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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BAO §288 Abs1 litd;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Waldviertel, 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 58, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 3. Mai 2011, Zl. RV/0793-G/09, betreffend Dienstgeberbeitrag 2004 bis 2007 (mitbeteiligte Partei: PM in K, vertreten durch Astoria Wirtschaftstreuhand-Steuerberatung GmbH & Co KG in 3500 Krems, Edmund Hofbauer Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte ist Facharzt für Urologie (Kassenarzt). Im Zuge der beim Mitbeteiligten für den Zeitraum 2004 bis 2007 durchgeführten Lohnsteuerprüfung wurden die Aufwendungen für die Bezüge zweier bei ihm tätiger Vertretungsärztinnen dem Dienstgeberbeitrag unterworfen, weil nach Ansicht der Prüferin Dienstverhältnisse iSd § 47 Abs. 2 EStG 1988 vorgelegen seien.
In der Berufung wurde eingewendet, die beiden Vertretungsärztinnen seien nicht als Dienstnehmerinnen einzustufen. Laut Auskunft der Ärztekammer Niederösterreich gebe es Gespräche zwischen dem Finanzministerium und der Gebietskrankenkasse, in welchen die Beurteilungskriterien des § 47 Abs. 2 EStG 1988 speziell auf die Berufsgruppe der Vertretungsärzte abgestimmt werden sollten. Die Prüferin habe die speziellen Voraussetzungen und rechtlichen Einschränkungen im Bereich der ärztlichen Tätigkeiten bei der Beurteilung der Dienstnehmereigenschaft nicht berücksichtigt. Die organisatorische Eingliederung in das Unternehmen liege nicht vor, weil die Ablehnung eines Vertretungsdienstes (mit oder ohne Angabe von Gründen) jederzeit und spontan erfolgen könne. Derartige "Freiheiten" stünden keinem Dienstnehmer zu. Die Arbeitszeit sei nicht genau vorgegeben, sondern richte sich nach dem tatsächlichen Arbeitsanfall. Bei den Ordinationszeiten handle es sich um Richtwerte für die Patienten, sie hätten mit den tatsächlichen Arbeitszeiten nichts zu tun.
Die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen, bestehe auch für den Kassenarzt selbst nicht, weil er einen öffentlichen Versorgungsauftrag habe. Dieses Kriterium könne somit für eine Beurteilung des Vertragsverhältnisses nicht herangezogen werden.
Zum Haftungsrisiko meine die Prüferin, dass es auch unselbständig tätige Ärzte zu tragen hätten. Dem werde entgegnet, dass solche Ärzte unter fachlicher Dienstaufsicht eines Vorgesetzten tätig seien, während ein Vertretungsarzt Fortbildungen und Fachliteraturstudium eigenverantwortlich durchführen müsse. Das Haftungsrisiko eines Vertretungsarztes, welcher ohne Dienstaufsicht und ohne standardmäßige Qualitätsrichtlinien agiere, sei wesentlich höher.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Nach allgemeinen Rechtssätzen führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus:
In der Berufungsverhandlung sei mit der Vertreterin des Finanzamtes ausführlich das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer persönlichen Weisungsgebundenheit besprochen und darauf hingewiesen worden, dass im Verwaltungsakt keine konkreten Angaben hätten gefunden werden können, die auf eine persönliche Weisungsgebundenheit schließen ließen.
Alle diesbezüglichen Hinweise, wie z.B. Beratung mit dem zu vertretenden Arzt, seien im Ärztegesetz 1998 (§ 49 ff) geregelt. So sei in § 49 Abs. 2 leg.cit (Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden) Folgendes ausgeführt: "Der Arzt hat seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben." Weiters sei in § 51 Ärztegesetz 1998 die genaue Dokumentationspflicht geregelt.
Nach Emberger/Wallner (Hrsg.), Ärztegesetz 1998,
2. Auflage, § 49 Rz 6, bestehe bei angestellten Ärzten eine fachliche Weisungsgebundenheit. Diese fachliche Weisungsgebundenheit liege aber bei Vertretungsärzten nicht vor.
