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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art140 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des J in T, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, und Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15. Mai 2009, Zl. MA 35/III - B 74/06, MA 35/III - E 4/06, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15. Mai 2009 wurde gemäß §§ 39 und 42 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der geltenden Fassung (StbG), auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 250 (StbG 1965), u. a. festgestellt, dass der am 28. September 1958 in H (Israel) geborene Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft mit Wirkung vom 5. Juni 1968 verloren habe. Er sei nicht österreichischer Staatsbürger.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Vater des Beschwerdeführers sei am 13. März 1938 im Besitz der österreichischen Bundesbürgerschaft und des Heimatrechtes der Gemeinde Wien gewesen. In der Folge sei er wegen rassischer Verfolgung gezwungen gewesen, Österreich zu verlassen, und sei in das damalige Palästina emigriert, wo er am 23. Oktober 1944 die Mutter des Beschwerdeführers geheiratet habe. Da keine Umstände über einen Verlust der Bundesbürgerschaft hervorgekommen seien, sei dem Vater des Beschwerdeführers mit der Wiedererrichtung der Republik Österreich zum 27. April 1945 gemäß § 1 lit. a Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetz 1949
(St-ÜG 1949), der Mutter des Beschwerdeführers gemäß § 1 lit. b St-ÜG 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft zugekommen.
Da der Vater des Beschwerdeführers bei der Geburt des Beschwerdeführers, seines ehelichen Sohnes, österreichischer Staatsbürger gewesen sei, habe dieser die Staatsbürgerschaft kraft Abstammung gemäß § 3 Abs. 1 erster Satz Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 (StbG 1949) erworben. Gemäß dem israelischen Staatsangehörigkeitsgesetz 5712-1952 vom 1. April 1952 habe der Beschwerdeführer durch Geburt auch die israelische Staatsangehörigkeit erworben, weil er nach der Errichtung des Staates (am 14. Mai 1948) in Israel geboren worden sei. Dieser kraft Gesetzes eingetretene Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit habe die österreichische Staatsbürgerschaft nicht beeinflusst.
Mit Wirkung vom 4. Juni 1968 habe die Mutter des Beschwerdeführers, mit Wirkung vom 5. Juni 1968 dessen Vater durch Einbürgerung die israelische Staatsangehörigkeit erworben. Durch diesen antragsbedürftigen Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit seien bei der Mutter und dem Vater des Beschwerdeführers gemäß § 27 Abs. 1 StbG 1965 ein Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft eingetreten. Gemäß dem (damals geltenden) israelischen Staatsangehörigkeitsgesetz 5712-1952 hätten minderjährige Kinder in Erstreckung nach einem eingebürgerten Elternteil automatisch und uneingeschränkt die israelische Staatsangehörigkeit erworben. Es sei daher zu prüfen gewesen, ob der Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter des Beschwerdeführers (als erster Elternteil) die österreichische Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers gemäß § 29 Abs. 2 StbG 1965 beeinflusst habe. Dieser Verlusttatbestand sei nicht verwirklicht, weil der Beschwerdeführer die israelische Staatsbürgerschaft bereits mit der Geburt erworben habe, eine Erstreckung (des Verlustes) nach der Mutter daher nicht möglich und die Zustimmung des Vaters als gesetzlicher Vertreter kein Erfordernis gewesen sei. Der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers sei aber ohne weiteres gemäß § 29 Abs. 1 StbG 1965 (infolge des Erwerbs der israelischen Staatsbürgerschaft durch den Vater des Beschwerdeführers) eingetreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Aus Anlass des Beschwerdefalles stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. Mai 2012, Zl. A 2012/0009 (2009/01/0039), an den Verfassungsgerichtshof den Antrag festzustellen, dass § 29 Abs. 1 StbG 1965 verfassungswidrig war, in eventu dass § 29 Abs. 1 und Abs. 2 StbG 1965 verfassungswidrig waren, in eventu dass das Wort "ehelichen" und die Wortfolge "oder diese bereits besitzen" in § 29 Abs. 1 StbG 1965 sowie die Wortfolge "und der gesetzliche Vertreter der Kinder dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorher ausdrücklich zugestimmt hat. § 27 Abs. 2 letzter Satz findet Anwendung" in § 29 Abs. 2 StbG 1965 verfassungswidrig waren, in eventu dass das Wort "ehelichen" und die Wortfolge "oder diese bereits besitzen" in § 29 Abs. 1 StbG verfassungswidrig waren, in eventu dass die Wortfolge "oder diese bereits besitzen" in § 29 Abs. 1 StbG 1965 verfassungswidrig war.
Mit seinem Erkenntnis vom 27. Juni 2013, G 64/2012-11, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass § 29 Abs. 1 StbG 1965, BGBl. Nr. 250/1965, verfassungswidrig war.
Die als verfassungswidrig erkannte Norm ist im Beschwerdefall, der Anlassfall für den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes war, nicht anzuwenden (vgl. Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG). Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf die Bestimmung des § 29 Abs. 1 StbG 1965 gestützt, die nach dem Gesagten im Beschwerdefall nicht (mehr) anzuwenden war.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 19. September 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2013010112.X00Im RIS seit
14.10.2013Zuletzt aktualisiert am
08.01.2014