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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Wiederaufnahmeantrags eines iranischen Staatsbürgers mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in entscheidungswesentlichen PunktenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein am 9. April 1968 geborener iranischer Staatsbürger, reiste am 15. September 2011 mit seiner Frau und den gemeinsamen minderjährigen Kindern nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete die gesamte Familie damit, dass die Schulbehörde am Mobiltelefon des minderjährigen Sohnes des Beschwerdeführers ein Video gefunden habe, auf dem der geistliche Führer des Iran getanzt und gesungen habe. In der Folge habe sich der Sohn vom 8. April bis zum 11. April 2011 in Haft befunden. Die Polizei habe den Computer des Sohnes sowie die Papiere über das Eigenheim des Beschwerdeführers mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe nur mit Hilfe eines Freundes die Enthaftung seines Sohnes erreichen können. Der Sohn sei auch mehrfach aufgefordert worden, vor Gericht zu erscheinen. Angesichts der im Iran herrschenden Sicherheitslage habe die Familie sich aber zur Flucht entschlossen.
2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies mit Bescheiden vom 13. Februar 2012 sämtliche Anträge der Familie auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 des Asylgesetzes 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005) ab, sprach allen Familienmitgliedern aber subsidiären Schutz gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 zu und erteilte ihnen gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die gegen die Abweisung der Asylanträge erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Entscheidungen vom 2. Juli 2012, zugestellt am 4. Juli 2012, ab. Darin wurde dem Vorbringen mit näherer Begründung die Glaubwürdigkeit versagt. Selbst bei Wahrunterstellung könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Sohn des Beschwerdeführers eine Verfolgung oder Bestrafung zu befürchten habe. Die Behörden im Iran würden sehr wohl auf den Einzelfall Bedacht nehmen, ein derartiges Video am Mobiltelefon eines 15-Jährigen könne keine strafrechtlichen Konsequenzen haben. Der Sohn habe in jugendlichem Übermut gehandelt und weise keine besondere oppositionelle Gesinnung gegen das iranische Regime auf, Repressionen in asylerheblicher Weise seien daher nicht zu gewärtigen.
3. Am 9. August 2012 brachten der nunmehrige Beschwerdeführer und sein Sohn Wiederaufnahmeanträge gemäß §69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl 51/1991 idF BGBl I 100/2011 (im Folgenden: AVG) ein. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer damit, dass er von seinem im Iran lebenden Bruder erfahren habe, dass der Familie seit ihrer Ausreise mehrere Ladungen des Gerichts zugestellt worden seien. Diese seien dem Beschwerdeführer mit der Post am 27. Juli 2012 übermittelt worden. Die in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Videos seien Propagandamaterial, der Besitz solchen Materials würde eine entsprechende politische Gesinnung implizieren. Der Sohn des Beschwerdeführers sei aufgrund der Haft schwer traumatisiert und in einem schlechten psychischen Zustand.
4. Der Asylgerichtshof wies diese Anträge mit der nunmehr bekämpften Entscheidung vom 19. Februar 2013 ab.
4.1. Der Beschwerdeführer habe von seinem Bruder von den Ladungen erfahren. Aufgrund der Tatsache, dass die am 27. Juli 2012 eingelangte Postsendung am 17. Juli 2012 in Shiraz zur Post gegeben worden sei, sei logischerweise davon auszugehen, dass das Telefongespräch mit dem Bruder spätestens am 17. Juli 2012 stattgefunden habe. Die subjektive Frist des §69 Abs2 AVG sei damit am 31. Juli 2012 abgelaufen, eine Übersetzung der vorgelegten Ladungen könne deshalb unterbleiben. Bei gehöriger Sorgfalt hätte der Beschwerdeführer die betreffenden Bescheinigungsmittel schon im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vorlegen können. Es sei auch nicht ansatzweise vorgebracht worden, dass der Beschwerdeführer und sein Sohn ohne ihr Verschulden bis zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren daran gehindert gewesen wären, einen Schriftsatz zur Traumatisierung und zur Einstufung der Videos einzubringen. Die angeführten Videos und die Traumatisierung des Sohnes seien bereits vor Abschluss des Asylverfahrens bekannt gewesen, weshalb auch hinsichtlich dieser beiden Punkte von mangelnder Rechtzeitigkeit auszugehen sei.
