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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines staatenlosen Palästinensers und Ausweisung in den Libanon wegen objektiver Willkür infolge Verkennung der durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten Rechtslage; Unterlassung der Prüfung eines etwaigen Vorliegens des "ipso facto"-Schutzes der StatusrichtlinieSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, angefochtene Entscheidung und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein staatenloser Angehöriger der palästinensischen Volksgruppe im Libanon. Nach illegaler Einreise nach Österreich stellte er am 1. Februar 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er habe sich gegen die Fatah gewehrt, die ihm sein Grundstück wegnehmen und dort ein Trainingslager errichten wollte. Daraufhin sei auf seinem Grundstück herumgeschossen und seine Farm in Brand gesteckt worden. Im Fall seiner Rückkehr fürchte er, von der Fatah aus Rache getötet zu werden.
2. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2011 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und sprach die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Libanon aus.
Der Asylgerichtshof wies die Beschwerde als unbegründet ab. Unter anderem geht der Asylgerichtshof davon aus, dass aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) registriert sei und damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art1 Abschnitt D Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) falle, nichts für dessen Verfahren zu gewinnen sei. Wörtlich begründet der Asylgerichtshof dies folgendermaßen (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"2.2 Wie oben festgestellt wurde, ist der Beschwerdeführer als Flüchtling bei der 'United Nations Relief an[d] Works Agency for Pal[e]stine Refuge[e]s' (UNRWA) registriert.
Nach einhelliger Ansicht wird Art1 Abschnitt D GFK derzeit nur auf Personen angewendet, die von der UNRWA Hilfe erhalten oder erhalten können (vgl. Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht, Rz 109; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 241; Schrefler-König/Gruber, Asylrecht, §6 Anmerkung 2; Reinhard Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, §31 Rz 3; UNHCR, Note über die Anwendbarkeit von Artikel 1 D des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auf palästinensische Flüchtlinge; Urteil des EuGH vom 17.06.2010, Rs C-31/09, Rn 44).
Damit steht fest, dass der gegenständliche Beschwerdeführer grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art1 Abschnitt D GFK fällt.
2.3 Es war also zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer aufgrund der Bestimmung des Art1 Abschnitt D Abs2 GFK bzw. des Art12 Abs1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie ohne weitere Prüfung ipso facto ein subjektives Recht auf Asylgewährung gebühre.
Dazu ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17.06.2010, C31/09 hinzuweisen, welchem der Antrag einer staatenlosen Palästinenserin aus Gaza an die ungarischen Behörden auf Anerkennung als Flüchtling nach Art1 Abschn. D 2. Satz der GFK zugrunde lag, zumal sie nunmehr außerhalb des Tätigkeitsgebiets der UNRWA lebe. Sie sei ehedem zwar berechtigt gewesen, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen, habe diesen tatsächlich aber nicht in Anspruch genommen. Die ungarischen Behörden hatten ihren Antrag abgewiesen, diese Abweisung aber auf Art1 Abschnitt A der GFK gestützt, wobei festgestellt wurde, dass die Antragstellerin keine Verfolgung aufgrund der dort normierten allgemeinen Tatbestände dargelegt habe. In dem Verfahren vor dem EuGH ersuchte das zuständige ungarische Gericht u.a. um Beantwortung der Frage, ob eine Person den Schutz iSd Art1 Abschnitt D der GFK bzw. Art12 Abs1 lita der Qualifikationsrichtlinie schon genießt, wenn sie einen Anspruch auf diesen hat, oder ob es erforderlich sei, dass sie diesen tatsächlich in Anspruch nimmt. Der Europäische Gerichtshof beantwortete diese Frage letztlich dahingehend, dass 'für die Zwecke der Anwendung des Art12 Abs1 Buchst. ASatz 1 eine Person den Schutz oder Beistand einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR genießt, wenn die diesen tatsächlich in Anspruch nimmt' (Rn 53). Sofern sie diesen nicht tatsächlich in Anspruch nehme, könne sie ihren Antrag auf Anerkennung als Flüchtling jedenfalls nach Art2 lit c der Richtlinie (sinngleich: Art1 Abschn. A der GFK) prüfen lassen (vgl. Rn 54; vgl. auch die Pressemitteilung des Gerichtshofs der EU, Nr 57/10 v. 17.06.2010, Urteil zu C-31/09).
