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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz Maydan Wardak und der Zumutbarkeit der Rückkehr; keine ausreichende Einzelfallprüfung hinsichtlich der Anknüpfungspunkte in KabulSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan und seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).
Die angefochtene Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.620,— bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 8. August 2010 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 11. Oktober 2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005) (Spruchpunkt I) und bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 leg.cit. (Spruchpunkt II) abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß §10 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 20. Jänner 2012 in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §§3, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof aus:
2.1. Der Beschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache sei Dari; er spreche auch Farsi. Er sei nicht politisch aktiv gewesen und habe auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme im Herkunftsstaat.
2.2. Als fluchtauslösendes Ereignis habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass sein Onkel in Teheran — wohin er im Kindesalter mit seinem Onkel ausgewandert sei, um dort zu arbeiten und Geld für seine Familie zu verdienen — getötet worden sei, als dieser eine Einkaufspassage als Wachmann bewacht habe. Der Beschwerdeführer habe einen der Täter erkannt und sei dann eingesperrt worden. Das Leben des Beschwerdeführers sei im Iran und auch in Afghanistan, wo sich seine Familie befinde, in Gefahr, weil die restlichen Täter nach Afghanistan geflüchtet seien.
2.3. Eine asylrelevante Verfolgung habe der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen können, weil die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht den Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl entsprächen. Abgesehen davon sei das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgungsgeschehen auch nicht glaubhaft, was der Asylgerichtshof anhand mehrerer Details belegt. Eine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete individuelle Verfolgungshandlung liege nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht vor.
2.4. Gleichfalls habe kein reales Risiko einer Verletzung der Art2 oder 3 EMRK festgestellt werden können. Hierzu führt der Asylgerichtshof aus:
"Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.
Was die Sicherheitslage im Raum Kabul betrifft, ist festzuhalten, dass seit August 2008 die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern der afghanischen Armee und Polizei liegt. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten 2010 gelungen, Zahl und Schwere umgesetzter sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren. Die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Kabul erlaubt es mittlerweile sogar, in Abstimmung zwischen der Stadtverwaltung, nationalen und internationalen Sicherheitskräften mit dem Rückbau von Betonbarrieren und Verkehrsbeschränkungen zu beginnen. Die für die Bevölkerung deutlich spürbare Verbesserung der Sicherheitslage im Stadtbereich Kabuls geht weniger zurück auf eine Verminderung der Bedrohung (Anschlagsversuche, Eindringen von Aufständischen usw.), als vielmehr auf die Verbesserung vorbeugender Sicherheitsmaßnahmen. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind dennoch auch künftig nicht auszuschließen (siehe Deutsches Auswärtiges Amt, 'Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan' vom 09.02.2011, S. 14).
Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF verfügt darüber hinaus über eine mehrjährige Schulausbildung und Berufserfahrung. Seinen eigenen Angaben zufolge verfügt der BF in Afghanistan nach wie vor auch über enge familiäre Anknüpfungspunkte. So leben etwa seine Eltern und Geschwister – je nach den Angaben des BF – nach seinen Vermutungen im Heimatort des BF bzw. in Kabul. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass dem BF im Fall der Rückkehr in seinen Heimatort – oder nach Kabul – im Rahmen seines Familienverbandes jedenfalls eine wirtschaftliche und soziale Unterstützung (zunächst vor allem mit Wohnraum und Nahrung) zuteil wird. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der BF auch seine Kindheit in seiner Heimatprovinz Maydan Wardak verbracht hat und somit mit den dortigen örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten vertraut ist.
Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des BF und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zahl 98/21/0427; 20.06.2002, Zahl 2002/18/0028; vgl. dazu auch Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.06.2010, Zahl BVerwG 10 C10.09). Wie der EGMR in seinem Urteil vom 20.07.2010, N. vs. Schweden, Zahl 23505/09, Rz 52, ausgeführt hat, stellt sich die Lage in Afghanistan trotz der verfügbaren Berichte über ernste Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nicht so dar, dass gleichsam jede Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, sondern es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art3 EMRK darstellen würde.
Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem BF unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, nach der Hauptstadt Kabul bzw. von dort aus in seinen Heimatort in der Provinz Maydan Wardak zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz verfügt. Letztlich steht dem BF ergänzend auch die Möglichkeit offen, sich unmittelbar nach erfolgter Ankunft an in Kabul ansäßige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt wird, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden können."
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die der Sache nach auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2, 3 und 8 EMRK sowie in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gerügt wird.
3.1. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, dass es sich bei den vom Asylgerichtshof ins Treffen geführten Widersprüchen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers um keine tatsächlichen Widersprüche handle.
Was die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffe, so habe sich der Asylgerichtshof nur mangelhaft mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Zum einen sei die Entscheidung widersprüchlich, was den Aufenthaltsort der Familie des Beschwerdeführers betreffe; zum anderen gehe die angefochtene Entscheidung mit keinem Wort auf die aktuelle Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Maydan Wardak, ein, sondern beschränke sich auf Ausführungen zum Raum Kabul und auf die Aussage, dass die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz variiere. Es sei nicht einmal ersichtlich, auf welche Länderberichte die belangte Behörde ihre Einschätzung der Sicherheitslage überhaupt stütze, da sich der Quellenverweis der angefochtenen Entscheidung lediglich auf Berichte zu Griechenland stütze. Auch habe der Asylgerichtshof gar nicht erst berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bereits im Kindesalter Afghanistan verlassen habe und seither auch nicht in sein Heimatland zurückgekehrt sei. Es wäre ihm kaum möglich, allein und auf sich gestellt, Fuß in Afghanistan zu fassen, zumal ihm die Erfahrung mit dem sozialen Netz und den Gewohnheiten in Afghanistan fehlten.
Abschließend wird in der Beschwerde vorgebracht, die Ausweisung des Beschwerdeführers verletze Art8 EMRK, da sich dieser mittlerweile in Österreich gut integriert habe.
4. Der Asylgerichthof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und bean-tragt die Abweisung der Beschwerde.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan richtet, begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten vorzuwerfen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf interna-tionalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivil-person eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat können unter dem Gesichtspunkt des Art3 EMRK relevant sein (VfSlg 19.602/2011 mwN).
2.2. Der Asylgerichtshof gibt in seiner Entscheidung einen Länderbericht zur Sicherheitslage in Kabul aus dem Jahr 2011 wieder. Er stellt darauf gestützt fest, dass die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt variiere und dass sich die Sicherheitslage in Kabul positiv entwickelt habe, auch wenn es zu medienwirksamen Anschlägen komme. Was die Grundversorgung in Afghanistan betrifft, so hält der Asylgerichtshof ohne Verweis auf Quellen — die in der angefochtenen Entscheidung eingangs angeführten Quellen beziehen sich auf Griechenland, wohin der Beschwerdeführer im ersten Rechtsgang abgeschoben worden war — fest, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, dass sich der Beschwerdeführer aber in Kabul an staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen wenden könne, deren individuelle Unterstützungsleistungen jedoch meist nur in eingeschränktem Ausmaß gewährt werden könnten. Es handle sich beim Beschwerdeführer um einen arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Außerdem sei dem Beschwerdeführer "unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar […], nach der Hauptstadt Kabul bzw. von dort aus in seinen Heimatort in der Provinz Maydan Wardak zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz" verfüge und wo er seine Kindheit verbracht habe. Zur Sicherheitslage in der Provinz Wardak enthält die angefochtene Entscheidung überhaupt keine Feststellungen.
2.3. Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt (vgl. §8 Abs1 AsylG 2005) auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gege-benheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.3.2013, U1674/12; 12.6.2013, U2087/2012).
