TE Vwgh Erkenntnis 2013/11/20 2011/02/0164

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Veröffentlicht am 20.11.2013
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs5;
StVO 1960 §4 Abs5a;
StVO 1960 §4 Abs5b;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Senatspräsidentin Dr. Riedinger sowie den Hofräten Dr. Beck, Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des M W in M bei Amstetten, vertreten durch Mag. Ludwig Redtensteiner, Rechtsanwalt in 3340 Waidhofen/Ybbs, Unterer Stadtplatz 27, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. April 2011, Zl. RU6- ST-305/001-2011, betreffend Rückerstattung der Gebühr nach § 4 Abs. 5b StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft A. vom 9. März 2011, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Rückerstattung der gemäß § 4 Abs. 5b StVO 1960 zu Unrecht entrichteten Gebühr von EUR 36,00 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. April 2011 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass im Spruch die Wortfolge "zu Unrecht" zu entfallen habe.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 16. Dezember 2010 um 02.22 Uhr an einer näher genannten Kreuzung in einen Verkehrsunfall verwickelt worden und habe die Polizei verständigt, obwohl ein Identitätsnachweis möglich gewesen wäre. Die Polizei habe den Unfall als "Verkehrsunfall mit Sachschaden" aufgenommen. Die Gebühr gemäß § 4 Abs. 5b StVO 1960 habe der Beschwerdeführer an Ort und Stelle bezahlt. Noch am selben Tag habe er das Landesklinikum M. aufgesucht, wo ein Hyperabduktionstrauma und ein knöcherner Abriss eines kleinen Fragments im rechten Daumensattelgelenk festgestellt worden sei (Ambulanzkarte vom 16. Dezember 2010).

Mit Eingabe vom 29. Dezember 2010 habe der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers dies der Bezirkshauptmannschaft A. mitgeteilt und die Rückerstattung der Gebühr nach § 4 Abs. 5b beantragt.

Am 9. März 2011 habe Abteilungsinspektor F. H. der Bezirkshauptmannschaft A. telefonisch mitgeteilt, dass bei gegenständlichem Unfall für ihn als einschreitenden Beamten kein Personenschaden vorgelegen sei, weil keiner der Beteiligten angegeben habe, verletzt zu sein. Da somit lediglich ein Unfall mit Sachschaden vorgelegen sei und der Austausch der Identitäten durchaus möglich gewesen wäre, sei auch vor Ort die sogenannte "Blaulichtsteuer" in der Höhe von EUR 36,-- vom Beschwerdeführer (weil dieser die Polizei verständigt habe) eingehoben worden.

Dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 1998, A35/97, lasse sich u.a. im Zusammenhang mit einer Klage nach Art. 137 B-VG betreffend Rückforderung einer Gebühr nach § 4 Abs. 5b StVO 1960 Folgendes entnehmen:

"3.1. Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr führt aus, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Angelegenheit die der Vollziehung der StVO zuzurechnen sei. Für die Vollziehung der StVO seien gemäß Art. 11 B-VG die Länder zuständig. Dies würde für die Bestimmung des § 4 Abs. 5b StVO bedeuten, dass eine allenfalls erforderliche bescheidmäßige Vorschreibung der Gebühr durch die Bezirksverwaltungsbehörde zu erfolgen hätte. Über eine eventuelle Berufung gegen einen solchen Bescheid hätte die Landesregierung in zweiter und letzter Instanz zu entscheiden. Dieselbe Zuständigkeitsverteilung müsse daher auch für den Fall der Rückforderung einer zu Unrecht eingehobenen Gebühr gemäß § 4 Abs. 5b StVO gelten.

3.2. Dieser Auffassung pflichtet der Verfassungsgerichtshof bei."

Die Zuständigkeiten der Bezirkshauptmannschaft A. (in erster Instanz) sowie der belangten Behörde (in zweiter Instanz) zur Entscheidung über den gegenständlichen Antrag stehe daher angesichts der vorstehend wiedergegebenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs fest.

