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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht aufgrund verfassungswidriger Gesetzesauslegung durch Unterlassung des Abspruchs über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Vergütungszinsen anläßlich der Rückforderung zu Unrecht vereinnahmter SozialversicherungsbeiträgeSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 20.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 24. Juli 1997 gab der Landeshauptmann von Wien dem Einspruch des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen einen Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 2. Oktober 1996 betreffend die Rückforderung von Beiträgen teilweise statt. Die Berufungsbehörde stellte fest, daß die Wiener Gebietskrankenkasse gemäß §69 Abs1 ASVG verpflichtet sei, an den Beschwerdeführer für bestimmte Dienstnehmer für die Zeit vom 1. Jänner 1990 bis 31. Dezember 1992 Beiträge und Umlagen in Höhe von S 165.363,74 zurückzubezahlen.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Der Beschwerdeführer bringt unter Berufung auf das Erkenntnis VfSlg. 13796/1994 im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe §69 Abs1 ASVG in verfassungswidriger Weise ausgelegt, weil sie keine Vergütungszinsen zugesprochen habe.
3. Der Landeshauptmann von Wien als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er den bekämpften Bescheid verteidigt. Die belangte Behörde vertritt unter Berufung auf zwei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 1988 und 1991 die Rechtsauffassung, daß §69 Abs1 ASVG eine abschließende Regelung darstelle; ein Anspruch auf Verzinsung von bezahlten Beiträgen sei von Gesetzes wegen somit nicht eingeräumt.
Die Wiener Gebietskrankenkasse als beteiligte Partei hat eine Äußerung abgegeben, in der sie die Auffassung vertritt, daß der Landeshauptmann von Wien "ausschließlich über den Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers auf Rückerstattung von Beiträgen abgesprochen (hat)". Allfällige Vergütungszinsen seien nicht "Sache" des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gewesen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §69 Abs1 ASVG idF BGBl. Nr. 676/1991. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 13796/1994 (in Abgehen von seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Gesetzesbestimmung) mit näherer Begründung ausgesprochen, daß er in verfassungskonformer Interpretation
"nunmehr davon aus(gehe), daß §69 Abs1 ASVG hinsichtlich der Frage der Verzinsung eine Lücke enthält, die durch Analogie zu schließen ist. Demnach sind im Falle der Verpflichtung zur Rückleistung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge für die wegen mangelnden Rechtsgrundes zurückzustattenden Geldsummen Vergütungszinsen, denen bereicherungsrechtlicher Charakter zukommt, in Höhe der gesetzlichen Zinsen zu leisten."
Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung, der sich inzwischen auch der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat (vgl. VwGH 24.6.1997, Z95/08/0083), fest.
4.2. Im Lichte des zitierten Erkenntnisses erweist sich die Beschwerde im Ergebnis als begründet: Der Beschwerdeführer hat, wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, am 7. Jänner 1994 einen an die Wiener Gebietskrankenkasse gerichteten "Antrag auf Rückerstattung gemäß §69 ASVG" gestellt. Die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse meint nun, daß allfällige Vergütungszinsen nicht "Sache" des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gewesen sind. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend: Zwar hat der Beschwerdeführer in seinem Antrag vom 7. Jänner 1994 Vergütungszinsen nicht ausdrücklich begehrt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 13786/1994 und 13796/1994 ausgesprochen hat, begründet aber bereits die Verpflichtung zur Rückleistung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge die Pflicht, Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen zu leisten. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, bei der Entscheidung über den auf §69 Abs1 ASVG gestützten Antrag auch über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Vergütungszinsen abzusprechen. Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, hat sie §69 Abs1 ASVG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und damit den Beschwerdeführer in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt (vgl. VfSlg. 13786/1994). Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben.
4.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- und die Ersetzung der Eingabengebühr in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, Verzugszinsen, ZinsenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B2307.1997Dokumentnummer
JFT_10019689_97B02307_00