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50/01 GewerbeordnungNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung der GewO 1994 über die Fiktion der Zustellung gewerbebehördlicher Bescheide an Gewerbetreibende; keine unerlässliche und somit keine von den einheitlichen Zustellregelungen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise abweichende RegelungRechtssatz
Zulässigkeit des (Haupt-)Antrags des VwGH auf Aufhebung des §365l GewO 1994 (gesetzliche Zustellfiktion, ein Monat nach Zurückstellung an die Behörde).
Es ist jedenfalls nicht denkunmöglich, dass der VwGH die Bestimmung des §365l GewO in seinem Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde der im Gesetzesprüfungsverfahren beteiligten Partei anzuwenden hat. Untrennbarer Zusammenhang des ersten Satzes mit dem zweiten und dem dritten Satz des §365l GewO.
Aufhebung des §365l GewO 1994 idF BGBl I 82/1997.
Das Zustellgesetz beruht - soweit es von Verwaltungsbehörden zu vollziehen ist - auf der kompetenzrechtlichen Grundlage des Art11 Abs2 B-VG, und die Bestimmungen des Zustellgesetzes stellen "einheitliche Vorschriften" iSd Art11 Abs2 B-VG dar. Die angefochtene Bestimmung - die ungeachtet ihrer Überschrift nicht nur Fälle des unbekannten Aufenthalts regelt - weicht von den Bestimmungen des Zustellgesetzes (vgl §17 Abs3, §25 ZustellG) bzw den für die Zustellung maßgeblichen Bestimmungen des AVG (vgl §11 AVG) ab.
Bei den Vorschriften des Zustellgesetzes handelt es sich - mit Ausnahme einiger Regelungen wie des §8 Abs2 ZustellG - auch nicht bloß um Bestimmungen, die gegenüber besonderen Verwaltungsvorschriften subsidiär sind. Der VfGH geht daher davon aus, dass die Bestimmung des §365l GewO eine vom Regelungssystem des Zustellrechts "abweichende Regelung" iSd Art11 Abs2 B-VG und als solche an den in dieser Verfassungsbestimmung normierten Anforderungen zu messen ist.
Der hinter der angefochtenen Bestimmung stehende Zweck, das gewerbebehördliche Verfahren durch die Zustellung und die damit für den Gewerbetreibenden eintretende Wirksamkeit des gewerbebehördlichen Bescheides zum Abschluss zu bringen und eine Wirkung des Bescheides eintreten zu lassen, scheint bereits durch die einheitlichen Vorschriften des Zustellgesetzes und des AVG hinreichend gewährleistet. Der Zweck der Hintanhaltung von Zustellungsvereitelungen macht eine von den einheitlichen Zustellregelungen abweichende gesetzliche Zustellfiktion sohin nicht unerlässlich. Auch sonst sind dem VfGH keine Gründe erkennbar, die eine Abweichung vom ZustellG in dieser Weise als unerlässlich erscheinen lassen.
Der VfGH vermag ferner nicht zu erkennen, dass die vom ZustellG abweichende Zustellregelung des §365l GewO mit dem System gewerbebehördlicher Verfahren in einem derartigen Regelungszusammenhang steht, dass sie schon deshalb als unerlässlich erachtet werden kann. Die bisherige Rechtsprechung des VfGH zeigt, dass ein aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften begründetes Abweichen vor allem dann angenommen wurde, wenn mit einer Tätigkeit besondere Gefahren verbunden sind und auf Grund dieser eine besondere Aufsicht geschaffen wurde (vgl VfSlg 15351/1998 mit Verweis auf VfSlg 11564/1987).
Zwar kommen die Bestimmungen des §17 Abs3 und des §25 ZustellG in den Fällen, in denen §365l GewO anzuwenden ist, nämlich jenen, in denen eine Abgabestelle zwar bekannt ist, aber eine Zustellung an dieser auf Grund der (nicht nur kurzfristigen) Abwesenheit des Empfängers nicht durchgeführt werden kann und bei Hinterlegung eine Abholung nach der Rückkehr an die Abgabestelle wegen der bereits erfolgten Rücksendung an die Behörde nicht mehr erfolgen kann, nicht zum Tragen.
Eine derartige Dringlichkeit der Zustellung von Bescheiden der Gewerbebehörde, die es erforderlich macht, diese auch während der Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle wirksam werden zu lassen, vermag der VfGH aber lediglich in Fällen zu erkennen, in denen sofort wirksame Maßnahmen getroffen werden müssen.
Die bloße Verzögerung der Zustellung gewerbebehördlicher Bescheide bis zur Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle stellt jedenfalls keinen eine Bestimmung wie die angefochtene unerlässlich erscheinen lassenden, die Abweichung von den Zustellregelungen rechtfertigenden Grund dar. Dass die Zustellung mit einem - im Vergleich zu einer beim erstmaligen Versuch wirksamen Zustellung - größeren behördlichen Aufwand verbunden ist, steht dem nicht entgegen.
Schlagworte
Gewerberecht, Zustellung, Bedarfskompetenz, Bedarfsgesetzgebung, Verwaltungsverfahren, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:G103.2012Zuletzt aktualisiert am
29.12.2014