TE Vfgh Erkenntnis 2013/9/16 U1268/2013

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Veröffentlicht am 16.09.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §68 Abs1
AsylG 2005 §10

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Ausweisung des homosexuellen Beschwerdeführers nach Nigeria mangels eigener Länderfeststellungen sowie ausreichender Auseinandersetzung mit der Lage Homosexueller in Nigeria

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.              

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 20. September 2009 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er als Fluchtgrund angab, im Haus jenes Mannes, bei dem er seit seinem 12. Lebensjahr gelebt und als Hausangestellter gearbeitet habe, ein Treffen von Menschen beobachtet zu haben, die viele Gewehre gehabt hätten, wobei ihm bewusst geworden sei, dass der Mann "ein Militanter" sei. Später sei ihm von dessen Sohn mitgeteilt worden, dass er beabsichtige, den Beschwerdeführer umzubringen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. November 2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und seine Ausweisung nach Nigeria ausgesprochen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 4. November 2010 abgewiesen.

2. Am 3. Dezember 2010 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht erhielt und ergänzend u.a. vorbrachte, dass er homosexuell sei und in Nigeria eine Beziehung mit einem Mann gehabt habe, dessen Frau sie eines Tages zusammen gesehen und gedroht habe, die Polizei zu rufen. Er befürchte seine Festnahme durch die Polizei bzw. seine Tötung, weil homosexuelle Handlungen in Nigeria verboten und im ganzen Land unter Strafe gestellt seien. In Österreich unterhalte er sexuelle Beziehungen zu drei Männern. Zu einem späteren Zeitpunkt legte der Beschwerdeführer zum Nachweis des Bestehens eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK eine Stellungnahme seines nunmehrigen Lebensgefährten vor.

2.1. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Mai 2011 wurde der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dieser aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Der Asylgerichtshof wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Entscheidung vom 21. Juli 2011 ab und bestätigte die Ausweisung, wobei er begründend u.a. ausführte, dass dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mangels Geltendmachung seiner angeblichen homosexuellen Orientierung im Erstverfahren kein glaubhafter Kern zugestanden werden könne. Bei den geltend gemachten Umständen handle es sich darüber hinaus auch im Falle hypothetischer Wahrunterstellung der Angaben um keine solchen, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet hätten. Auch vermöge "eine tatsächlich vorliegende homosexuelle Orientierung per se betrachtet […] ohne das Hinzutreten risikoerhöhender Faktoren als solche keine maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung im Hinblick auf den Schutzzweck subsidiärer Schutzgewährung […] zu indizieren".

2.2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 2012, U1776/11, wurde die Entscheidung des Asylgerichtshofes wegen Willkür aufgehoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt:

"[…] Der Asylgerichtshof begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Homosexualität; er führt dazu aus, dass dieser seine sexuelle Orientierung im ersten Asylverfahren nicht thematisiert und zu seiner angeblichen sexuellen Beziehung in Nigeria keine näheren Angaben gemacht hätte. Mag dies in Hinblick auf das Vorbringen betreffend Nigeria auch denkmöglich zutreffen, so hat der Beschwerdeführer indes im Verfahren vor dem Bundesasylamt eine Stellung-nahme seines angeblichen Lebensgefährten in Österreich vorgelegt, in der dieser die bestehende Lebensgemeinschaft bestätigt, sowie in seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof dessen zeugenschaftliche Einvernahme beantragt. Der Asylgerichtshof ist diesem Antrag nicht nachgekommen; er geht in der angefoch-tenen Entscheidung weder auf die Stellungnahme des Lebensgefährten ein, noch wird begründet, warum diese nicht berücksichtigt wurde. Damit hat der Asylge-richtshof es jedoch unterlassen, zu begründen, warum er – trotz im Akt vorhandener Bescheinigungsmittel – von der Unglaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers ausgeht.

