RS Vfgh 2013/9/25 U1937/2012 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 25.09.2013
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EU-Grundrechte-Charta Art47
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §40 Abs1
AsylGHG §23

Leitsatz

Kein Verstoß des im Asylgesetz 2005 normierten Neuerungsverbotes im Berufungsverfahren gegen das in der EU-Grundrechte-Charta enthaltene Recht auf Zugang zu Gericht angesichts einer verhältnismäßigen Beschränkung; keine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung der Asylanträge zweier afghanischer Staatsangehöriger

Rechtssatz

Der VfGH kam in seinem Erkenntnis VfSlg 19632/2012 zum Ergebnis, dass durch Art47 Abs2 GRC die durch Art6 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantien über Zivil- und Strafverfahren iSd Art6 EMRK hinaus auf den Anwendungsbereich der GRC und somit jedenfalls auch auf das Asylverfahren erstreckt werden.

Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, dass das in §40 Abs1 AsylG 2005 verankerte Neuerungsverbot gegen Art47 GRC verstoße. Dabei ist auch zu untersuchen, in welchem Verhältnis das Neuerungsverbot zu der von Art47 GRC geforderten vollen Kognitionsbefugnis des Gerichts steht.

Die nach der Aufhebung durch das Erk VfSlg 17340/2004 verbleibende Bestimmung des §32 Abs1 AsylG 1997 idF der Novelle 2003, BGBl I 101/2003, entspricht im Wesentlichen der heute geltenden, von den Beschwerdeführerinnen als verfassungswidrig angesehenen Regelung des §40 Abs1 AsylG 2005.

§40 Abs1 AsylG 2005 enthält kein grundsätzliches Neuerungsverbot. In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des BAA können - neben den in §40 Abs1 Z1 bis Z3 AsylG 2005 enthaltenen Fällen - neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden, "wenn der Asylwerber nicht in der Lage war, diese vorzubringen" (§40 Abs1 Z4 AsylG 2005). Vom Neuerungsverbot wird damit nur jenes Vorbringen erfasst, das ein Beschwerdeführer bloß zur bewusst intendierten Verfahrensverzögerung erstattet.

Eine solche, auf eng abgegrenzte und nur auf Fälle, in denen der Asylwerber bereits in der Lage war, entsprechendes Vorbringen zu erstatten, eingeschränkte Regelung des Neuerungsverbots widerspricht nicht dem Recht auf Zugang zu Gericht gemäß Art47 GRC, weil eine solche Beschränkung ein legitimes Ziel verfolgt und als solche auch verhältnismäßig ist.

Da der AsylGH gemäß §23 AsylGHG iVm §37, §45 und §46 AVG im Ermittlungsverfahren von Amts wegen alle Tatsachenfragen im Einzelfall überprüfen muss und es für den AsylGH auch keine Beschränkung bei der Entscheidung der Rechtsfragen gibt, liegt ein Verstoß gegen Art47 GRC auch unter diesem Gesichtspunkt nicht vor.

In seiner ausführlichen Beweiswürdigung legt der AsylGH in aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beanstandender Weise dar, dass die Erstbeschwerdeführerin keine ausreichend substantiierten, widerspruchsfreien und plausiblen Angaben zu erstatten vermochte. Soweit die Beschwerdeführerinnen ihre Asylanträge auf das vom Ehemann bzw Vater erstattete Vorbringen stützen, verweist der AsylGH nachvollziehbar auf die den Ehemann bzw Vater betreffende Entscheidung vom selben Tag, in welcher das Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft gewertet wird.

Der AsylGH erachtet das erst im Beschwerdeverfahren erhobene Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, wonach sie in Afghanistan als Frauen von einer asylrelevanten Gefahr einer Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention betroffen wären, als "Versuch einer nach Maßgabe des §40 AsylG 2005 unzulässigen Steigerung" der bisherigen Angaben. Dessen ungeachtet setzt sich aber der AsylGH mit der Situation der Beschwerdeführerinnen in Afghanistan bzw ihrer Lage als Frauen im Fall ihrer Rückkehr dorthin in ausführlicher Weise auseinander. Seine Beurteilung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich.

Entscheidungstexte

  • U1937/2012 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 25.09.2013 U1937/2012 ua

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Neuerungsverbot, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1937.2012

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten