Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des M B in Amstetten, geboren am 2. Juni 1968, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Jänner 1998, Zl. Fr 3966/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein bis einschließlich 10. Juni 2002 befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde auf "zwei rechtskräftige Bestrafungen wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch" sowie darauf, dass der Beschwerdeführer "31 Mal wegen diverser Verwaltungsübertretungen" rechtskräftig bestraft worden sei. Die Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides enthält dazu lediglich noch den Hinweis auf "Verkehrsrechtsdelikte" und das "Niederösterreichische Polizeistrafgesetz". Daraus schloss die belangte Behörde auf ein sozialschädliches Verhalten des Beschwerdeführers, welches dazu führe, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde.
Der Beschwerdeführer habe zwar keinen "Sondertatbestand" des § 36 Abs. 2 FrG verwirklicht, doch reiche sein "Gesamtunrechtsverhalten" bei weitem aus, um die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zum Schutz der öffentlichen Ordnung zu rechtfertigen. Auf Grund der kontinuierlichen Fortführung der Straftaten des Beschwerdeführers, beginnend im Jahr 1992 bis in die nahe Vergangenheit, sehe sich die erkennende Behörde außer Stande, eine für den Beschwerdeführer "positive Gefährdungsprognose", wonach allenfalls eine Besserung in Aussicht wäre, vorzunehmen. Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer nach Rechtskraft der Verurteilung Sichtvermerke erteilt worden seien, stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes für sich allein nicht entgegen. Im Fall des Beschwerdeführers stehe vielmehr die "Gesamtkonzeption" seiner Unrechtstaten im Vordergrund, die ein derartiges Volumen erreicht hätten, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf alle Fälle gerechtfertigt erscheine.
Die Berufungsbehörde - so die weitere Bescheidbegründung - verkenne allerdings nicht, dass auf Grund des Aufenthaltes der Ehegattin des Beschwerdeführers und seiner drei Kinder in Österreich im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das "Privatleben" des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG vorliege. "Unabhängig davon" habe jedoch die Berufungsbehörde abzuwägen, ob den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers oder den öffentlichen Interessen ein größeres Gewicht beikomme. Auf Grund der "Massivität" der Verstöße des Beschwerdeführers gegen die österreichische Rechtsordnung und der daraus resultierenden Gefährdungsprognose sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 37 Abs. 1 FrG zum Schutz der öffentlichen Ordnung dringend geboten.
Bezüglich der Gewichtung nach § 37 Abs. 1 (gemeint wohl: Abs. 2) sei festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer seit 1991 in Österreich aufhalte. Er gehe seit 1993 einer Arbeit nach. In Österreich lebten auch seine Ehegattin und drei Kinder. All dies seien Parameter, die von einer familiären und arbeitsmarktrechtlichen Integration zeugten. Doch in das Ausmaß der Integration im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG sei auch die Komponente der ständigen Rechtsbrüche des Beschwerdeführers mit einzubeziehen. Integration bedeute auch, dass sich der Fremde an die Rechtsregeln des Gastlandes halte und diese auch akzeptiere. Genau diese Rechtstreue könne im Fall des Beschwerdeführers jedoch nicht festgestellt werden, weshalb das Tatbestandsmerkmal Integration beim Beschwerdeführer in erheblicher Weise relativiert werde. Der Aufenthalt der Familie des Beschwerdeführers in Österreich könne als noch nicht besonders lang beurteilt werden. Die Erwerbstätigkeit als Geschäftsführer einer GesmbH oder die Beteiligung an einer solchen sei für das Privatleben iSd § 37 Abs. 1 FrG nicht relevant und es sei auf das berufliche Fortkommen des Fremden im Rahmen der Interessenabwägung nicht Bedacht zu nehmen. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers würden somit von den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung überlagert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf die Erstattung einer Gegenschrift die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2).
Der Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden könne, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0375).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Fremden abzustellen.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers jeweils nur den vom Beschwerdeführer erfüllten Tatbestand des Strafgesetzbuches festgestellt. Hinsichtlich der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen hat sie überhaupt nur auf das Vorliegen von 31 solchen Bestrafungen "im Zusammenhang mit Verkehrsrechtsdelikten bzw. dem Niederösterreichischen Polizeistrafgesetz" hingewiesen. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen fehlen zur Gänze. Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den obigen Kriterien - überprüft werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2000, Zl. 99/18/0416).
Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid aber auch noch auf andere Weise mit Rechtswidrigkeit infolge eines Verfahrensmangels.
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 oder 2 dieser Bestimmung umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist. Ihrem Wortlaut nach räumt diese Bestimmung somit insofern Ermessen ein, als sie die Behörde ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen hiefür abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen und sich dabei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 37 FrG - öffentliche Interessen zu Gunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit nach § 37 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1999, Zl. 99/18/0056, mwN.)
Die Behörde hat den für ihre Ermessensentscheidung maßgeblichen Sachverhalt unter Wahrung des Parteiengehörs (§ 45 AVG) festzustellen und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist. Einer solchen Begründung entbehrt der angefochtene Bescheid zur Gänze.
Die belangte Behörde hätte sich bei der Ermessensentscheidung mit den nach den obigen Ausführungen hiefür relevanten Umständen auseinander zu setzen gehabt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1991 mit Familie in Österreich und ist hier beruflich tätig. Es kann somit nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der Verhältnisse des Beschwerdeführers im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre.
Zu der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung iSd § 37 Abs. 2 FrG sei bemerkt, dass ihrer Ansicht, die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers als Geschäftsführer einer GesmbH oder die Beteiligung an einer solchen sei für das Privatleben nicht relevant, in dieser pauschalen Form nicht beigetreten werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1996, Zl. 96/18/0218).
Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 8. November 2000
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998210129.X00Im RIS seit
26.02.2001