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L4005 Prostitution, SittlichkeitspolizeiNorm
StGG Art6 Abs1 / ErwerbsausübungLeitsatz
Keine Bedenken gegen die im Vorarlberger Sittenpolizeigesetz vorgesehene Bewilligungsbeschränkung für Bordelle; Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung durch Abweisung des Antrags auf Vorprüfung der Bewilligung zur Errichtung eines Bordells in Hohenems wegen Nichtvorliegens von - durch gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufenen - Störungen; verfassungswidrige Auslegung des Begriffs "Störungen" mangels ausreichender Berücksichtigung der illegalen WohnungsprostitutionSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Das Land Vorarlberg ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer stellte am 3. Mai 2011 einen Antrag auf Erteilung der Bewilligung eines Bordells mit Standort in Hohenems gemäß §5 Gesetz über Angelegenheiten der Sittenpolizei, LGBl 6/1976 idF 1/2008, (im Folgenden: Vbg. SittenpolizeiG), den er mit Schreiben vom 25. Mai 2011 in einen Antrag auf Vorprüfung im Sinne des §7 Vbg. SittenpolizeiG änderte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Hohenems vom 19. März 2012 abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies die Berufungskommission der Stadt Hohenems mit Bescheid vom 8. Juni 2012 ab; sie führte aus, dass die formalgesetzlichen Voraussetzungen nach §5 Vbg. SittenpolizeiG nicht erfüllt seien, da Störungen im Zusammenhang mit gewerbsmäßiger Unzucht nicht festgestellt werden konnten.
2. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der – durch die Verordnung der Landesregierung über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaft zur Entscheidung über Vorstellungen, LGBl 70/1985, zuständigen –Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 26. November 2012 wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers abgewiesen. Die Bezirkshauptmannschaft stellte fest, dass in Hohenems keine durch die gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufenen Störungen – das seien solche, die ausschließlich oder überwiegend die
Interessen der örtlichen Gemeinschaft betreffen – nach §5 Vbg. SittenpolizeiG vorlägen; die Berufungskommission der Stadt Hohenems habe somit das Vorliegen einer Störung iSd §5 Vbg. SittenpolizeiG zu Recht verneint und den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §5 Vbg. SittenpolizeiG, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt werden. Zusammengefasst wird ausgeführt, dass §5 Vbg. SittenpolizeiG die Erwerbsausübungsfreiheit unverhältnismäßig beschränke und keine Kriterien für die Ermessensausübung vorgebe. Die belangte Behörde habe §5 Vbg. SittenpolizeiG denkunmöglich angewendet, indem sie nur solche Störungen darunter subsumiert habe, die die örtliche Gemeinschaft betreffen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt: §5 Vbg. SittenpolizeiG beschränke die bewilligte Bordellprostitution zulässigerweise auf das unvermeidliche Ausmaß und verpflichte die Behörde, bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Bordellbewilligung zu erteilen. Auch sei diese Bestimmung nicht unbestimmt.
II. Zur Rechtslage
1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Vbg. SittenpolizeiG, LGBl 6/1976 idF 1/2008, lauten wie folgt:
"3. Abschnitt
Gewerbsmäßige Unzucht
§4
Allgemeines
(1) Die Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht und das Anbieten hiezu ist, soweit nicht Ausnahmen infolge einer Bewilligung gemäß §5 zugelassen sind, verboten. (2) Soweit nicht Ausnahmen auf Grund einer Bewilligung gemäß §5 zugelassen sind, ist die Gewährung oder Beschaffung von Gelegenheiten, insbesondere die Überlassung von Räumen, zur Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht oder zum Anbieten hiezu untersagt.
(3) Gewerbsmäßig ist die Unzucht, wenn sie in der Absicht betrieben wird, sich durch ihre wiederkehrende Ausübung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
(4) Anbieten im Sinne der Abs1 und 2 ist jedes Verhalten, das auf die Anbahnung von Beziehungen zur Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht abzielt.
§5
Bordellbewilligung
Die Behörde kann durch Bescheid die Überlassung von Räumen eines bestimmten Gebäudes zum Anbieten und zur Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht bewilligen, wenn dies geeignet erscheint, durch gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufene Störungen einzuschränken.
§6
Voraussetzungen für die Erteilung einer Bordellbewilligung
(1) Eine Bewilligung gemäß §5 darf nur erteilt werden, wenn der Bewilligungswerber, bei juristischen Personen der Geschäftsführer (Abs3),
a) die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder nach dem Recht der Europäischen Union oder aufgrund eines Staatsvertrages gleichzustellen ist,
b) das 24. Lebensjahr vollendet hat und
c) nicht innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Antragstellung wegen eines Verbrechens oder sonst wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit, gegen fremdes Vermögen, gegen die Sittlichkeit oder wegen einer gemeingefährlichen strafbaren Handlung verurteilt worden ist.
(2) Die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn das bisherige Verhalten des Antragstellers und jener Personen, mit denen er sich in einer Erwerbs- oder Lebensgemeinschaft befindet, die Annahme rechtfertigt, dass das Bordell vorschriftsmäßig betrieben wird. Bei juristischen Personen gilt dies sinngemäß im Hinblick auf die Person des Geschäftsführers (Abs3).
(3) Juristische Personen haben eine zur Vertretung nach außen befugte natürliche Person als Geschäftsführer zu bestellen. Die Bestellung des Geschäftsführers bedarf der Genehmigung der Behörde. Die Genehmigung ist zu widerrufen, wenn der Geschäftsführer die im Abs1 und 2 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Den Geschäftsführer treffen sämtliche, dem Bewilligungsinhaber obliegenden Pflichten.
(4) Das Gebäude darf nicht in einem mit Wohngebäuden dicht bebauten Gebiet oder in der Nähe von Kirchen, Friedhöfen, Krankenanstalten, Schulen, Kindergärten, Kinder- und Jugendspielplätzen, Jugendheimen und dgl. liegen.
(5) Es muss Gewähr bestehen, daß durch den Betrieb des Bordells die Nachbarschaft nicht unzumutbar belästigt wird oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere solche der Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der Gesundheit, des Jugendschutzes und des Fremdenverkehrs, nicht verletzt werden.
§7
Vorprüfung
(1) Auf schriftlichen Antrag hat die Behörde eine Vorprüfung durchzuführen. Ein solcher Antrag hat die im §8 Abs2 erster Satz bestimmten Angaben zu enthalten.
(2) Bei der Vorprüfung hat die Behörde festzustellen, ob die in den §§5 und 6 Abs1 bis 3 genannten Voraussetzungen gegeben sind.
(3) Wird der Antrag nicht zurückgewiesen oder abgewiesen, so hat die Behörde festzustellen, daß die Voraussetzungen gemäß den §§5 und 6 Abs1 bis 3 erfüllt sind. Ein solcher Bescheid verliert ein Jahr nach seiner Erlassung die Gültigkeit. Der §10 Abs2 gilt sinngemäß.
(4) Bescheide gemäß Abs3 sind schriftlich zu erlassen.
§8
Antrag
(1) Die Erteilung einer Bewilligung gemäß §5 ist bei der Behörde schriftlich zu beantragen.
(2) Ein Antrag gemäß Abs1 hat Lage und Umfang des Vorhabens anzugeben. Der Nachweis des Eigentums am Grundstück oder, wenn der Antragsteller nicht selbst Eigentümer ist, der Zustimmung des Eigentümers und die zur Beurteilung des Vorhabens erforderlichen Pläne und Beschreibungen sind anzuschließen.
(3) Antrag, Pläne und Beschreibungen sind der Behörde in dreifacher Ausfertigung vorzulegen.
§9
Bewilligung
(1) Über einen Antrag gemäß §8 Abs1 ist durch schriftlichen Bescheid zu entscheiden.
(2) Die Bewilligung ist unter Bedingungen, mit Beschränkungen oder Auflagen zu erteilen, wenn die im §6 Abs5 genannten Voraussetzungen nur bei Erfüllung dieser Bedingungen und bei Einhaltung dieser Beschränkungen und Auflagen gesichert sind.
(3) Die Bewilligung kann zur Wahrung der im §6 Abs5 genannten öffentlichen Interessen auch nur auf eine bestimmte Zeit erteilt werden.
(4) Die Behörde hat der nach dem Standort des Bordells zuständigen Bezirkshauptmannschaft eine Ausfertigung des Bescheides zu übermitteln.
§10
Wirksamkeit der Bewilligung
(1) Eine Bewilligung gemäß §5 verliert ihre Wirksamkeit, wenn der Bordellbetrieb nicht innert eines Jahres, sofern jedoch hiefür neue Räume geschaffen werden, nicht binnen zwei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft aufgenommen oder durch mehr als sechs Monate unterbrochen wird.
(2) Die Bewilligung ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr gegeben sind.
(3) Die Behörde hat in den Fällen der Abs1 und 2 die nach dem Standort des Bordells zuständige Bezirkshauptmannschaft zu verständigen."
2. Das Vbg. SittenpolizeiG stellt sich – soweit hier von Relevanz – somit zusammengefasst wie folgt dar: In seinem 3. Abschnitt regelt es die gewerbsmäßige Unzucht. Gemäß §4 Vbg. SittenpolizeiG ist die Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht und das Anbieten hiezu grundsätzlich verboten. Allerdings hat der Landesgesetzgeber in §5 Vbg. SittenpolizeiG die Möglichkeit vorgesehen, dass die Behörde durch Bescheid "die Überlassung von Räumen eines bestimmten Gebäudes zum Anbieten und zur Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht bewilligen [kann], wenn dies geeignet erscheint, durch gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufene Störungen einzuschränken".
Die persönlichen Voraussetzungen des Bewilligungswerbers und die sachlichen Voraussetzungen des Standorts des Bordells (wie etwa das Umfeld) zur Erteilung einer Bordellbewilligung sind in §6 Vbg. SittenpolizeiG festgeschrieben.
In der Folge wird das Verfahren zur Erteilung einer Bordellbewilligung geregelt, das in §7 Vbg. SittenpolizeiG unter der Bezeichnung "Vorprüfung" in Abs1 festschreibt, welche Angaben der Antrag zu enthalten hat, und in Abs2 die Behörde verpflichtet, (bescheidmäßig) "festzustellen, ob die in den §§5 und 6 Abs1 bis 3 genannten Voraussetzungen gegeben sind." Für den Fall, dass ein Antrag nicht zurück- oder abgewiesen wird, hat die Behörde festzustellen, dass die Voraussetzungen gemäß den §§5 und 6 Abs1 bis 3 Vbg. SittenpolizeiG erfüllt sind. Ein solcher Bescheid verliert ein Jahr nach seiner Erlassung die Gültigkeit.
Wie die Materialien zur Stammfassung des Vbg. SittenpolizeiG (LGBl 6/1976) belegen, wurde eine Regelung der Prostitution durch den Landesgesetzgeber aus dessen Sicht notwendig, da die Prostitution mit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches am 1. Jänner 1975 nicht mehr gerichtlich strafbar war. Wörtlich heißt es dazu im Allgemeinen Teil der Regierungsvorlage zum Vbg. SittenpolizeiG, 27 BlgLT (Vbg.) 22. GP, 806 f.:
"Die aus den vorgenannten Gründen entstandene Rechtslücke und die nicht zuletzt deshalb aufgetretenen Mißstände in einzelnen Gemeinden des Landes wurden durch ortspolizeiliche Verordnungen (Art118 Abs6 B.-VG., §17 GG.) zu beseitigen versucht. Regelungen des Prostitutionswesens im Wege ortspolizeilicher Verordnungen können jedoch auf Dauer eine generelle landesgesetzliche Ordnung dieses Bereiches nicht ersetzen, zumal solche Verordnungen nur zur Abwehr oder Beseitigung spezifischer Mißstände erlassen werden dürfen. Die vage Befürchtung eines örtlichen Mißstandes rechtfertigt allerdings noch nicht die Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung, sondern es muss eine erkennbare, konkrete Gefahr für einen das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Mißstand bestehen (vgl. Neuhofer, Handbuch des Gemeinderechts, S. 228). Die in einer Gemeinde durch ortspolizeiliche Verordnung verfügten Beschränkungen oder Verbote führten zudem häufig zu einer Verlagerung des Prostitutionsgeschehens in deren Nachbargemeinden. Schließlich ist auch fraglich, ob durch die von einzelnen Gemeinden 'bis zur Erlassung einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen' angeordneten absoluten Prostitutionsverbote nicht jene Grenzen überschritten werden, die dem ortspolizeilichen Verordnungsrecht durch Art118 Abs6 B.-VG. gesetzt sind. Es erscheint daher unumgänglich, die Ordnung und Überwachung der zum Kernbereich der Sittlichkeitspolizei (Art118 Abs3 Z8 B.-VG.) zählenden Prostitution gesetzlich zu regeln. […]"
3. Vor den Bemerkungen zu den einzelnen Bestimmungen des Vbg. SittenpolizeiG in Abschnitt II. der Regierungsvorlage wird im Allgemeinen Teil nochmals hervorgehoben, dass die Neuregelung insbesondere die Straßenprostitution verbiete und weshalb "die sogenannte Bordellprostitution (Gewerbsunzucht in Dirnenhäusern, Dirnenwohnheimen und dgl.)" vom Verbot der Prostitution ausgenommen sei.