Dem Beschwerdeführer gebührt somit aufgrund der Bestimmung des Art1 Abschnitt D Abs2 GFK bzw. Art12 Abs1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie nicht bereits automatisch ('ipso facto') die Anerkennung als Flüchtling und geht dies auch aus der Entscheidung des EuGH vom 17.06.2010, C-31/09, nicht hervor. Ebenso führt der UNHCR aus, dass sich der Betroffene in dem Fall, dass er sich außerhalb des Mandatsgebietes aufhält, nicht ipso facto auf die Schutzbestimmungen der Konvention berufen könne, jedoch die Prüfung seiner Flüchtlingseigenschaft in einem Feststellungsverfahren möglich sei (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rn 143).
Aus Art1 Abschnitt D Abs2 GFK bzw. Art12 Abs1 lit a Satz 2 Statusrichtlinie geht hervor, dass die Ausschlussklausel des Abs1 (bzw. Satz 1) dann nicht zum Tragen kommt, wenn ein solcher Schutz oder Beistand (gemeint: durch eine Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR) aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt wird. Daraus ist wiederum abzuleiten, dass zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr der Zugang zu effektivem Schutz im UNRWA-Einsatzgebiet möglich ist. Nur in dem Fall, dass die betroffene Person – auch nach freiwilliger Ausreise – entweder mangels Erlaubnis des jeweiligen Staates nicht in das UNRWA-Mandatsgebiet zurückkehren kann, in dem sie effektiven Schutz erhalten hat, oder aus anderen Gründen als aus ihrem eigenen Belieben nicht heimkehren kann bzw. will, z.B. weil sie glaubhaft darlegen kann, in diese[m] Staat verfolgt zu werden, bedarf es keiner Prüfung der Voraussetzungen des Art1 Abschnitt A GFK (vgl. Pinter, Fremden- und Asylrecht3, Internationales Flüchtlingsrecht, 15). Dies ist auch insofern konsequent, zumal sich der in Art1 Abschnitt D GFK genannte Schutz oder Beistand, welcher zu einem Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling führt, primär auf die Umstände bezieht, die zur Flucht aus dem ehemaligen Völkerbundgebiet Palästina geführt haben, und nicht auf die Situation in den jeweiligen Erstzufluchtsländern (im konkreten Fall auf die Situation im Libanon).
Der Beschwerdeführer beruft sich jedoch gegenständlich auf die Situation im Libanon und fällt daher (auch) nach der genannten Entscheidung des EuGH vom 17.06.2010 (Rn 54) unter die allgemeinen Vorschriften der Konvention. Demnach ist sein Antrag auf internationalen Schutz individuell zu prüfen und kann diesem nur im Falle einer Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A der GFK genannten Gründen stattgegeben werden (vgl. Schrefler-König/Gruber, Asylrecht, §6 Anmerkung 2)."
3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Der Asylgerichtshof sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte die Verfahrensakten.
II. Rechtslage
1. Die §§3, 6 und 8 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100, in der jeweils relevanten Fassung (§§3 und 6 in der Stammfassung, §8 idF BGBl I 122/2009), lauten wie folgt:
"2. Hauptstück
Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten
1. Abschnitt
Status des Asylberechtigten
Status des Asylberechtigten
§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
[…]
Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. §8 gilt.
[…]
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach §3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach §7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.
(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs1 oder aus den Gründen des Abs3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß §9 Abs2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesasylamt für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
(5) In einem Familienverfahren gemäß §34 Abs1 Z2 gilt Abs4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.
(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet zu verfügen, wenn diese gemäß §10 Abs2 nicht unzulässig ist. §10 Abs3 gilt.
(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird."
2. Art1 Abschnitt D und Art5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974 (im Folgenden: GFK), lauten wie folgt:
"Artikel 1
Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'
[…]
D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese
Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.
[…]
Artikel 5
Rechte außerhalb des Abkommens
Dieses Abkommen soll keinerlei Rechte oder Vorteile, die von einem vertragschließenden Staat vor oder neben diesem Abkommen gewährt wurden, beeinträchtigen."
3. Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Art2, 12 und 38 der Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) haben folgenden Wortlaut:
"Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
[…]
b) 'Genfer Flüchtlingskonvention' das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung;
c) "Flüchtling" einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
[…]
Artikel 12
Ausschluss
(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er
a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;
b) von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
[…]
Artikel 38
Umsetzung
(1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 10. Oktober 2006 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.