Für das Entstehen des Gebührenanspruchs gemäß § 4 Abs. 5b StVO 1960 sei in sinnvoller Weise auf den Sachverhalt zur Unfallszeit abzustellen, weil zu klären sei‚ was zu diesem Zeitpunkt rechtens gewesen sei. Dabei sei von der Situation auszugehen, wie sie sich den einschreitenden Polizeiorganen dargestellt habe. Nach den Angaben der Unfallbeteiligten hätten die Beamten davon ausgehen können, dass es sich um einen Unfall mit ausschließlich Sachschaden handle. Der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag (und indirekt in der Berufung) selbst vorgebracht, dass sich seine Verletzung erst nachträglich herausgestellt habe. Dafür spreche auch der Umstand, dass er die Gebühr für das Tätigwerden der Polizisten noch an Ort und Stelle bezahlt habe.

Nicht bestritten habe der Beschwerdeführer im Übrigen, dass ihm und seinem Unfallgegner ein Identitätsnachweis möglich gewesen wäre. Seien jedoch - wie im vorliegenden Fall - Gebühren nach § 4 Abs. 5b StVO 1960 am Unfallort eingehoben worden und habe ein Unfallbeteiligter nachträglich gemeldet, dass er verletzt sei, seien die Gebühren nicht zurückzuerstatten (Hinweis auf Grundtner, Die Österreichische Straßenverkehrsordnung, 22. Lieferung 2011, S. 260/1).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, die Rechtsansicht der erstinstanzlichen Behörde, wonach die Gebühr nach § 4 Abs. 5b StVO 1960 auch dann zu zahlen sei, wenn die Unfallbeteiligten (sowie die einschreitenden Polizisten) von der objektiv vorgelegenen Verletzung subjektiv keine Kenntnis gehabt hätten, sei verfehlt. Da auch die Berufungsbehörde diese Rechtsansicht teile, sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Es sei nicht erheblich, ob für die einschreitenden Polizeibeamten kein Personenschaden vorgelegen habe. Ferner sei auch nicht relevant, ob den Unfallbeteiligten eine objektiv vorliegende Verletzung bekannt gewesen sei oder nicht.

Der Beschwerdeführer sei durch den Verkehrsunfall - objektiv völlig unzweifelhaft - verletzt worden, sodass entgegen der ursprünglichen (unrichtigen) Annahme in rechtlicher Hinsicht gar keine Gebührenpflicht entstanden sei.

Richtig sei die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach bei Berufungsbescheiden im Allgemeinen die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung maßgebend sei. Es sei dabei aber nicht von der Situation auszugehen, wie sich diese für den einschreitenden Polizeibeamten dargestellt habe. Die belangte Behörde zitiere lediglich eine Lehrmeinung aus einem Kommentar, ohne allerdings eine höchstgerichtliche Entscheidung zu zitieren. Dem Gesetzeswortlaut sei ein Erfordernis der subjektiven Kenntnis der tatsächlich eingetretenen Verletzung jedenfalls nicht zu entnehmen.

Hätte der Beschwerdeführer die Gebühr nicht sofort an Ort und Stelle entrichtet und wäre ihm die Zahlung derselben - wohl erst einige Tage später - mit Bescheid aufgetragen worden, zu welchem (späteren) Zeitpunkt er dann wohl bereits subjektiv Kenntnis von der Verletzung gehabt hätte, hätte er den Betrag gar nicht - mehr -

zu entrichten gehabt. Zum Zeitpunkt der (späteren) Bescheidvorschreibung wäre nämlich der Gebührenanspruch gar nicht entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt seine Verletzung bereits auch subjektiv bekannt gewesen wäre. Die verfassungskonforme Auslegung ergäbe sohin, dass Personen (etwa auch mit bekanntlich erst später auftretendem Peitschenschlagsyndrom), welche die Gebühr in subjektiver Unkenntnis der tatsächlichen Verletzung sofort entrichteten, nicht sachlich ungerechtfertigt ungleich (nämlich schlechter) behandelt werden dürften im Vergleich zu solchen, welche die Gebühr nicht an Ort und Stelle entrichteten und diese erst mit Bescheid zur Zahlung vorgeschrieben erhielten (diese dann allerdings gar nicht entrichteten), weil zu diesem Zeitpunkt die tatsächliche Verletzung bereits subjektiv bekannt sei.