2.4. Der Asylgerichtshof geht auf Seite 50 der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass die sozialen und familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in der Provinz Maydan Wardak liegen. Er setzt sich mit der dortigen Sicherheitslage jedoch nicht auseinander (vgl. VfGH 6.6.2013, U241/2013). Da der Asylgerichtshof davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer in die Provinz Maydan Wardak zurückkehren kann, hätte er sich mit den Länderberichten betreffend die dortige Situation auseinandersetzen müssen, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan, wie der Asylgerichtshof festgestellt hat, von Provinz zu Provinz variiert (vgl. VfGH 7.6.2013, U2436/2012).
Überdies hat der Asylgerichtshof bloß lapidar in den Raum gestellt, dass es dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung "seiner persönlichen Verhältnisse" möglich und zumutbar sei, von Kabul aus in seine Heimatprovinz Maydan Wardak zu gelangen, ohne Feststellungen zum Reiseweg zu treffen (vgl. VfGH 7.6.2013, U565/2012; 7.6.2013, U2436/2012; 6.6.2013, U241/2013).
2.5. Auch wenn man die Ausführungen des Asylgerichtshofs zur Sicherheitslage in Kabul und zur Möglichkeit, sich in Kabul an Hilfseinrichtungen zu wenden, so versteht, dass der Asylgerichtshof von Kabul als alternativem Zielort ausgeht, hätte er die Entscheidung mit einem qualifizierten Begründungsmangel belastet: Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den eigenen Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammen-halts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Stadtflucht verursacht worden sei, sei aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (EGMR, 13.10.2011, Fall Husseini, Appl. 10.611/09, Z96; 9.4.2013, Fall H. und B., Appl. 70.073/10 und 44.539/11, Rz 45 und Rz 114). Eine derartige Einzelfallprüfung bezogen auf Kabul hat der Asylgerichtshof jedoch unterlassen (vgl. VfGH 6.6.2013, U2666/2012; 13.3.2013, U1006/12). Insbesondere ist der Asylgerichtshof auch nicht darauf eingegangen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan noch als Kind verlassen und bis zu seiner Einreise nach Österreich mit seinem Onkel im Iran gelebt hat. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit, sich in Kabul an Hilfseinrichtungen zu wenden, lässt der Asylgerichtshof die, angesichts seiner eigenen Feststellung, dass diesen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zukämen, notwendige Prüfung, inwieweit der Beschwerdeführer wirklich von ihnen unterstützt werden könne, vermissen (vgl. hiezu VfGH 7.6.2013, U2436/2012; 6.3.2013, U1325/12).
2.6. Der Asylgerichtshof belastet zusammengefasst seine Entscheidung mit Willkür, weil er sich nicht mit der Sicherheit des Beschwerdeführers in seiner Heimatprovinz und der Möglichkeit, dorthin zu gelangen, bzw. der Frage auseichend auseinandersetzt, ob der Beschwerdeführer tatsächlich über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder ob der Beschwerdeführer auch ohne solche Anknüpfungspunkte seinen Lebensunterhalt derart sichern kann, dass er nicht in eine Art3 EMRK widersprechende, aussichtslose Lage gelangt. Er unterlässt sohin jegliche Ermittlungstätigkeit in entscheidenden Punkten. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, aufzuheben (vgl. auch zuletzt VfGH 13.9.2013, U1513/2012).
3. Da die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 voraussetzt, dass der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ist die bekämpfte Entscheidung, soweit der Beschwerdeführer damit aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen wird, ebenfalls aufzuheben.
B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichthof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfas-sungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Insbesondere konnte der Asylgerichtshof in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen, dass das einschlägige Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig ist.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, inso-weit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfas-sungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und die Ausweisung nach Afghanistan abgewiesen wird, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm §88 VfGG. In den zugespro-chenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz bzw. §19 Abs3 Z1 iVm §31 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U2643.2012Zuletzt aktualisiert am
18.12.2013