[…]
Artikel 39
Inkrafttreten
Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft."
III. Erwägungen
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
3. Ein derartiger Fall liegt hier vor:
3.1. Der Beschwerdeführer legte im Asylverfahren eine auf seine Person ausgestellte "UNRWA Registration Card" vor. Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D der GFK, auf den sowohl Art12 Abs1 lita Status-RL sowie §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, unterscheidet sich in folgender Hinsicht von jener anderer Asylwerber: Art12 Abs1 lita Status-RL sieht – in Entsprechung des Art1 Abschnitt D GFK – einerseits vor, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, wenn sie unter dem Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art1 Abschnitt D GFK stehen. Andererseits genießen vom Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen erfasste Personen dann, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK. Auf Grund dieses in Art12 Abs1 lita der Status-RL angeordneten "ipso facto"-Schutzes sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfassten Personen auf Antrag den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn der Beistand einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D GFK "aus irgendeinem Grund" wegfällt und keiner der in Art12 Abs1 litb oder Abs2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. EuGH 19.12.2012, Rs. C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 76).
Österreich ist seiner Verpflichtung, die Status-RL und damit auch den genannten Art12 der Status-RL in innerstaatliches Recht umzusetzen, insoweit nachgekommen, als nach dem in §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 normierten Asylausschlussgrund einem Fremden kein Asyl gewährt werden kann, "so lange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt". Eine ausdrückliche Regelung, die die – in Satz 2 des Art12 Abs1 lita der Status-RL vorgesehene – "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, anordnen würde, enthält das AsylG 2005 jedoch nicht. Der "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, als diese – im Unterschied zu nicht unter Art12 Abs1 lita der Status-RL fallenden Personen – für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen, sondern nur darzutun haben, dass sie unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind und dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen ist und dass keiner der in Art12 Abs1 litb oder Abs2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. EuGH, El Kott, Rz 76). Somit dürfte es sich bei Satz 2 des Art12 lita der Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handeln, die mangels Umsetzung in der am 10. Oktober 2006 abgelaufenen Umsetzungsfrist (vgl. Art38 Status-RL) unmittelbar anzuwenden sein dürfte.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat auch nach Klärung von unionsrechtlichen Rechtsfragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union dadurch offenkundig gewordene Fehler in der rechtlichen Beurteilung des Asylgerichtshofes aufzugreifen. Er hat nämlich eine festgestellte Rechtswidrigkeit der Gesetzesanwendung im Sinne der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten, und zwar auch dann, wenn die korrekte Auslegung des Unionsrechts erst im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof offenkundig wurde (VfSlg 15.448/1999; VfGH 29.06.2013, U674/2012; 29.06.2013, U706/2012; 29.06.2013, U2465/2012).
3.3. Da der Asylgerichtshof nicht vom Vorliegen des Asylausschlussgrundes des §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 ausgegangen ist, war die Frage von Bedeutung, ob der Beschwerdeführer nicht "ipso facto" den Schutz der Status-RL genießt, weil ihm der Beistand der UNRWA zwar in der Vergangenheit gewährt wurde, nunmehr jedoch "aus irgendeinem Grund" iSd Status-RL nicht mehr gewährt wird. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat im Dezember 2012 – und somit nach der vorliegenden Entscheidung des Asylgerichtshofes – ausgesprochen, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung […] tatsächlich nicht länger gewährt wird, […] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH, El Kott, Rz 61; vgl. insb. Rz 65). Da der Asylgerichtshof aber lediglich geprüft hat, ob eine individuelle Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A der GFK gegeben ist, hat er die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt und damit objektiv Willkür geübt.
4. Im fortgesetzten Verfahren wird der Asylgerichtshof zu prüfen haben, ob er über die Beschwerde auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott entscheiden kann, oder ob er vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles gegebenenfalls weitere Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union richten muss.
5. Da der Status des subsidiär Schutzberechtigten von der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten abhängt (§8 Abs1 Z1 AsylG 2005) und die Ausweisung aus dem Bundesgebiet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten voraussetzt (§10 Abs1 Z2 AsylG 2005), ist die bekämpfte Entscheidung vollumfänglich aufzuheben.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, EU-Recht Richtlinie, Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme, BescheidbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U1053.2012Zuletzt aktualisiert am
08.11.2013