wurden.
Auch für die Hilfeleistung gemäß § 1 Abs. 2 VOG ist Voraussetzung, dass eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit Ursache für die Gesundheitsschädigung ist.
Zutreffend ist die belangte Behörde davon ausgegangen, dass eine ausreichende "Wahrscheinlichkeit" iSd § 1 Abs. 1 VOG erst dann gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2013, Zl. 2012/11/0001). Dass sie das Vorliegen einer solchen Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Fall verneint hat, ist vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zustehenden Kontrolle der behördlichen Beweiswürdigung aus folgenden Gründen nicht zu beanstanden:
Die belangte Behörde hat ihre Auffassung, dass bei der Überprüfung des Computers der Beschwerdeführerin keine Auffälligkeiten hätten festgestellt werden können, auf die genannten Ermittlungsergebnisse, insbesondere den aus dem Akt (S. 116 ff) ersichtlichen forensischen Untersuchungsbericht des Kriminalfachdezernates M vom 9. August 2010 gestützt. Diesem Untersuchungsbericht ist die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten. Da somit schon die Wahrscheinlichkeit der behaupteten Straftaten fehlt, bedarf es keiner weiteren Beurteilung, ob diese (vgl. etwa § 118a Abs. 1 StGB zum widerrechtlichen Zugriff auf ein Computersystem, der eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe vorsieht) im Hinblick auf den Strafrahmen überhaupt eine Handlung iSd § 1 Abs. 1 VOG darstellen.
Soweit die Beschwerdeführerin ihre Gesundheitsschäden in der Beschwerde auf die "ständige Observierung" und auf sog. Stalking tibetanischer Personen zurückführt, wurde dieses Vorbringen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens so wenig konkretisiert, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde, ein diesbezügliches strafbares Verhalten sei nicht als wahrscheinlich zu erkennen, nicht zu beanstanden ist.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 21. November 2013
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011110205.X00Im RIS seit
19.12.2013Zuletzt aktualisiert am
03.03.2014