[…] Der Asylgerichtshof hat, indem er die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht substantiiert begründet hat, seine Entscheidung mit Willkür behaftet. Die angefochtene Entscheidung ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, weshalb sich eine Überprüfung der vom Asylgerichtshof durchgeführten Prüfung hinsichtlich einer Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne der Art2 und 3 EMRK – insbesondere in Hinblick auf die Situation Homo-sexueller in Nigeria – erübrigt. "

2.3. In der Folge führte der Asylgerichtshof am 24. September 2012 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer sowie der von diesem namhaft gemachte Zeuge einvernommen wurden. In dieser Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zur Lage in Nigeria, insbesondere zum Themenkreis Homosexualität, zur Kenntnis gebracht; der Beschwerdeführer brachte dazu in der Verhandlung vor, dass es für ihn "in Nigeria gefährlich wäre, als Schwuler zu leben"; er könne in Nigeria mit keinem Mann zusammenleben. Hier in Österreich habe er eine sehr starke Beziehung zu einer namentlich genannten Person; er habe auch die Freiheit, dies öffentlich auszusprechen. Das könne er in Nigeria nicht.

Mit Entscheidung vom 18. Oktober 2012 hob der Asylgerichtshof den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Mai 2011 auf und verwies die Angelegenheit gemäß §66 Abs2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Bescheiderlassung im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass dem Akteninhalt nicht entnommen werden könne, ob dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde die gesetzlich vorgesehene Wahlmöglichkeit eingeräumt worden sei, seine Angaben hinsichtlich der seinerseits behaupteten Angst vor Verfolgung auf Grund seiner sexuellen Orientierung vor einem männlichen Organwalter oder einer weiblichen Organwalterin zu präsentieren.

2.4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Jänner 2013 wurde der Antrag des Beschwerdeführers neuerlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 24. April 2013 wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde gemäß §68 Abs1 AVG abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

2.4.1. Begründend wird u.a. ausgeführt, dass es sich beim erst im zweiten Asylverfahren erstatteten Fluchtvorbringen zur Homosexualität um kein "neu entstandenes Vorbringen" handle, das erst nach Abschluss des ersten Asylverfahrens entstanden sei, zumal der Beschwerdeführer ausdrücklich eingestanden habe, dass ihm dieses schon lange vor seiner Antragstellung bekannt gewesen sei. Die "als klassische Mentalreservation zu definierende" Entscheidung, seine behauptete Homosexualität weder vor dem Bundesasylamt noch vor dem Asylgerichtshof im Rahmen seines ursprünglichen Verfahrens bekanntgeben zu wollen, müsse sich der Beschwerdeführer letztlich selbst zurechnen lassen bzw. im Ergebnis verantworten und bilde diese keinen tauglichen Grund für die wiederholte Durchführung eines inhaltlichen Verfahrens.

2.4.2. Hinsichtlich der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat stützt sich der Asylgerichtshof auf die vom Bundesasylamt getroffenen Länderfeststellungen und gibt "in Bezug auf die homosexuelle Orientierung" zusammenfassend wieder, dass "eine generelle staatliche Verfolgung von Angehörigen dieser Gruppe nicht gegeben sei; vielmehr würden sogar jedes Wochenende in der auflagenstärksten Tageszeitung 'The Sun' Kontaktanzeigen schwuler beziehungsweise lesbischer Nigerianer geschaltet werden." Somit sei "in casu auch vor diesem Hintergrund eine Verletzung [der dem Beschwerdeführer durch] Art3 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle seiner Rückführung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten."

2.4.3. Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Jänner 2013 enthält folgende Länderfeststellungen zur Situation Homosexueller in Nigeria:

"Soziale Gruppen              
Homosexuelle

In den Nordstaaten sieht das Scharia Strafgesetz die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen sexuellen Verkehr vor. Es ist jedoch kein einziger Fall bekannt, in welchem Anklage gegen eine Person aufgrund dieses Tatbestandes erhoben wurde.

§214 des bundesstaatlichen 'Criminal code' sieht vierzehn Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor.

Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem zur Schau stellen der sexuellen Orientierung ist – wie auch in vielen Staaten dieser Welt – gegeben.

Jedes Wochenende erscheinen in der auflagenstärksten Tageszeitung 'The Sun' Kontaktanzeigen schwuler/lesbischer NigerianerInnen. Eine generelle 'staatliche Verfolgung' ist nicht gegeben. Der Gesetzentwurf über ein vorbeugendes Verbot zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts befindet sich in der Beschlussfassung, wobei der deklaratorische Aspekt im Vordergrund steht und keine Auswirkungen auf das Alltagsleben entfalten sollte.              
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht (dreimonatige bis dreijährige Freiheitsstrafe gem. §217 Criminal Code, bei vollzogenem Analverkehr Freiheitsstrafe von 14 Jahren gem. §214 Criminal Code) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen werden selten bekannt. Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen. 2011 nahm der Senat eine weitere Verschärfung der Gesetze an. Danach könnte künftig bereits das Zusammenleben homosexueller Paare mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Personen, die davon erfahren, dass Homosexuelle zusammen leben und dies nicht den Behörden mitteilen, droht danach künftig eine bis zu fünfjährige Haftstrafe, was neben Familienangehörigen und Freunden insbesondere auch Mitarbeiter von NROs im Gesundheitsbereich (HIV/AIDS-Aufklärung) betreffen könnte. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch durch das Repräsentantenhaus verabschiedet und durch den Präsidenten unterzeichnet werden.              
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)

