TE Vfgh Erkenntnis 2013/9/27 U2141/2012 ua

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Veröffentlicht am 27.09.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8
AVG §68 Abs1
AsylG 2005 §10 Abs3

Leitsatz

Verletzung der Zweitbeschwerdeführerin im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die neuerlich verfügte Ausweisung in die Russische Föderation mangels Auseinandersetzung mit der fortgeschrittenen Schwangerschaft im zweiten Verfahrensgang; Verletzung der übrigen Familienmitglieder durch die Ausweisung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens; im Übrigen Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I.1. Die Zweitbeschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen worden ist, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973). Die übrigen Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen worden sind, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.120,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und ihre vier minderjährigen Kinder, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und reisten am 11. August 2011 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am selben Tag (erste) Anträge auf internationalen Schutz stellten. Begründend führte der Erstbeschwerdeführer vor allem aus, dass es an der Wohnadresse der Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat zu einer Schießerei zwischen Personen, welche sich vor der Zweitbeschwerdeführerin als Angehörige der Miliz ausgegeben hätten, und Soldaten gekommen sei. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien in diesem Zusammenhang von den Behörden vorgeladen und befragt worden, wobei sie verdächtigt worden seien, aktuell Widerstandskämpfer zu unterstützen.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom 5. April 2012 wurden die Anträge der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, (in der Folge: AsylG 2005), abgewiesen, den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 leg.cit. nicht zuerkannt und die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidungen jeweils vom 27. Juni 2012 gemäß §§3, 8 Abs1 und 10 Abs1 Z2 AsylG 2005 idF BGBl I 50/2012 ab. Zur im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin führte der Asylgerichtshof nach Wiedergabe des §10 Abs3 leg.cit. Folgendes aus:

"Im vorliegenden Verfahren brachte die schwangere Beschwerdeführerin nicht vor, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden. […] Weiters ergaben sich auch keine begründeten Hinweise darauf, dass die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in ihrer Person liegen und die nicht von Dauer sind, Art3 EMRK verletzen könnte. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin noch nicht so fortgeschritten ist, dass hier Probleme auftreten könnten."

Die im Hinblick auf diese Entscheidungen eingebrachten Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof wies dieser mit Beschluss vom 21. September 2012, U1431-1436/12 ab.

2. Am 27. Juli 2012 stellten die Beschwerdeführer weitere Anträge auf internationalen Schutz. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. August 2012 gab die Zweitbeschwerdeführerin unter anderem an, sich mittlerweile im fünften Schwangerschaftsmonat zu befinden.

Das Bundesasylamt wies die Anträge der Beschwerdeführer vom 27. Juli 2012 mit Bescheiden jeweils vom 11. September 2012 gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus.

Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit den nunmehr angefochtenen Entscheidungen jeweils vom 28. September 2012 gemäß §68 Abs1 AVG und §10 Abs1 und 2 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012 als unbegründet ab. Dabei führte der Asylgerichtshof in der zur Zweitbeschwerdeführerin ergangenen Entscheidung unter anderem aus:

"Insbesondere wurde der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im rechtskräftigen Erkenntnis vom 27.06.2012 einer ausführlichen abschließenden Beurteilung unterzogen und dargelegt, dass keine Hinweise auf ein akutes oder lebensbedrohliche[s] Krankheitsbild bestehen und im Übrigen in der Russischen Föderation eine ausreichende medizinische Versorgung vorhanden ist. Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes wurden keinerlei Beschwerden durch die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren behauptet, vielmehr gab sie an, gesund zu sein. Sie sei zudem schwanger.

Dementsprechend ist im Fall der Beschwerdeführerin in keiner Weise von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Fall ihrer Rückkehr auszugehen und liegt unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes keine Verletzung des Art2 oder 3 EMRK vor."

3. In den gegen diese Entscheidungen gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerden wird jeweils die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt, die Beschwerden abzuweisen.

II. Erwägungen

A. Die – zulässigen – Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Ausweisung der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet richten, begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Asylgerichtshof sich in seiner hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin im ersten Verfahrensgang erlassenen Entscheidung vom 27. Juni 2012 mit ihrer zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Schwangerschaft auseinandersetzte (s. Pkt. I.1.).

