TE Vwgh Erkenntnis 2013/11/11 2012/22/0017

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Veröffentlicht am 11.11.2013
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §293;
AVG §37;
AVG §56;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2012/22/0018 2012/22/0020 2012/22/0019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde von 1. E, 2. T, 3. B, und 4. M, alle in A, Türkei, und vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom 19. August 2011,

1.) Zl. 157.776/2-III/4/10 (ad 1., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0017), 2.) Zl. 157.776/5-III/4/10 (ad 2., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0018), 3.) Zl. 157.776/4-III/4/10 (ad 3., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0019), und 4.) Zl. 157.776/3-III/4/10 (ad 4., prot. zur hg. Zl. 2012/22/0020), jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 57,40 je zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde - nahezu wortgleich - die im August 2009 gestellten Anträge der Erstbeschwerdeführerin und ihrer drei (zum Erlassungszeitpunkt der angefochtenen Bescheide alle noch) minderjährigen Kinder, alle türkische Staatsangehörige, auf jeweilige erstmalige Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" (welche nach Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 mit 1. Juli 2011 als Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gewertet wurden) zum Zweck der Familienzusammenführung gemäß § 46 Abs. 1 NAG mit ihrem in Österreich mit dem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" niedergelassenen türkischen Ehemann bzw. Vater im Instanzenzug gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm § 11 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde unter Zitierung des § 11 Abs. 5 NAG aus, dass nach den zur Berechnung der für den Familiennachzug erforderlichen Unterhaltsmittel, die der Familie zur Verfügung stehen müssten, heranzuziehenden Richtsätzen gemäß § 293 ASVG (EUR 1.189,56 für das Ehepaar sowie drei Mal EUR 122,41 für die minderjährigen Kinder) ein Gesamtnettoeinkommen in der Höhe von mindestens EUR 1.556,79 notwendig wäre.

Nach Aufforderung der belangten Behörde vom 30. Mai 2011, einen Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts, der zuletzt bezahlten Miete sowie der Verbindlichkeiten des Zusammenführenden zu erbringen, sei von den beschwerdeführenden Parteien eine Arbeitsbestätigung vom 20. Jänner 2011 der T GmbH sowie eine undatierte Gehaltsbestätigung der H GmbH betreffend den Zusammenführenden vorgelegt worden. Diese Gehaltsbestätigungen könnten jedoch nicht für eine Unterhaltsberechnung herangezogen werden, weil der Zusammenführende laut aktuellem Sozialversicherungsauszug bei der genannten T GmbH lediglich vom 4. Jänner bis 20. Jänner 2011 und bei der H GmbH nur vom 24. Jänner bis 10. März 2011 beschäftigt gewesen sei. Aus dem Sozialversicherungsauszug gehe vielmehr hervor, dass der Zusammenführende seit 23. Mai 2011 "bis dato" bei der R GmbH beschäftigt sei und tatsächlich laut vorgelegtem Lohnzettel, der am 24. Juli 2011 nachgereicht worden sei, im Juni 2011 EUR 1.407,25 netto verdient habe. Von diesem nachgewiesenen Verdienst ausgehend käme man unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen zu einem Durchschnittseinkommen in der Höhe von EUR 1.641,79, welches den weiteren Berechnungen zugrunde zu legen sei. Davon sei die zu zahlende Miete in der Höhe von EUR 520,-- abzuziehen, wobei dieser Abzugsbetrag um den Wert der freien Station in der Höhe von EUR 253,51 zu mindern sei. Damit verbleibe dem Zusammenführenden nur mehr ein monatliches Einkommen von EUR 1.375,30. Laut Auszug aus dem Kreditschutzverband vom 15. Juli 2011 seien dem Zusammenführenden Kredite in der Höhe von EUR 22.000,-- und von EUR 3.500,-- gewährt worden. Dazu habe die Erstbeschwerdeführerin angeführt, dass der Zusammenführende derzeit keine Kreditrückzahlungen leiste, weil er ein Schuldenregulierungsverfahren anstrebe. Da das Gesamteinkommen unter dem Richtsatz des § 293 ASVG liege und der Zusammenführende aufgrund des angestrebten Schuldenregulierungsverfahrens hinsichtlich seiner Kredite offensichtlich zahlungsunfähig sei, sei der gesicherte Unterhalt für den Familiennachzug nicht gegeben.

Im Zuge der gemäß § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK kam die belangte Behörde in der Folge trotz zugestandener familiärer Bindungen der beschwerdeführenden Parteien in Österreich (im Wege des Zusammenführenden) zum Schluss, dass die Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens nicht geboten sei, zumal nach der Judikatur des EGMR zu Art. 8 EMRK weder das unbedingte Recht auf ein Familienleben in einem Vertragsstaat, noch das Recht auf Wahl des Familienwohnsitzes bestehe, und keine berücksichtigungswürdigen Sachverhalte glaubhaft gemacht worden oder sonst bekannt seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass ausgehend vom Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide (24. August 2011) grundsätzlich das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 zur Anwendung gelangt und sich sämtliche Zitierungen des NAG daher auf diese Fassung beziehen.