Aufgrund weitverbreiteter sozialer Tabus gegen Homosexualität gaben nur sehr wenige Menschen ihre Orientierung offen bekannt. Die NGOs Global Rights und The Independent Project haben lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender (LGBT) Gruppen Rechtsberatung, Schulungen für die Vertretung ihrer Interessen, Medienkompetenz und HIV/AIDS-Sensibilisierung angeboten. Organisationen wie das Youth2gether Network haben LGBT-Personen auch Dienste und

Informationen bezüglich Gesundheit angeboten und Programme finanziert, die u.a. sichere Aufenthaltsorte für LGBT-Personen umfassten.

Die Regierung und ihre Vertreter haben im Jahr 2011 die Arbeit dieser Gruppen nicht behindert.              
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 – Nigeria, 24.5.2012, http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html, Zugriff 15.10.2012)"

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2.5. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art144a B-VG gestützten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Der im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem belangten Asylgerichtshof bei der Erlassung der angefochtenen Entscheidung unterlaufen:

2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Asylgerichtshof hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (zB VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012).

2.2. Der Asylgerichtshof geht in der angefochtenen Entscheidung – auf Grund des ausdrücklichen Eingeständnisses des Beschwerdeführers, dass ihm seine Homosexualität schon lange vor seiner Antragstellung bekannt gewesen sei – denkmöglich davon aus, dass es sich beim Fluchtvorbringen zur Homosexualität um kein neues, nach Abschluss des ersten Asylverfahrens entstandenes Vorbringen handle; jedoch legt er seiner Entscheidung offenkundig implizit zugrunde, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist und führt in diesem Zusammenhang eine – kursorische – Prüfung in Bezug auf die Gefahr einer Verletzung von Art3 EMRK durch (s.  Pkt. I.2.4.2.).

2.3. Der Asylgerichtshof trifft in der angefochtenen Entscheidung jedoch keine eigenen Länderfeststellungen, sondern leitet aus den vom Bundesasylamt getroffenen Länderfeststellungen zur Lage Homosexueller in Nigeria ab, dass eine generelle staatliche Verfolgung von Angehörigen dieser Gruppe nicht bestehe, zumal "sogar jedes Wochenende in der auflagenstärksten Tageszeitung 'The Sun' Kontaktanzeigen schwuler beziehungsweise lesbischer Nigerianer geschaltet" würden; er übernimmt damit die Ergebnisse – samt deren rechtlicher Beurteilung – aus einem einzelnen im Bescheid des Bundesasylamtes wiedergegebenen Länderbericht, lässt jedoch jene weiteren im Bescheid des Bundesasylamtes enthaltenen Länderberichte völlig außer Acht, aus denen sich ergibt, dass homosexuelle Handlungen jeglicher Art in Nigeria mit Freiheitsstrafen nach säkularem Recht (bis zu 14 Jahren) sowie mit Körperstrafen nach Scharia-Recht (bis hin zum Tod durch Steinigung) bedroht sind (s. Pkt. I.2.4.3.). Vor dem Hintergrund dieser Länderfeststellungen und dem in der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2012 erstatteten Vorbringen, dass es für den Beschwerdeführer "in Nigeria gefährlich wäre, als Schwuler zu leben", wäre eine Überprüfung, ob dem Beschwerdeführer in seiner konkreten Situation im Falle einer Rückführung in den Herkunftsstaat eine Gefährdung gemäß Art3 EMRK droht, jedenfalls geboten gewesen.

3. Der Asylgerichtshof hat somit durch die unzureichende Prüfung seine Entscheidung – mit der die gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 verfügte Ausweisung des Beschwerdeführers untrennbar verbunden ist – mit Willkür belastet.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren, Homosexualität, res iudicata, Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1268.2013

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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