In der zur Zweitbeschwerdeführerin ergangenen, nunmehr angefochtenen Entscheidung vom 28. September 2012 wird ihre Schwangerschaft – welche im Entscheidungszeitpunkt das sechste bzw. siebente Monat erreicht haben musste (vgl. die Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 2. August 2012, in welcher die Zweitbeschwerdeführerin angab, im fünften Monat schwanger zu sein, AS 33 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes im Folgeantragsverfahren) – zwar im Rahmen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung des Asylgerichtshofes im ersten Rechtsgang erwähnt, dazu werden aber keine Feststellungen getroffen und erfolgt keinerlei rechtliche Bewertung. In seinen Ausführungen zu einer möglichen Verletzung des Art3 EMRK bei Überstellung der Zweitbeschwerdeführerin in ihr Herkunftsland merkt er lediglich an, dass sie im Zuge der Einvernahme ihre Schwangerschaft angegeben habe, geht darauf aber in keiner Weise näher ein und zieht daraus keinerlei Schlussfolgerungen.

2.2. Nach §10 Abs3 AsylG 2005 ist die Durchführung der Ausweisung für die notwendige Zeit aufzuschieben, wenn die Durchführung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind. Den Materialien zu dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass als Aufschiebungsgrund unter anderem eine "fortgeschrittene Schwangerschaft" in Betracht kommt (RV 952 BlgNR 22. GP).

Vor diesem Hintergrund hätte sich der Asylgerichtshof im vorliegenden Fall mit der bei der Zweitbeschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden – im Verhältnis zum Entscheidungszeitpunkt im ersten Verfahrensgang nunmehr fortgeschrittenen – Schwangerschaft auseinandersetzen müssen (angemerkt sei, dass der Asylgerichtshof in seiner Judikatur auf den Aspekt der Schwangerschaft von Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf §10 Abs3 AsylG 2005 regelmäßig eingeht [s. AsylGH 23.4.2012, D12 425380-1/2012; 27.4.2012, B2 423955-1/2012; 4.5.2012, D9 404944-1/2009 ua.]).

Mit diesem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt hat der Asylgerichtshof die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin daher im Entscheidungszeitpunkt mit Willkür iSd o.a. Judikatur des Verfassungsgerichtshofes belastet. Dieser Mangel führt auch zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung der die Ausweisung betreffenden Teile der von den übrigen Beschwerdeführern angefochtenen Entscheidungen: Da zwischen diesen und der Zweitbeschwerdeführerin ein schützenswertes Familienleben iSd Art8 EMRK vorliegt, werden diese durch die rechtswidrige Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin in ihrem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Familienlebens verletzt.

B. Soweit die an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden die Zurückweisung der Asylanträge wegen entschiedener Sache bekämpfen, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden, soweit die Beschwerdeführer damit die Zurückweisung ihrer Asylanträge wegen entschiedener Sache bekämpfen, abzusehen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Zweitbeschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Die übrigen Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Abweisungen ihrer Beschwerden betreffend die Ausweisungen aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen werden, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Familienlebens verletzt. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerden abzulehnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 600,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 520,– enthalten.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und ihre vier minderjährigen Kinder, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und reisten am 11. August 2011 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am selben Tag (erste) Anträge auf internationalen Schutz stellten. Begründend führte der Erstbeschwerdeführer vor allem aus, dass es an der Wohnadresse der Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat zu einer Schießerei zwischen Personen, welche sich vor der Zweitbeschwerdeführerin als Angehörige der Miliz ausgegeben hätten, und Soldaten gekommen sei. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien in diesem Zusammenhang von den Behörden vorgeladen und befragt worden, wobei sie verdächtigt worden seien, aktuell Widerstandskämpfer zu unterstützen.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom 5. April 2012 wurden die Anträge der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, (in der Folge: AsylG 2005), abgewiesen, den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 leg.cit. nicht zuerkannt und die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidungen jeweils vom 27. Juni 2012 gemäß §§3, 8 Abs1 und 10 Abs1 Z2 AsylG 2005 idF BGBl I 50/2012 ab. Zur im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin führte der Asylgerichtshof nach Wiedergabe des §10 Abs3 leg.cit. Folgendes aus:

"Im vorliegenden Verfahren brachte die schwangere Beschwerdeführerin nicht vor, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden. […] Weiters ergaben sich auch keine begründeten Hinweise darauf, dass die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in ihrer Person liegen und die nicht von Dauer sind, Art3 EMRK verletzen könnte. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin noch nicht so fortgeschritten ist, dass hier Probleme auftreten könnten."

Die im Hinblick auf diese Entscheidungen eingebrachten Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof wies dieser mit Beschluss vom 21. September 2012, U1431-1436/12 ab.

2. Am 27. Juli 2012 stellten die Beschwerdeführer weitere Anträge auf internationalen Schutz. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. August 2012 gab die Zweitbeschwerdeführerin unter anderem an, sich mittlerweile im fünften Schwangerschaftsmonat zu befinden.

Das Bundesasylamt wies die Anträge der Beschwerdeführer vom 27. Juli 2012 mit Bescheiden jeweils vom 11. September 2012 gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus.

Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit den nunmehr angefochtenen Entscheidungen jeweils vom 28. September 2012 gemäß §68 Abs1 AVG und §10 Abs1 und 2 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012 als unbegründet ab. Dabei führte der Asylgerichtshof in der zur Zweitbeschwerdeführerin ergangenen Entscheidung unter anderem aus:

"Insbesondere wurde der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im rechtskräftigen Erkenntnis vom 27.06.2012 einer ausführlichen abschließenden Beurteilung unterzogen und dargelegt, dass keine Hinweise auf ein akutes oder lebensbedrohliche[s] Krankheitsbild bestehen und im Übrigen in der Russischen Föderation eine ausreichende medizinische Versorgung vorhanden ist. Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes wurden keinerlei Beschwerden durch die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren behauptet, vielmehr gab sie an, gesund zu sein. Sie sei zudem schwanger.

Dementsprechend ist im Fall der Beschwerdeführerin in keiner Weise von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Fall ihrer Rückkehr auszugehen und liegt unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes keine Verletzung des Art2 oder 3 EMRK vor."

3. In den gegen diese Entscheidungen gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerden wird jeweils die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt, die Beschwerden abzuweisen.

II. Erwägungen

A. Die – zulässigen – Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Ausweisung der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet richten, begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Asylgerichtshof sich in seiner hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin im ersten Verfahrensgang erlassenen Entscheidung vom 27. Juni 2012 mit ihrer zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Schwangerschaft auseinandersetzte (s. Pkt. I.1.).

In der zur Zweitbeschwerdeführerin ergangenen, nunmehr angefochtenen Entscheidung vom 28. September 2012 wird ihre Schwangerschaft – welche im Entscheidungszeitpunkt das sechste bzw. siebente Monat erreicht haben musste (vgl. die Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 2. August 2012, in welcher die Zweitbeschwerdeführerin angab, im fünften Monat schwanger zu sein, AS 33 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes im Folgeantragsverfahren) – zwar im Rahmen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung des Asylgerichtshofes im ersten Rechtsgang erwähnt, dazu werden aber keine Feststellungen getroffen und erfolgt keinerlei rechtliche Bewertung. In seinen Ausführungen zu einer möglichen Verletzung des Art3 EMRK bei Überstellung der Zweitbeschwerdeführerin in ihr Herkunftsland merkt er lediglich an, dass sie im Zuge der Einvernahme ihre Schwangerschaft angegeben habe, geht darauf aber in keiner Weise näher ein und zieht daraus keinerlei Schlussfolgerungen.

2.2. Nach §10 Abs3 AsylG 2005 ist die Durchführung der Ausweisung für die notwendige Zeit aufzuschieben, wenn die Durchführung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind. Den Materialien zu dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass als Aufschiebungsgrund unter anderem eine "fortgeschrittene Schwangerschaft" in Betracht kommt (RV 952 BlgNR 22. GP).

Vor diesem Hintergrund hätte sich der Asylgerichtshof im vorliegenden Fall mit der bei der Zweitbeschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden – im Verhältnis zum Entscheidungszeitpunkt im ersten Verfahrensgang nunmehr fortgeschrittenen – Schwangerschaft auseinandersetzen müssen (angemerkt sei, dass der Asylgerichtshof in seiner Judikatur auf den Aspekt der Schwangerschaft von Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf §10 Abs3 AsylG 2005 regelmäßig eingeht [s. AsylGH 23.4.2012, D12 425380-1/2012; 27.4.2012, B2 423955-1/2012; 4.5.2012, D9 404944-1/2009 ua.]).

Mit diesem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt hat der Asylgerichtshof die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin daher im Entscheidungszeitpunkt mit Willkür iSd o.a. Judikatur des Verfassungsgerichtshofes belastet. Dieser Mangel führt auch zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung der die Ausweisung betreffenden Teile der von den übrigen Beschwerdeführern angefochtenen Entscheidungen: Da zwischen diesen und der Zweitbeschwerdeführerin ein schützenswertes Familienleben iSd Art8 EMRK vorliegt, werden diese durch die rechtswidrige Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin in ihrem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Familienlebens verletzt.

B. Soweit die an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden die Zurückweisung der Asylanträge wegen entschiedener Sache bekämpfen, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden, soweit die Beschwerdeführer damit die Zurückweisung ihrer Asylanträge wegen entschiedener Sache bekämpfen, abzusehen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Zweitbeschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Die übrigen Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Abweisungen ihrer Beschwerden betreffend die Ausweisungen aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen werden, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Familienlebens verletzt. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerden abzulehnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 600,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 520,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U2141.2012

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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