TE Vwgh Beschluss 2000/11/10 98/19/0060

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Veröffentlicht am 10.11.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

VwGG §46;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/19/0061

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, in der Beschwerdesache der am 27. September 1960 geborenen L G in Wien, vertreten durch Dr., Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 11, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 1997, Zl. 105.575/12-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 1997, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. September 1993 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 AufG abgewiesen worden war, wurde dem Beschwerdevertreter, der die Beschwerdeführerin auch im zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren vertreten hat, am 10. Dezember 1997 zugestellt. Die dagegen gerichtete Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde erst am 10. Februar 1998, somit nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist, die am 21. Jänner 1998 geendet hatte, zur Post gegeben.

Die Beschwerdeführerin begehrte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und brachte dazu vor, dass der anzufechtende Bescheid in der Kanzlei des ausgewiesenen Rechtsvertreters am 10. Dezember 1997 eingelangt sei und von der Kanzleileiterin die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit "4.2.1998" vorgemerkt worden sei. Die Kanzleileitern sei seit 1. August 1995 in der Kanzlei des Beschwerdevertreters beschäftigt. Ein derartiges Versehen sei weder ihr noch dem gefertigten Rechtsanwalt je unterlaufen. Infolge des starken Arbeitsanfalles vor den Weihnachtsfeiertagen und auf Grund des Jahreswechsels sei die unrichtige Fristeintragung auch nicht dem gefertigten Rechtsanwalt aufgefallen, insbesondere da der Kanzleileiterin in dem genannten Zeitraum von zweieinhalb Jahren noch nie ein Fristversäumnis unterlaufen sei. Die Unrichtigkeit der Fristeintragung sei ein auf Grund jahrelanger fehlerfreier Fristvormerkungen unwahrscheinlicher Fehler gewesen. Im Akt und im Kalender hätte die Frist übereingestimmt. Die Frist sei auch im wöchentlichen Evidenzausdruck eingetragen worden. Die inhaltliche Unrichtigkeit sei vom Rechtsvertreter trotz regelmäßiger Fristen- und Terminbesprechungen sowie alleiniger stichprobenweiser Kontrolle nicht entdeckt worden. Dieser mindere Grad des Versehens sei kein Organisationsverschulden. Ein derartiges doppeltes Ver- bzw. Übersehen habe trotz Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden können.

Auf Grund der vorgelegten eidesstättigen Erklärungen des Beschwerdevertreters und der im Wiedereinsetzungsantrag genannten Kanzleileiterin wird der dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag entsprechende Sachverhalt festgestellt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumnis zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten ist dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Hiebei ist zu beachten, dass der Rechtsanwalt die Aufgaben, die ihm gegenüber seinen Klienten erwachsen, auch insoweit erfüllen muss, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muss gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, welche die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muss der Anwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt danach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. zum Ganzen den hg. Beschluss vom 29. September 2000, Zlen. 2000/02/0191, 0192, mit weiteren Nachweisen).

Der Verwaltungsgerichtshof geht ferner in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Rechtsanwalt lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen kann. Hingegen ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist stets der Anwalt selbst verantwortlich. Er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm hiebei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden an der Versäumung.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, darf der Rechtsanwalt die Festsetzung von Fristen nicht völlig einer Kanzleikraft überlassen und sich auch nicht nur auf stichprobenartige Kontrollen beschränken. Kommt der Rechtsanwalt im erwähnten Zusammenhang seiner Aufsichts- und Kontrollpflicht nicht nach, so handelt es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens (vgl. zum Ganzen abermals den bereits zitierten hg. Beschluss vom 29. September 2000 mit weiteren Nachweisen).

Im Beschwerdefall hat der Rechtsanwalt nach den Darlegungen des Antrages die Berechnung der Beschwerdefrist nicht selbst vorgenommen, sondern dies der Kanzleileiterin überlassen. Auch hat er selbst weder auf die richtige Berechnung noch auf die richtige Eintragung des Endes der Beschwerdefrist im konkreten Einzelfall abzielende Maßnahmen gesetzt. Schon aus den Behauptungen des Antrages geht somit hervor, dass im Beschwerdefall der einschreitende Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnete und überdies kein auf die Überprüfung der Eintragung von richtig ermittelten Fristen gerichtetes (ausreichendes) Kontrollsystem bestand, sodass bei dieser Sachlage nicht davon gesprochen werden kann, dass nur ein Verschulden des Rechtsanwaltes vorlag, das den minderen Grad des Versehens nicht überstiegen hat.

Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte somit gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben werden.

Dies hat weiters zur Folge, dass die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Beschwerdefrist ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Wien, am 10. November 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998190060.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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