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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde des DI Dr. W F in Wien, vertreten durch Rohregger Scheibner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Waidhofen/Ybbs vom 24. Jänner 2013, Zl. H/2-BS-157/4-2012, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: S H in W; weitere Partei:
Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Waidhofen/Ybbs hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Waidhofen/Ybbs vom 23. Juli 2012 wurde der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: MP) die baubehördliche Bewilligung für den Um- und Zubau beim bestehenden Wohnhaus auf einem näher bezeichneten Grundstück erteilt.
Laut dem vom Postamt (Wien) an die Baubehörde rückgemittelten Zustellnachweis sei der Bescheid an den Beschwerdeführer, der als Nachbar gegen das Bauvorhaben Einwendungen erhoben hatte, durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist: 30. Juli 2012) in Wien zugestellt worden. In der Folge sei der Bescheid laut einem vom Postamt Waihofen/Ybbs an die Baubehörde rückgemittelten Zustellnachweis an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist: 17. August 2012) in Waidhofen/Ybbs zugestellt worden.
Beide Sendungen wurden vom Beschwerdeführer nicht behoben. Schließlich wurde der Bescheid laut dem vom Postamt in Wien an die Baubehörde rückgemittelten Zustellnachweis an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist: 27. August 2012) in Wien zugestellt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid die am 10. September 2012 zur Post gegebene Berufung.
Mit Berufungsvorentscheidung des Magistrates vom 20. September 2012 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen, weil keine Verletzung der in § 6 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996 festgelegten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte habe festgestellt werden können.
Mit Eingabe vom 9. Oktober 2012 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, seine Berufung der Berufungsbehörde zur Entscheidung vorzulegen.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom 24. Jänner 2013 wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG die Berufung des Beschwerdeführers als verspätet eingebracht zurückgewiesen.
Dazu führte die belangte Behörde (u.a.) aus, dass der erstinstanzliche Bescheid dem Beschwerdeführer nachweislich das erste Mal am 30. Juli 2012 zugestellt worden sei und gemäß § 6 Zustellgesetz diese erste gültige Zustellung für den Beginn des Laufes der Berufungsfrist maßgeblich sei. Diese habe daher am 13. August 2012 geendet, weshalb die am 10. September 2012 eingebrachte Berufung verspätet sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2013 replizierte der Beschwerdeführer darauf.
Die belangte Behörde brachte hierauf den Schriftsatz vom 8. Juli 2013 ein.
Die MP hat keine Gegenschrift erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 17 Zustellgesetz lautet:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."
Gemäß § 6 Zustellgesetz löst, wenn ein Dokument zugestellt ist, die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen aus.
Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer am 25. Juli 2012 eine 27-tägige Urlaubsreise nach Südafrika und Lesotho angetreten habe und der Rückflug am 20. August 2012 gewesen sei. Er sei daher am 20. August 2012 (nach Wien) zurückgekehrt und habe dort an seinem Hauptwohnsitz eine Hinterlegungsanzeige vorgefunden, weshalb er sich mit der bescheiderlassenden Behörde fernmündlich in Verbindung gesetzt, die Behörde über den Umstand und die Daten seiner Ortsabwesenheit aufgeklärt und um Zustellung des Bescheides ersucht habe. Diesem Ersuchen sei die Behörde nachgekommen, sodass der Bescheid am 27. August 2012 dem Beschwerdeführer rechtmäßig zugestellt worden sei. In der Berufungsvorentscheidung sei mit keinem Wort die Möglichkeit einer Verspätung der Eingabe angesprochen worden. Nichtsdestotrotz habe die belangte Behörde den nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid erlassen. Sie habe den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt, weil sie ihm die Annahme der Verspätung seiner Berufung im Zuge des Berufungsverfahrens nicht vorgehalten habe. Da er mehrere Tage vor der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides (am 30. Juli 2012 in Wien) seine Auslandsreise angetreten habe und erst mehrere Tage nach Ablauf der Abholfrist zurückgekehrt sei, habe er in diesem Zeitraum vom Zustellvorgang nicht Kenntnis erlangen können. Die belangte Behörde hätte von Amts wegen prüfen müssen, ob ein Zustellmangel unterlaufen sei, zumal sich der Beschwerdeführer mit der Baubehörde fernmündlich in Verbindung gesetzt und diese über den Umstand und die Daten seiner Ortsabwesenheit aufgeklärt habe.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Nach ständiger hg. Judikatur hat die Behörde vor der Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet - wenn Umstände auf einen Zustellmangel hinweisen - entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein solcher Mangel unterlaufen ist, oder dem Rechtsmittelwerber die Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt die Behörde dies, kann der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof geltend machen. Geht die Behörde somit von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dem Rechtsmittelwerber dies vorgehalten zu haben, hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu tragen (vgl. zum Ganzen aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 30. April 2013, Zl. 2012/05/0102, mwN).
Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Gelegenheit gegeben, die in dem von ihr als maßgeblich erachteten Rückschein dokumentierte, aber widerlegbare Vermutung des Zeitpunktes der Zustellung (vgl. zur Widerlegbarkeit der Vermutung der Richtigkeit der Angaben in einem Rückschein etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2008, Zl. 2007/05/0205, mwN) zu widerlegen, und ihm ihre Annahme der Versäumung der Berufungsfrist nicht vorgehalten.
Sollten die Beschwerdebehauptungen zutreffen, dass der Beschwerdeführer vom 25. Juli 2012 bis 20. August 2012 wegen einer Auslandsreise ortsabwesend gewesen und ihm der erstinstanzliche Bescheid erst am 27. August 2012 rechtswirksam zugestellt worden sei, dann wäre die Berufung von ihm rechtzeitig erhoben worden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 6. November 2013
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Angenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel)Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2013050033.X00Im RIS seit
04.12.2013Zuletzt aktualisiert am
14.01.2014