Es sei daher völlig unerheblich, dass sich die Verletzung "erst nachträglich" herausgestellt habe. Maßgeblich sei der objektive Eintritt der Verletzung und nicht deren subjektive Kenntnis. Der angefochtene Bescheid sei daher rechtswidrig.

Hinsichtlich der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den im Instanzenzug geltend gemachten Anspruch auf Rückerstattung der Gebühr nach § 4 Abs. 5b StVO 1960 wird auf den bereits zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 1998, A 35/97, verwiesen.

§ 4 Abs. 5, 5a und 5b StVO 1960 i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 50/2012 lauten:

"(5) Wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben die im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

(5a) Wenn nach einem Verkehrsunfall, bei dem nur Sachschaden entstanden ist, eine der im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von dem Unfall verständigt, obwohl dies im Sinne des Abs. 5 nicht nötig wäre, haben die Organe dieser Dienststelle auf Verlangen der betreffenden Person Meldungen über diesen Verkehrsunfall, insbesondere über Unfallsort, Unfallszeit, Lichtverhältnisse, Straßenzustand, Unfallsbeteiligte, nähere Unfallsumstände und verursachte Schäden, entgegenzunehmen.

(5b) Für Verständigungen nach Abs. 5 und Meldungen gemäß Abs. 5a ist eine Gebühr von 36 Euro einzuheben, es sei denn, die Verständigung nach Abs. 5 ist deshalb erfolgt, weil die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander Namen und Anschrift nicht nachweisen konnten. Von der Verpflichtung zur Entrichtung dieser Gebühr sind die Gebietskörperschaften und Lenker von Fahrzeugen derselben sowie die Lenker von Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen ausgenommen. Auf Wunsch erhält jede Person des Abs. 5, die eine gebührenpflichtige Verständigung oder Meldung vorgenommen hat oder die die Gebühr entrichtet, eine Ausfertigung des von der Polizei- oder Gendarmeriedienststelle erstatteten Unfallberichtes. Die Gebühren sind, sofern sie nicht ohne weiteres entrichtet werden, von den Bezirksverwaltungsbehörden, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion von dieser vorzuschreiben. Sie fließen der Gebietskörperschaft zu, die den Aufwand der Organe zu tragen hat."

Es ist den Beschwerdeausführungen beizupflichten, dass § 4 Abs. 5a StVO 1960 lediglich darauf abstellt, ob ein Verkehrsunfall vorliegt, "bei dem nur Sachschaden entstanden ist". Dass es dabei ausschließlich auf die Sachlage, die unmittelbar bei der Unfallsaufnahme von den einschreitenden Polizeibeamten vorgefunden wird, ankäme, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.

Es kann daher der Rechtsauffassung der belangten Behörde, die sich ihrerseits auf eine nicht näher begründete Kommentarmeinung stützt, nicht gefolgt werden, dass im Falle einer unmittelbaren Einhebung der Gebühr am Unfallsort und der nachträglich hervorkommenden Verletzung eines Unfallsbeteiligten, die Gebühr nicht zurückzuerstatten wäre, weil aus den genannten Bestimmungen nicht abzuleiten ist, dass durch einen Verkehrsunfall verursachte, aber erst nachträglich bekannt werdende Verletzungen eines Unfallsbeteiligten bei der Beurteilung der Entstehung der Gebührenpflicht nicht mehr zu berücksichtigen wären.

Der Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG im Hinblick darauf, dass die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegen steht, abgesehen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1999, Zl. 98/02/0048).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. November 2013

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2011020164.X00

Im RIS seit

13.12.2013

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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