RS Vfgh 2013/10/2 G118/2012

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Veröffentlicht am 02.10.2013
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Index

93/01 Eisenbahn

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
EisenbahnG 1957 §31a Abs1, §31e
AVG §8, §44a, §44b, §45 Abs2, §52 Abs2

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des Eisenbahngesetzes 1957 über die Vermutung der Richtigkeit von Privatgutachten wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip und mangels Erforderlichkeit der vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung abweichenden Regelung

Rechtssatz

Aufhebung des letzten Satzes des §31a Abs1 EisenbahnG 1957 - EisbG idF BGBl I 125/2006 (betr die widerlegbare Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit der von den Projektwerbern beizubringenden Gutachten).

Zulässigkeit des amtswegigen Prüfungsverfahrens.

Die Beschwerdeführer im Anlassverfahren (betr die eisenbahnrechtliche Genehmigung für den 3. Abschnitt des Projekts "Lainzer Tunnel") sind (mit Ausnahme des Siebtbeschwerdeführers) dinglich Berechtigte an den betroffenen Liegenschaften. Sie genießen damit Parteistellung iSd §31e EisbG.

Zulässigkeit jedenfalls der Beschwerden der erst- bis fünft- sowie der achtbeschwerdeführenden Partei aufgrund von rechtzeitig erhobenen Einwendungen im Verwaltungsverfahren (Großverfahren iSd §44a ff AVG; keine Präklusion gem §44b AVG).

Die Beschleunigung eisenbahnrechtlicher Bewilligungsverfahren ist ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel des Gesetzgebers; die in Prüfung gezogene Vorschrift, auf Grund derer für die von der Projektwerberin beizubringenden Gutachten "die widerlegbare Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit [gilt]", ist insofern geeignet, diesem öffentlichen Interesse zu dienen, als sie die Behörde der Verpflichtung enthebt, ihrerseits durch Amtssachverständige (bzw von der Behörde gemäß §52 Abs2 AVG beigezogene Sachverständige) erneut eine vollständige Begutachtung des Projekts durchführen zu lassen.

Es ist jedoch mit dem Rechtsstaatsprinzip und mit Art11 Abs2 B-VG unvereinbar, der für die Erteilung einer eisenbahnrechtlichen Bewilligung zuständigen Behörde auf diese Weise die Verantwortung für eine eigenständige Tatsachenfeststellung zu entziehen.

Dem Rechtsstaatsprinzip ist damit nicht Genüge getan, dass die Behörde ein von der Projektwerberin beigebrachtes Sachverständigengutachten bloß auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit (iS von Widerspruchsfreiheit) zu prüfen und - gegebenenfalls - seine Ergänzung zu veranlassen hat. Vielmehr ermöglicht die in Prüfung gezogene Richtigkeitsvermutung der Sache nach, dass im Einzelfall die Ermittlungstätigkeit und die Tatsachenfeststellung in eisenbahnfachlicher Hinsicht in den für die Bewilligung des Vorhabens wesentlichen Punkten von der Behörde in die Sphäre der Partei (bzw des von dieser Partei beauftragten Gutachters) verschoben und damit im Ergebnis auch aus der Verantwortlichkeit der Behörde ausgelagert wird. Eine solche Richtigkeitsvermutung ist als Abweichung vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung iSd §45 Abs2 AVG weder mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar noch iSd Art11 Abs2 B-VG erforderlich.

Die Erstellung der hier in Rede stehenden Gutachten ist nicht auf akkreditierte Stellen beschränkt. Mit der in Prüfung gezogenen Norm wird den von der Partei beauftragten Privatgutachten befugter Sachverständiger, Technischer Büros und Ziviltechniker eine Wirkung verliehen, die dazu führt, dass diese Gutachten nicht der Behörde zuzurechnen sind.

(Anlassfall B1479/2010, E v 11.03.2014, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Eisenbahnrecht, Sachverständige, Rechtsstaatsprinzip, Bedarfskompetenz, Bedarfsgesetzgebung, Beweise, Parteistellung Eisenbahnrecht, Großverfahren, Präklusion von Einwendungen, VfGH / Anlassverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G118.2012

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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