TE Vfgh Erkenntnis 2013/9/27 U1233/2013

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2013
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
B-VG Art83 Abs2
AsylG 2005 §25 Abs1 Z1, §35 Abs1, §61 Abs1 Z2, §75 Abs9
AVG §13 Abs1, §73 Abs1

Leitsatz

Verletzung in den Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung einer wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhobenen Beschwerde; willkürliche Annahme des Fehlens eines Anspruches auf bescheidmäßige Erledigung des Antrags einer im Ausland befindlichen Familienangehörigen eines Asylberechtigten durch das Bundesasylamt auf Grund einer unrichtig angewendeten novellierten Fassung der Bestimmung über Anträge bei Berufsvertretungsbehörden

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist – ihren Angaben zufolge – die Mutter von *** *** ****; beide sind somalische Staatsangehörige. Dem (damals noch minderjährigen) Sohn wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Mai 2006 Asyl gewährt.

2. Mit dem an die Österreichische Botschaft in Addis Abeba (in der Folge: Botschaft) gerichteten Antrag vom 9. Jänner 2007 begehrte die Beschwerdeführerin die Gewährung desselben Schutzes. Dieser Antrag galt gemäß §35 Abs1 letzter Satz des Asylgesetzes 2005 (in der Folge: AsylG 2005) in der damals noch geltenden Stammfassung auch als Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels.

Nachdem die Antragsunterlagen dem Bundesasylamt (in der Folge: BAA) übermittelt worden waren, teilte dieses der Botschaft gemäß §35 Abs4 erster Satz AsylG 2005 mit Schreiben vom 27. März 2007 mit, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten an die Beschwerdeführerin nicht wahrscheinlich sei. Mit Bescheid vom 17. August 2007 wies die Botschaft daraufhin den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Einreisetitels ab.

Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 19. Juni 2008, 2007/21/0423, als unbegründet abgewiesen. In der Begründung ging der Verwaltungsgerichtshof von einer Bindung der Botschaft an die Mitteilung des BAA über die Prognose einer Asylgewährung in Bezug auf die Visumserteilung aus. Des Weiteren erklärte der Verwaltungsgerichtshof, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 17.033/2003, dass eine solche Bindung nicht zu einem Rechtsschutzdefizit führe, weil im bekämpften Bescheid bloß über die Erteilung eines Visums, nicht aber über den Asylerstreckungsantrag (nunmehr: Antrag im Familienverfahren) abgesprochen werde. Es sei zwar richtig, dass die Ablehnung der Erteilung eines solchen Visums gemäß §25 Abs1 Z1 AsylG 2005 zur Folge habe, dass ein Asylerstreckungsantrag zunächst als gegenstandslos abzulegen sei; damit werde aber nicht über einen Asylerstreckungsantrag rechtskräftig abgesprochen. Der Stellung eines neuen Asylerstreckungsantrages direkt bei der Asylbehörde (postalisch oder durch einen Vertreter im Inland) stehe die Erledigung, der keine res-iudicata-Wirkung zukomme, ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin im Ausland befinde. Das für die Asylgewährung aufgestellte Erfordernis des Aufenthaltes im Inland könne sich schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf die im Ausland befindlichen Angehörigen eines Asylberechtigten beziehen, weil diese bei Abweisung des Visumantrages nie in die Lage kämen, dass über ihren Asylerstreckungsantrag nicht bloß nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen, sondern in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren entschieden werde.

3. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 24. Juli 2008, eingelangt beim BAA, Außenstelle Eisenstadt, am 22. September 2008, den (wiederholten) Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Das BAA reagierte darauf mit einem Schreiben vom 25. September 2008, in dem darauf hingewiesen wurde, dass sich die Beschwerdeführerin "noch in Äthiopien aufhält und es sich daher um einen Antrag gemäß §35 AsylG handelt." Des Weiteren wäre der Antrag "daher als Visumsantrag bei der zuständigen Vertretungsbehörde – hier die ÖB Addis Abeba – persönlich […] einzubringen."

Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin noch am selben Tag (25. September 2008) einen Antrag auf bescheidmäßige Erledigung an das BAA. Dieser Antrag blieb ohne eine Reaktion.

Die Versuche der Beschwerdeführerin, das Schreiben des BAA vom 25. September 2008 mittels Berufung an die Bundesministerin für Inneres sowie mittels Beschwerde an den Asylgerichtshof zu bekämpfen, blieben – schon auf Grund der mangelnden Bescheidqualität desselben – erfolglos.

Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin am 12. März 2010 einen "Devolutionsantrag" an den Asylgerichtshof, weil ihr Antrag auf bescheidmäßige Erledigung vom 25. September 2008 seitens des BAA unerledigt geblieben sei.

4. Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gemäß §61 Abs1 Z2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. In dieser Entscheidung stellte der Asylgerichtshof u. a. Folgendes fest:

"Die Beschwerdeführerin war zu keinem Zeitpunkt und ist auch aktuell (im Entscheidungszeitpunkt) nicht in Österreich aufhältig. Sie stellte durch ihren österreichischen rechtsfreundlichen Vertreter […] vom Inland aus einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes, bezogen auf einen somalischen Staatsbürger, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates im Jahre 2006 gemäß §7 AsylG 1997 Asyl gewährt wurde.

Das Bundesasylamt manuduzierte die Beschwerdeführerin im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung mit Emailschreiben vom 25.09.2008 dahingehend, dass es sich bei dem von ihr mit Schriftsatz vom 24.07.2008 gestellten Antrag um einen Antrag nach §35 AsylG 2005 handelt, welcher bei der zuständigen Vertretungsbehörde persönlich durch die Beschwerdeführerin einzubringen ist. […]"

In der Würdigung der Entscheidungsgrundlagen heißt es folgendermaßen:

"Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus den angeführten Entscheidungsgrundlagen; er ist als unstrittig anzusehen:

Der Auslandsaufenthalt der Beschwerdeführerin geht aus ihren durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter eingebrachten Schriftsätzen vom 24.07.2008 und 25.09.2008 hervor […]."

In seiner rechtlichen Beurteilung führt der Asylgerichtshof ua. aus (Hervorhebungen im Original):

"Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird 'die Entscheidungspflicht nur durch Anträge begründet, die auf Erlassung eines Bescheides gerichtet sind' (VwGH 23.10.1997; 29.03.2004, 2004/17/0024).

Ist die Behörde weder zu einer Sachentscheidung noch zu einer verfahrensrechtlichen Entscheidung verpflichtet, kommt auch der Übergang einer Entscheidungspflicht nicht in Betracht. Ein darauf gerichteter Devolutionsantrag wäre unzulässig und mit verfahrensrechtlichem Bescheid (VfSlg 8628/1979; 9240/1981, 9538/1982) zurückzuweisen (VwGH 14.06.2005, 2005/18/0123).

Entscheidungswesentlich ist daher gegenständlich die Frage, ob das Bundesasylamt in einem Verfahren, 'Anträge auf Einreise bei Berufsvertretungsbehörden' betreffend, als Asylbehörde eine Entscheidungspflicht (in Bescheidform) trifft. Die hierfür relevante Norm ist §35 AsylG. […]

Nach den Materialien (952 der Beilagen XXII. GP – Regierungsvorlage) 'ist die originäre Antragstellung an einer Berufsvertretungsbehörde hingegen nicht zulässig; […] Bei Anträgen im Familienverfahren, die bei einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde gestellt werden, gilt ebenfalls die generelle Norm, dass der Antrag auf internationalen Schutz erst eingebracht ist, wenn der Asylwerber diesen persönlich in der Erstaufnahmestelle im Inland stellt. […]

Vor dem Hintergrund der eindeutigen Rechtslage besteht daher für das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall keine Pflicht zur Entscheidung; es ist darauf beschränkt, eine Mitteilung an die (jeweils zuständige) Berufsvertretungsbehörde zu übermitteln.

In diesem Sinne bestätigte der Verfassungsgerichtshof im den gegenständlichen Verfahren betreffenden Ablehnungsbeschluss vom 30.11.2009, U1995/09-6, die Rechtsansicht des Asylgerichtshofes in seinem Beschluss, Zl. A7 402.021-2/2009/2E, vom 27.05.2009, welcher dem Schreiben des Bundesasylamtes vom 25.09.2008 keine Bescheidqualität zusprach, sondern dessen Charakter als Mitteilung hervorhob.

Da es sohin – infolge fehlender Zulässigkeitsvoraussetzung – an der Zuständigkeit des Bundesasylamtes zur bescheidmäßigen Erledigung in einem Verfahren gemäß §35 AsylG mangelt, ist dem Begehren des Beschwerdeführers auf Übergang der Entscheidungspflicht die Grundlage entzogen und war daher spruchgemäß zu entscheiden."