Abschließend halte die belangte Behörde fest, dass das Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit für eine selbständige Tätigkeit spreche, weil das unbedingt erforderliche Merkmal der persönlichen Weisungsgebundenheit nicht gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid hat das Finanzamt gemäß § 292 BAO Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, der über die Beschwerde erwogen hat:
Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art. 131 Abs. 1 und Abs. 2 B-VG nicht zur Prüfung des "Verwaltungsaktes", sondern zur Prüfung des letztinstanzlichen Bescheides berufen. Der Verwaltungsgerichtshof kann die ihm obliegende Gesetzmäßigkeitsprüfung nur vornehmen, wenn die Entscheidung der belangten Behörde die Beurteilung des Vorliegens einer Verletzung der als verletzt geltend gemachten Rechte der Beschwerdeführer (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. einer Rechtswidrigkeit im Rahmen der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) auf der Grundlage der Bescheidbegründung auch ermöglicht. Lässt die Begründung eines angefochtenen Bescheides eine solche Beurteilung gar nicht zu, dann führt ein solcher Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides zwangsläufig schon aus diesem Grund.
Die Begründung einer Berufungsentscheidung muss erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet.
Von zentraler Bedeutung für die Tragfähigkeit der Begründung eines Bescheides im Sinne ihrer Eignung, dem Verwaltungsgerichtshof die ihm aufgetragene Gesetzmäßigkeitskontrolle zu ermöglichen, ist die zusammenhängende Darstellung des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes. Mit dieser ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint. Gemeint ist mit der zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung als dem zentralen Begründungselement eines Bescheides die Anführung jenes Sachverhaltes, den die belangte Behörde als Ergebnis ihrer Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt. Die zusammenhängende Darstellung des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes kann nicht durch den bloßen Hinweis auf "Aktenmaterial" ersetzt werden.
Das der zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung methodisch folgende Begründungselement eines Bescheides hat in der Darstellung der behördlichen Überlegungen zur Beweiswürdigung zu bestehen. In den zu diesem Punkt der Bescheidbegründung zu treffenden Ausführungen muss auf das Vorbringen aller Parteien des Berufungsverfahrens, also auch auf das Vorbringen des Finanzamtes, sachverhaltsbezogen im Einzelnen eingegangen werden und sind jene Erwägungen der Behörde darzustellen, welche sie bewogen haben, einen bestimmten Sachverhalt als erwiesen anzunehmen (vgl. zum Vorstehenden etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, 94/13/0200).
Das dritte tragende Element der Bescheidbegründung schließlich hat in der Darstellung der rechtlichen Beurteilung der Behörde zu bestehen, nach welcher sie im konkreten Fall die Verwirklichung abgabenrechtlicher Tatbestände durch den im ersten tragenden Begründungselement angeführten festgestellten Sachverhalt als gegeben (bzw. allenfalls als nicht gegeben) erachtet (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, 94/13/0200).
Die oben wiedergegebene Begründung des im vorliegenden Fall angefochtenen Bescheides lässt nicht erkennen, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde ausgegangen ist, und entspricht daher den beschriebenen Anforderungen an eine Bescheidbegründung nicht. Im Übrigen ist selbst der Niederschrift über die Berufungsverhandlung, auf welche die Begründung des angefochtenen Bescheides verweist, kein Hinweis zu entnehmen, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde ausgeht. Dabei würde den Anforderungen an die Bescheidbegründung im Beschwerdefall deshalb ganz besondere Bedeutung zukommen, weil bei Abgrenzungsfragen zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit das Gesamtbild der Tätigkeit darauf zu untersuchen ist, ob die Merkmale der Selbständigkeit oder jene der Unselbständigkeit überwiegen. Erst wenn die Behörde ein genaues Bild über die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der beschäftigten Personen, insbesondere auch über die Pflichten, die ihnen obliegen, die Risiken, die sie zu tragen haben und ihre allfällige Weisungsgebundenheit besitzt, kann ein Urteil über die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Tätigkeit abgegeben werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 1997, 93/13/0309).
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Wien, am 21. November 2013
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011150122.X00Im RIS seit
10.12.2013Zuletzt aktualisiert am
27.01.2016