Wörtlich heißt es dazu wie folgt:
"Diese Form der Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht gilt heute aus polizeilicher Sicht als die am wenigsten problematische Art der Prostitution, so daß sich die Bestrebungen verstärken, die erlaubte Prostitution auf eine streng überwachte Bordellprostitution einzuschränken (siehe dazu die 1973 und 1974 in der Zeitschrift 'Kriminalistik' veröffentlichten Beiträge namhafter Experten aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich). Als besonderer Vorteil dieser Prostitutionsform wird anerkannt, daß die Prostitution in ordentlich geführten Dirnenhäusern am wenigsten kriminalisiert ist, während die Begleitkriminalität bei der Straßenprostitution am höchsten ist. Die Bordellprostitution ermöglicht zudem eine intensive Überwachung und Kontrolle in sitten- und gesundheitspolizeilicher Hinsicht, erleichtert die Bekämpfung der geheimen Prostitution und behindert das bei der Straßenprostitution aus mehreren Gründen unvermeidbare Auftreten der Zuhälter in der Öffentlichkeit[.] Die Gefährdung und Belästigung unbeteiligter Personen erscheint gleichfalls geringer.
[…] Wenn auch die damit angestrebte rigorose Zurückdrängung der Prostitution mit der vorgesehenen Beschränkung auf die erwähnte Anbietungsform für eine Großstadt möglicherweise unzweckmäßig und unrealistisch wäre, so dürfte diese Regelung in den leichter zu überblickenden und kontrollierbaren Verhältnissen unseres Landes dennoch durchzusetzen sein." [RV 27 BlgLT (Vbg.) 22. GP, 809]
Schließlich wurde – wie die Materialien belegen – die "Vorprüfung" gemäß §7 Vbg. SittenpolizeiG vorgesehen, um dem Antragsteller die Möglichkeit zu bieten, "eine Vorentscheidung" zu erwirken, "ohne gleichzeitig ein in allen Einzelheiten ausgearbeitetes Projekt vorlegen zu müssen." [RV 27 BlgLT (Vbg.) 22. GP, 813]
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich um die Bestätigung eines im Instanzenzug ergangenen "Vorprüfungsbescheides", mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Vorprüfung, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der Errichtung eines Bordells mit Standort in Hohenems vorliegen, gemäß §7 Abs3 Vbg. SittenpolizeiG abgewiesen wurde.
Die belangte Behörde gründet die Abweisung der Vorstellung des Beschwerdeführers auf das Wesentliche zusammengefasst darauf, dass der in §5 Vbg. SittenpolizeiG verwendete Ausdruck "Störungen" bloß solche Störungen erfasse, die ausschließlich oder überwiegend die Interessen der örtlichen Gemeinschaft betreffen; sollten diese Störungen nicht vorliegen, könne schon allein deshalb eine Bordellbewilligung nicht erteilt werden.
Wörtlich führt die belangte Behörde aus:
"Unter einer Störung iSd §5 Sittenpolizeigesetzes sind Verletzungen des sittlichen Empfindens, Ordnungsstörungen, Lärmstörungen, sowie Formen von Begleitkriminalität zu verstehen. Sie sind es, die die örtliche Gemeinschaft im Zusammenhang mit Prostitution unmittelbar stören bzw. beeinträchtigen. Erhärtet wird diese Auslegung durch das primäre Ziel und den Zweck des Sittenpolizeigesetzes, nämlich die Bekämpfung bzw. Hintanhaltung des ausufernden Straßenstrichs. Den Erläuternden Bemerkungen ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen: 'Diese in den vergangenen Monaten wiederholt als untragbar bezeichnete Entwicklung soll daher durch ein insbesondere gegen die Straßenprostitution gerichtetes Verbot des Anbietens und der Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht, aber auch der Gewährung oder Beschaffung von Gelegenheit hiezu zurückgedrängt werden.'
Bei diesen Störungen handelt es sich jedenfalls, wie die Unterinstanzen zutreffend ausführten, um Missstände, die für Rechtssubjekte objektiv wahrnehmbar sind.
Das Vorbringen des Vorstellungswerbers, dass die durch die gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufenen Störungen nicht nur die Straßenprostitution, sondern auch die illegale Wohnungsprostitution umfasse, mag zutreffend sein. Die Berufungskommission hat in ihrer Bescheidbegründung ausgeführt, dass weder von betroffenen Anrainern, noch von den zuständigen Behörden Beschwerden vorliegen würden. Dies umfasst jedenfalls auch die Wohnungsprostitution. Die Sicherheitsdirektion führt in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen aus, dass beim Landeskriminalamt Vorarlberg, Ermittlungsbereich Sitte, gelegentlich Hinweise einlangen, wonach im Großraum Hohenems, wie auch in anderen Bezirken Vorarlbergs, Prostitution ausgeübt werde. Es handle sich dabei durchwegs um Wohnungsprostitution einzelner, nicht organisierter Frauen. Polizeiliche Erkenntnisse das Bestehen eines offenen Straßenstriches in Hohenems betreffend, lägen nicht vor.
Die Berufungskommission ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass in Hohenems keine Störungen im Sinne des §5 Sittenpolizeigesetzes vorliegen. Die Bewilligungsvoraussetzung des §5 SPG liegt daher nicht vor." (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)
2. Mit diesen Ausführungen hat die belangte Behörde jedoch dem §5 Vbg. SittenpolizeiG einen dem Grundrecht der Freiheit der Erwerbsbetätigung widersprechenden Inhalt unterstellt:
2.1. Vorauszuschicken ist, dass das Betreiben eines bewilligten Bordells als eine auf wirtschaftlichen Ertrag gerichtete Tätigkeit dem Grundrecht der Freiheit der Erwerbsbetätigung unterfällt.
2.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger oder einem Bürger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (vgl. VfSlg 19.077/2010) den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999, 17.980/2006; vgl. auch VfSlg 15.431/1999).
Nach der ständigen Judikatur zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG (s. zB VfSlg 10.179/1984, 12.921/1991, 15.038/1997, 15.700/1999, 16.120/2001, 16.734/2002 und 17.932/2006) sind gesetzliche, die Erwerbs(ausübungs)freiheit beschränkende Regelungen auf Grund des diesem Grundrecht angefügten Gesetzesvorbehaltes nur dann zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind.
2.3. Wie unter dem Abschnitt "Zur Rechtslage" (Pkt. II.2.) näher dargetan, hatte der Landesgesetzgeber bei Beschlussfassung des Bewilligungsregimes von Bordellen in Vorarlberg auch und gerade vor Augen, dass eine Hintanhaltung von Belästigungen gerade durch eine "geordnete Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht" sichergestellt werden kann. Auch gebietet sich aus verfassungsrechtlicher Sicht ein derartiges Verständnis, da das Regime "grundsätzliches Verbot von Bordellen aber ausnahmsweise Bewilligungen" die Möglichkeit, einen bestimmten Betrieb zu errichten, einschränkt; solche und auch diese Regelungen greifen daher in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.
Regelungen, die die Prostitution auf bewilligte Bordelle beschränken, liegen jedenfalls im öffentlichen Interesse und sind zur Zielerreichung (Hintanhaltung von mit der Prostitution verbundenen Belästigungen) geeignet (vgl. dazu VfSlg 13.363/1993). Die Beschränkung in §5 Vbg. SittenpolizeiG, der eine Ausnahmebewilligung für Bordelle nur vorsieht, wenn "Störungen" auftreten, ist nicht inadäquat, da dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten ist, wenn er auch die Ausübung der Prostitution in Bordellen im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Belästigungen begrenzt. Der Verfassungsgerichtshof hat somit keine Bedenken gegen die in §5 Vbg. SittenpolizeiG vorgesehene Bewilligungsbeschränkung für Bordelle.
Auch teilt der Verfassungsgerichtshof nicht die Bedenken des Beschwerdeführers, dass der Begriff "Störungen" in §5 Vbg. SittenpolizeiG nicht bestimmt genug sei, kann doch der Begriffsinhalt von "Störungen" im Auslegungsweg ermittelt werden.
Allerdings hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid den Begriff "Störungen" in einer Weise ausgelegt, die den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt:
Selbst wenn es zutrifft, dass lediglich Störungen der "örtlichen Gemeinschaft" (vgl. Art118 Abs2 iVm Abs3 Z8 B-VG) unter diesen Begriff fallen, verkennt die belangte Behörde, dass es sich bei Störungen, die ihren Ursprung in illegaler Wohnungsprostitution haben, selbst dann, wenn diese bloß vereinzelt auftritt und als solche in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt (vgl. VfSlg 11.926/1988), um "Störungen" iSd §5 Vbg. SittenpolizeiG handelt.
Die Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass "Störungen" iSd §5 Vbg. SittenpolizeiG erst dann vorliegen, wenn hinreichend Beschwerden von Anrainern oder Nachbarn vorliegen, die die "Störungen" indizieren bzw. belegen, ist denkunmöglich; denn es genügt die Eignung der Wohnungsprostitution, derartige Störungen hervorzurufen.
Da die belangte Behörde §5 Vbg. SittenpolizeiG einen zu engen, die illegale Wohnungsprostitution nicht ausreichend berücksichtigenden Inhalt unterstellt, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.
Schlagworte
Prostitution, Polizeirecht, Erwerbsausübungsfreiheit, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:B45.2013Zuletzt aktualisiert am
29.12.2014