Index
10/06 Direkte DemokratieNorm
B-VG Art117 Abs2, Abs8Leitsatz
Zurückweisung einer Anfechtung der Wiener Volksbefragung im März 2013 mangels Legitimation einer - in einer Bezirksvertretung vertretenen - politischen Partei bzw einer Einzelperson sowie einer nicht stimmberechtigten Unionsbürgerin; kein Verstoß der Beschränkung der Stimmberechtigung bei der Volksbefragung auf österreichische Staatsbürger gegen UnionsrechtRechtssatz
Die erstanfechtungswerbende Partei - "eine in der Bezirksvertretung für den ersten Wiener Gemeindebezirk vertretene politische Partei" - ist zur Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung nicht legitimiert.
Eine Legitimation von politischen Parteien - mögen sie auch in einer Bezirksvertretung vertreten sein - zur Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung beim VfGH ist weder aus Art141 Abs3 B-VG - der die Regelung, unter welchen Voraussetzungen der VfGH über Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbefragungen entscheidet, dem Bundesgesetzgeber überträgt - noch aus einer sonstigen bundesgesetzlichen Regelung abzuleiten, zumal Ausführungsbestimmungen zu Art141 Abs3 B-VG für die Anfechtung direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene (insbes §16 Abs1 VolksbefragungsG 1989) eine Anfechtungsbefugnis lediglich für eine Mehrzahl von (stimmberechtigten) Personen vorsehen.
Auch aus Art141 Abs1 B-VG sowie aus bundesgesetzlichen wahlrechtlichen Vorschriften, die wahlwerbenden Parteien Anfechtungsrechte in Bezug auf Wahlen einräumen, lässt sich aus systematischer Sicht nichts gewinnen, weil politischen Parteien - anders als beispielsweise Wahlparteien bei Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern - im Verfahren zur Volksbefragung keine besondere Rechtsstellung zukommt.
Auch aus der Tatsache, dass die erstanfechtungswerbende Partei gemäß §18a Abs5 Wr VolksbefragungsG in einem landesgesetzlichen Verfahren in Bezug auf bestimmte Rechtswidrigkeiten des Abstimmungsverfahrens einspruchsberechtigt gewesen wäre, kann keine Legitimation zur Anfechtung der Volksbefragung beim VfGH abgeleitet werden, weil sich die Anfechtungslegitimation gemäß Art141 Abs3 B-VG nur aus der Verfassung selbst - in systematischer Zusammenschau mit bundesgesetzlichen Vorschriften - bzw aus einer besonderen Rechtsstellung im Verfahren ergeben kann; eine solche besondere Rechtsstellung der erstanfechtungswerbenden Partei ergibt sich jedoch nicht einmal aus landesgesetzlichen Bestimmungen, weil diese auch im in §18a Abs5 Wr VolksbefragungsG geregelten Einspruchsverfahren ausschließlich in Bezug auf die ziffernmäßige Ermittlung und die gesetzwidrige Beurteilung oder Zurechnung von Stimmzetteln einspruchsberechtigt ist, nicht aber in Bezug auf die dem Abstimmungsverfahren vorausliegenden Verfahrensschritte.
Auch der Zweitanfechtungswerber ist - als einzelnes, bei der Volksbefragung stimmberechtigtes Gemeindemitglied und Mitglied der Bezirksvertretung im ersten Wiener Gemeindebezirk - zur Anfechtung nicht legitimiert.
Der Drittanfechtungswerberin (einer französischen Staatsangehörigen, die seit mehr als fünf Jahren einen Hauptwohnsitz in Wien hat) kommt mangels österreichischer Staatsbürgerschaft gemäß Art2 Abs3 Wr VolksbefragungsG kein Stimmrecht bei der Volksbefragung zu, an das eine Anfechtungslegitimation anknüpfen könnte. Insofern wird die verfassungsgesetzliche Vorgabe des Art117 Abs8 B-VG, demzufolge die Landesgesetzgebung für Volksbefragungen über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Mitwirkung und Teilnahme (nur) der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen kann, erfüllt: Die Wahlberechtigung zum Wiener Gemeinderat setzt nämlich (anders als die Wahlberechtigung zu den Bezirksvertretungswahlen in Wien) gemäß dem - verfassungsrechtlich und unionsrechtlich unbedenklichen - §16 Abs1 Z1 Wr GemeindewahlO 1996 grundsätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft voraus; Art117 Abs2 vierter Satz B-VG ermächtigt zwar die Landesgesetzgebung zur Erlassung von Regelungen betreffend das aktive und passive Wahlrecht von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten bei Wahlen zum Gemeinderat, schafft jedoch keinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch dieser Personen, mit dem eine landesgesetzliche Regelung, die ein solches Wahlrecht nicht vorsieht, in Widerspruch stehen könnte. Dies entspricht auch den Anforderungen des demokratischen Grundprinzips, zumal - von unionsrechtlich bedingten Ausnahmen abgesehen - der Begriff des Volkes in Art1 B-VG an die österreichische Staatsbürgerschaft anknüpft.
Auch das Unionsrecht gebietet im vorliegenden Fall nicht, dass der Drittanfechtungswerberin auf Grund ihrer Unionsbürgerschaft eine Stimmberechtigung bei der Volksbefragung zukommt, weil Art22 AEUV und die Kommunalwahlrichtlinie Unionsbürgern mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ausschließlich das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen - dies sind in Wien nach dem Anhang zur Kommunalwahlrichtlinie die Bezirksvertretungen, nicht aber der Gemeinderat (s auch VfSlg 15063/1997) - gewähren. Auch Art40 GRC räumt keine über Art22 AEUV hinausgehenden Rechte ein. Die Mitgliedstaaten sind überdies unionsrechtlich nicht verpflichtet, Unionsbürgern über die Teilnahme an den Kommunalwahlen hinaus auch sonstige, insbesondere direktdemokratische Beteiligungsrechte in der Gemeinde einzuräumen.
Auch aus dem Diskriminierungsverbot des Art18 AEUV ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts anderes.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Volksbefragung, Bundeshauptstadt Wien, VfGH / Legitimation, Rechte subjektive öffentliche, Gemeinderat, Bezirksvertretungen, Partei politische, Wahlen, Wahlrecht aktives, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, demokratisches Grundprinzip, EU-Recht RichtlinieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:WIII4.2013Zuletzt aktualisiert am
29.12.2014