§ 11 Abs. 5 NAG lautet:

"(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (Abs. 2 Z 15 oder 18), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage."

Die Beschwerde wirft zunächst der belangten Behörde eine unrichtige Berechnung des nach Abzug der (um den Wert der freien Station verringerten) monatlichen Mietbelastung zur Verfügung stehenden Einkommens des Zusammenführenden vor. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführer selbst zu einem Einkommensbetrag (nämlich EUR 1.461,52) gelangen, der den sich aus den Richtsätzen gemäß § 293 ASVG ergebenden Betrag von EUR 1.556,79 nicht erreicht, ist die belangte Behörde zutreffend von der letzten im Juli 2011 vorgelegten Lohnbestätigung der R GmbH betreffend Mai und Juni 2011 ausgegangen, nach der der Zusammenführende ein Bruttogehalt von EUR 1.974,36 bzw. ein Nettogehalt von EUR 1.407,25 bezogen hat (vgl. im Übrigen zur Berechnung des Unterhalts in einem vergleichbaren Fall das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, Zl. 2010/21/0164). Diesem Vorbringen kommt somit keine Berechtigung zu.

Die Beschwerde ist ferner nicht im Recht, wenn sie vermeint, dass im Hinblick auf das vom Zusammenführenden angestrebte Schuldenregulierungsverfahren die von ihm geschuldeten Kreditrückzahlungsraten bei der Berechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel nicht zu berücksichtigen wären. Selbst wenn der Zusammenführende zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung aufgrund des laufenden Schuldenregulierungsverfahrens vorerst - mangels Zahlungsfähigkeit - keine Kreditrückzahlungen tätigte, waren dennoch die bestehenden Verbindlichkeiten aufrecht. Von daher wäre es den beschwerdeführenden Parteien oblegen, initiativ und substantiiert nachzuweisen, dass der Zusammenführende trotz seiner Überschuldung in der Lage sei, für seine nachziehende Familie ausreichende Unterhaltsmittel aufbringen zu können. Da er dieser Verpflichtung nicht nachkam, durfte die belangte Behörde bei Zugrundelegung der nachgewiesenen Unterhaltsmittel zu Recht davon ausgehen, dass unter Berücksichtigung der im Hinblick auf seine Kreditverpflichtungen vorliegenden finanziellen Belastung des Zusammenführenden, welche ein Schuldenregulierungsverfahren erforderte, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm § 11 Abs. 5 NAG für den angestrebten Familiennachzug nicht gegeben waren.

Insoweit die Beschwerde erstmals - ohne nähere Ausführungen - vorbringt, dass der Familiennachzug nicht für alle beschwerdeführenden Parteien angestrebt worden wäre, ist auszuführen, dass die anders lautende Einschätzung durch die belangte Behörde vor dem Hintergrund der den Verwaltungsakten entnehmbaren Erklärungen der beschwerdeführenden Parteien keinen Bedenken begegnet.

Schließlich verhilft auch der Hinweis auf die bei Nachzug der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien - den Kindern des Zusammenführenden - zu erwartende und daher zusätzlich zu berücksichtigende Familienbeihilfe der Beschwerde nicht zum Erfolg. Zwar trifft es zu, dass nach der hg. Judikatur für die Beurteilung des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel des Fremden jener Zeitpunkt in den Blick zu nehmen ist, in dem der Familiennachzug vollzogen wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2010/21/0088, mwH). Dementsprechend wären Einkünfte aus einer konkret bestehenden oder zu erwartenden Arbeit des Nachziehenden in Österreich zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2008/22/0802). Derartige Einkünfte haben die beschwerdeführenden Parteien jedoch im gesamten Administrativverfahren nicht behauptet, weshalb entgegen der Beschwerdeansicht der belangten Behörde keine Ermittlungsmängel in diesem Punkt vorzuwerfen sind.

Was nun die zu erwartende Familienbeihilfe anlangt, stellt § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG klar, dass in Verfahren bei Erstanträgen soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen sind, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde (vgl. auch die Erläuterungen in der RV 981 BlgNR 24. GP zur Novellierung des § 11 Abs. 5 NAG).

Letztlich verhilft auch der Hinweis auf das zu der in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen enthaltenen Stillhalteklausel ergangene Urteil des EuGH vom 15. November 2011, Rs C-256/11, Dereci ua., der Beschwerde nicht zum Erfolg, weil nicht ersichtlich ist, inwieweit die Situation der beschwerdeführenden Parteien - in Anbetracht der begehrten Familienzusammenführung - von der erwähnten Klausel ("Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.") erfasst sein könnte (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zl. 2008/21/0411).

Da die Beschwerde auch den - wenn auch knappen - Ausführungen der belangten Behörde zur zulasten der beschwerdeführenden Parteien erfolgten Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG außer dem Hinweis darauf, dass die familiären Bindungen aufgrund der räumlichen Entfernung nur äußerst eingeschränkt und unter erheblichen Aufwendungen und Mühen aufrecht erhalten werden könnten, nichts Konkretes entgegenhält, liegt die behauptete Rechtsverletzung nicht vor.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 11. November 2013

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012220017.X00

Im RIS seit

05.12.2013

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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