4.2. Selbst wenn man von der Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrages ausgehe, könne dieser nicht erfolgreich sein:
4.2.1. Nach einem (in der angefochtenen Entscheidung angeführten, aber nicht näher zitierten) Bericht des Auswärtigen Amtes, sei es für iranische Staatsangehörige ein leichtes, sich gefälschte Dokumente, Ladungen, Bescheinigungen und dergleichen zu beschaffen. Fälschungstypische Fehler seien falsche Stempel, falsche Formulare, das Nichtbeachten von Formalien. Der erkennende Senat halte es "für naheliegend, dass es sich um derartige Dokumente" handle.
4.2.2. Weder allein aufgrund dieser Unterlagen noch in Zusammenschau mit der psychischen Verfassung des Sohnes und dem Vorliegen von Propagandamaterial könne die im abgeschlossenen Verfahren vorgenommene, umfassende Beweiswürdigung widerlegt werden. Aber selbst bei hypothetischer Glaubwürdigkeit hätten die vorgelegten Beweismittel und neuen Tatsachen zu keinem hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von Asyl anders lautenden Bescheid geführt, da der Besitz eines derartigen Videos – angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls, die auch im Heimatstaat eine Rolle spielen würden – allenfalls ein geringfügiges Vergehen darstelle, wobei es dem minderjährigen Sohn völlig an der Gefährlichkeit für das iranischen Regime mangle und daher im Fall der Rückkehr nicht mit Repressionen in asylrechtlich relevanter Weise zu rechnen sei.
5. In seiner auf Art144a B-VG gestützten Beschwerde behauptet der Be-schwerdeführer eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und begründet dies damit, dass der Asylgerichtshof durch mangelnde Er-mittlungen Willkür geübt und damit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander verletzt habe. Der Beschwerdeführer beantrage daher die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Entscheidung.
6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB. VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solch willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:
2.1. Der Asylgerichtshof geht in seiner Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag ua. in zwei entscheidungswesentlichen Punkten von Feststellungen aus, die sich als bloße Annahmen darstellen und die nicht Ergebnisse eines verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Ermittlungsverfahren sind, ein solches ist vielmehr betreffend diese Feststellungen unterblieben:
2.1.1. Abgesehen davon, dass bezüglich der Rechtzeitigkeit des Antrags lediglich Annahmen getroffen werden, hat der Asylgerichtshof jegliche Ermittlungen zur Echtheit und zum Inhalt der vorgelegten Beweismittel unterlassen. Zum einen hat er keine Übersetzung in Auftrag gegeben; zum anderen hat der Asylgerichtshof seine Annahme, es sei naheliegend, dass es sich um gefälschte Dokumente handle, nur auf einen "aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes" gestützt, ohne diese Angabe mit weiteren, nachvollziehbaren Quellen zu versehen. Vor diesem Hintergrund ist die vom Asylgerichtshof getroffene Schlussfolgerung, die vorgelegten Beweismittel hätten zu keinem anderen Hauptinhalt des Spruches geführt, als Willkür zu qualifizieren, da bei allfälliger Echtheit nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Inhalt der Beweismittel keinerlei asylrelevante Verfolgung indizieren würde. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Verfahren über den Asylantrag die mangelnde Vorlage von Ladungen vom Asylgerichtshof als Indiz für die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens qualifiziert wurde.
2.2. Auch setzt die Feststellung, die Beweismittel hätten schon im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vor dem Asylgerichtshof vorgelegt werden können, nach den Denkgesetzen voraus, dass vorweg der genaue Inhalt der vorgelegten Beweismittel eruiert wird, um die Rechtzeitigkeit ihrer Vorlage beurteilen zu können. Die allein auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer in regelmäßigem telefonischen Kontakt mit seinem Bruder stehe, gestützte Feststellung erweist sich, gemessen an den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren, als willkürlich.
2.3. Weiters lässt die Entscheidung des Asylgerichtshofes in den Teilen, die sich auf die Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers beziehen und Angaben zum strafrechtlichen System im Iran enthalten, jegliche Quellenangaben für die Feststellungen vermissen. Auch den vorgelegten Akten sind Quellen zur Strafbarkeit des vom Sohn des Beschwerdeführers gesetzten Verhaltens nicht zu entnehmen. Ebenso ergibt sich daraus nicht, ob allenfalls ein Vorhalt dazu an den Beschwerdeführer ergangen ist.
2.4. Der Asylgerichtshof hat damit aber verabsäumt, in den entscheidungswesentlichen Punkten ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen und damit grob willkürlich gehandelt.
III. Ergebnis
Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander verletzt worden.
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Wiederaufnahme, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U784.2013Zuletzt aktualisiert am
15.10.2013