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander, im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie im Recht auf Familienleben behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er zusammengefasst davon ausging, dass eine Asylantragseinbringung im Ausland generell im Hinblick auf die Materialien zu §17 Abs1 und 2 AsylG 2005 (RV 952 22. GP) nicht möglich sei und daher in einem solchen Fall niemals eine Entscheidungspflicht des BAA entstehen könne. Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 2008 sei nichts zu gewinnen, weil der Verwaltungsgerichtshof die in §17 AsylG 2005 normierte Differenzierung zwischen Asylantragstellung und Asylantragseinbringung nicht zugrunde gelegt habe.

II. Rechtslage

1. Die das asylrechtliche Familienverfahren betreffenden §§34 und 35 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl I 100 (die Novellierung des §34 durch BGBl I 4/2008 betrifft nur im vorliegenden Fall nicht relevante Absätze) lauteten (auszugsweise):

"Familienverfahren im Inland

§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Z22) von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

[…]

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

[…]

Anträge im Familienverfahren bei Berufsvertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, hat einen Antrag gemäß §34 Abs1 bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Berufsvertretungsbehörde im Ausland (Berufsvertretungsbehörde) zu stellen. Dieser Antrag gilt außerdem als Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels.

(2) [...]

(3) Wird ein Antrag nach Abs1 und Abs2 gestellt, hat die Berufsvertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Antrags- und Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Berufsvertretungsbehörde den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag im Familienverfahren ist unverzüglich dem Bundesasylamt zuzuleiten.

(4) Die Berufsvertretungsbehörde hat dem Fremden nach Abs1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen, wenn das Bundesasylamt mitgeteilt hat, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigen oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesasylamt nur erteilen, wenn das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art8 Abs2 EMRK nicht widerspricht. Die Berufsvertretungsbehörde hat weiters den Fremden zu informieren, dass der Antrag erst nach persönlicher Stellung in der Erstaufnahmestelle als eingebracht gilt (§17 Abs2)."

2. In diesem Zusammenhang bestimmte §25 Abs1 Z1 AsylG 2005 ergänzend:

"§25. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als gegenstandslos abzulegen

1. im Familienverfahren, wenn dem Fremden nach Befassung des Bundesasylamtes die Einreise nicht gewährt wird;"

3. Gemäß §23 Abs1 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl I 4/2008 idF BGBl I 111/2010 sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, soweit sich aus dem AsylG 2005 nicht anderes ergibt.

4. §73 Abs1 AVG lautet:

"4. Abschnitt

Entscheidungspflicht

§73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§39 Abs2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich."

5. Betreffend die Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes bestimmt §61 AsylG 2005:

"Asylgerichtshof

§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

1. […]

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

(2) Beschwerden gemäß Abs1 Z2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist"

6. Bezüglich des zeitlichen Geltungsbereichs bestimmt §73 Abs7 AsylG 2005 idF BGBI 122/2009 (mit dieser Novelle wurden die §§35 und 25 Abs1 Z1 AsylG 2005 erstmalig novelliert):

"Zeitlicher Geltungsbereich

§73. (1) […]

(7) Die §§[…] 25 Abs1 Z1 […], 34 Abs2 bis 4 und Abs6, die Überschrift des §35, §§35 Abs1, 3 und 4 […] treten mit 1. Jänner 2010 in Kraft"

3.  Die Übergangsbestimmung des §75 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 lautet:

"Übergangsbestimmungen

§75. (1) […]

(9) Die §§[…] 25 Abs1 Z1 […] und 35 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 122/2009 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Jänner 2010 anhängig waren, nicht anzuwenden. Die §§25 Abs1 Z1 […] und 35 sind in der am 31. Dezember 2009 gültigen Fassung auf alle an diesem Tag anhängigen, nach Maßgabe des Abs1 nach dem Asylgesetz 2005 zu führenden Verfahren weiter anzuwenden."

III. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

3. Gegen die auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Rechtsvorschriften sind aus Anlass des vorliegenden Falles keine verfassungsrechtlichen Bedenken entstanden.

4. Der Asylgerichtshof hat jedoch die anzuwendende Rechtslage verkannt: Er geht in der angefochtenen Entscheidung (und auch in seiner Gegenschrift) fälschlicherweise von §35 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 aus. Die mit dieser Novellierung einhergehenden Änderungen traten zwar gemäß §73 Abs7 AsylG 2005 mit 1. Jänner 2010 in Kraft. §75 Abs9 leg. cit. bestimmt aber unmissverständlich, dass §35 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Jänner 2010 anhängig waren, nicht anzuwenden ist. Vielmehr sind diesfalls §35 und §25 Abs1 Z1 AsylG 2005 in ihren am 31. Dezember 2009 gültigen Fassungen – die ihren Stammfassungen entsprechen – anzuwenden. Die Stammfassungen der genannten Bestimmungen waren dementsprechend auch die Rechtsgrundlage für das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 2008.

Das BAA hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung desselben Schutzes vom 9. Jänner 2007 zunächst gemäß §25 Abs1 Z1 AsylG 2005 als gegenstandslos abgelegt. Mit dem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch den am 22. September 2008 beim BAA eingelangten Schriftsatz vom 24. Juli 2008 hat aber die Beschwerdeführerin – im Einklang mit dem im an sie ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 2008 vertretenen Rechtsauffassung – hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie auf einer bescheidmäßigen Erledigung des Antrages auf Gewährung desselben Schutzes besteht. Damit bestand auf Grundlage der damals geltenden Stammfassung des §35 AsylG 2005 jedenfalls ein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung durch das BAA. Die dafür gemäß §23 Abs1 AsylGHG geltende sechsmonatige Entscheidungsfrist des §73 Abs1 AVG hat somit am 22. September 2008 zu laufen begonnen. Denn ein Antrag im Sinne des §13 Abs1 AVG, der bei der Behörde, für die er bestimmt ist, einlangt, ist jedenfalls eingebracht. Ob eine allfällige Missachtung von Einbringungsvorschriften einer inhaltlichen Erledigung entgegensteht, ist für den Anspruch auf Erledigung irrelevant. Dieser besteht unabhängig davon, ob der Antrag prozessual oder inhaltlich zu erledigen ist und jedenfalls dann, wenn ein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung behauptet wird (dazu Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9, 2011, Rz 635).

5. Demgegenüber ist die vom Asylgerichtshof vertretene Auffassung, es bestehe auf Grund asylrechtlicher Regelungen kein Erledigungsanspruch, mit der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auslegung der Stammfassung des §35 AsylG 2005 nicht in Einklang zu bringen. Diesbezüglich ist den eingangs wiedergegebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 19. Juni 2008 nichts hinzuzufügen: Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 17.033/2003 zum AsylG 1997, dessen Argumentation der Verwaltungsgerichtshof zutreffend auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 (in der Stammfassung) überträgt, ausgeführt hat, stand es der Beschwerdeführerin frei, auf der bescheidmäßigen Erledigung ihres als gegenstandslos abgelegten Antrages zu beharren, weil ansonsten keine Möglichkeit bestünde, über den Antrag im Familienverfahren in rechtsstaatlich einwandfreier Weise und nicht bloß nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen zu erkennen.

Wenn demgegenüber der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung die Beschwerde nach §61 Abs1 Z2 AsylG 2005 zurückweist, weil er – auf Grundlage der von ihm unrichtigerweise angewendeten novellierten Fassung des §35 AsylG 2005 – annimmt, dass es an der Zuständigkeit des BAA zur bescheidmäßigen Erledigung mangle, so gelangt er zu einem Ergebnis, das mit der dargestellten verfassungskonformen Auslegung nicht vereinbar ist. Durch dieses als Willkür im obigen Sinn (Pkt. 2.) zu qualifizierende Verkennen der Rechtslage verletzt der Asylgerichtshof die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.

6. Darüber hinaus wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine Entscheidung verletzt, wenn eine Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Dies gilt ebenso für den Asylgerichtshof.

Indem der Asylgerichtshof die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß §61 Abs1 Z2 AsylG 2005 zurückgewiesen hat, obwohl, wie oben ausgeführt, eine Entscheidungspflicht des BAA bestanden hat und zwischen der Aktualisierung derselben (mit Einlangen des wiederholten Antrags auf Gewährung desselben Schutzes vom 22. September 2008) und der Einbringung der Beschwerde beim Asylgerichtshof (12. März 2010) jedenfalls mehr als sechs Monate vergangen sind, hat er zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und somit die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungspflicht, Devolution, Übergangsbestimmung, Novellierung, Rechtsschutz, Auslegung verfassungskonforme, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Geltungsbereich Anwendbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1233.2013

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten