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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des J B in W, vertreten durch Dr. Stefan Hämmerle und Mag. Johannes Häusle, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Riedgasse 20/III, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 4. Februar 2013, Zl. UVS-1-034/E10-2013, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit der Bestrafung nach dem ASVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 4. Oktober 2012 wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 111 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 2 ASVG eine Geldstrafe von EUR 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 146 Stunden) verhängt.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Berufung der beschwerdeführenden Partei als verspätet zurückgewiesen. Das (an die Anschrift eines Filialbetriebs des Beschwerdeführers in B. adressierte) Straferkenntnis sei nach einem Zustellversuch hinterlegt und ab dem 12. Oktober 2012 zur Abholung bereitgehalten worden. Mit diesem ersten Tag der Abholfrist gelte ein hinterlegtes Dokument nach § 17 Abs. 3 ZustG als zugestellt, wenn sich nicht ergebe, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig von dem Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Der Beschwerdeführer habe ein Ersuchen der belangten Behörde vom 16. Jänner 2013, die Frage nach einer allfälligen Abwesenheit am Tag des Zustellversuches zu beantworten und die Angaben entsprechend zu belegen, unbeantwortet gelassen. In diesem Ersuchen sei der Beschwerdeführer darauf hingewiesen worden, dass für den Fall eines Unterlassens einer Antwort angenommen werde, er sei am Tag des Zustellversuchs nicht von seiner Abgabestelle abwesend gewesen. Diesem Ersuchen sei der Beschwerdeführer innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen. Die Rechtsmittelfrist habe daher am 12. Oktober 2012 zu laufen begonnen und habe am 27. Oktober 2012 geendet. Nach § 63 Abs. 5 AVG sei die Berufung binnen zwei Wochen einzubringen. Die am 26. November 2012 eingebrachte Berufung habe als verspätet zurückgewiesen werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bringt vor, die Bezirkshauptmannschaft Bregenz habe mit Bescheid vom 29. November 2012 den Antrag des Beschwerdeführers vom 21. November 2012 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der Berufung gegen das genannte Straferkenntnis abgewiesen und dies damit begründet, dass die Berufung am 26. November 2012 rechtzeitig eingebracht worden sei und eine Versäumung der Rechtsmittelfrist (als Voraussetzung für die Bewilligung einer Wiedereinsetzung) nicht gegeben sei. Die belangte Behörde habe die Bindung an den den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden (und die Verspätung verneinenden) Bescheides missachtet und trotz dieses rechtswirksamen Bescheides die Berufung als verspätet zurückgewiesen.
Damit zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:
Die hier vorliegende Begründung für die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wonach die erste Zustellung nicht wirksam bzw. die (nach einer weiteren Zustellung erhobene) Berufung nicht verspätet sei, entfaltet keine Bindungswirkung, weil es sich dabei um Vorfragen handelt, die von der materiellen Rechtskraft des Bescheides nicht umfasst sind (vgl. zu einem Antrag auf neuerliche Zustellung das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zl. 2004/20/0462, mwN). Die belangte Behörde war nicht daran gehindert, mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als verspätet zurückzuweisen, womit die genannte Vorfrage nachträglich anders entschieden wurde (vgl. § 69 Abs. 1 Z 3 AVG).
2. Die Beschwerde bestreitet die Wirksamkeit der (ersten) Zustellung des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 29. November 2012 an die Adresse des Sonnenstudios des Beschwerdeführers in B. (an der er mit Nebenwohnsitz gemeldet ist) mit dem Vorbringen, er habe seinen Wohnsitz in W. (Deutschland). Normalerweise würden Zustellungen von behördlichen Schriftstücken an diese Adresse erfolgen. Obwohl der belangten Behörde diese Adresse bekannt gewesen sei, sei das Straferkenntnis "zunächst fälschlicherweise am Filialbetrieb R." zugestellt worden. Damit sei die Zustellung rechtswidrig und unwirksam gewesen. Überdies habe die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ignoriert.
Gemäß § 2 Z 5 Zustellgesetz ist "Abgabestelle" die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort.
§ 17 Zustellgesetz lautet samt Überschrift:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass es sich bei der gegenständlichen Zustelladresse um seine Betriebsstätte gehandelt hat. Er tritt auch den Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegen, wonach er sich regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten hat (§ 17 Abs. 1 Zustellgesetz). Nach den - mit dem Inhalt des Verwaltungsaktes übereinstimmenden - Feststellungen hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. Jänner 2013 aufgefordert, zum Zustellvorgang und zur Hinterlegung beim zuständigen Postamt Stellung zu nehmen und insbesondere die Frage zu beantworten, ob er am 11. Oktober 2012, dem Tag des Zustellversuchs, nicht nur tagsüber, sondern darüber hinaus von seiner Abgabestelle abwesend gewesen sei. Der Beschwerdeführer hat keine Stellungnahme abgegeben.
Er behauptet auch in der Beschwerde nicht, die Abgabestelle nicht regelmäßig benützt zu haben. Bei seinem nunmehrigen Beschwerdevorbringen, die Verständigung von der Hinterlegung sei nicht in die "Abgabeeinrichtung" eingelegt worden (aus seinem Vorbringen in dem mit der Berufung verbundenen Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich allerdings, dass an der Abgabestelle gar kein Briefkasten - iSd § 17 Abs. 2 ZustG - vorhanden sei), handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (vgl. § 41 VwGG).
Da sich sohin nicht ergeben hat, dass der Beschwerdeführer wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, galt die hinterlegte Sendung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wurde (12. Oktober 2012), als zugestellt. Die belangte Behörde hat die am 26. November 2012 nach Ablauf der Frist des § 63 Abs. 5 AVG eingebrachte Berufung daher zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
3. Da die Berufung zurückzuweisen war, hatte die belangte Behörde gemäß § 51e Abs. 2 Z 1 VStG keine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Beschwerdeführer hat lediglich "in eventu" bzw. in dem mit der Berufung verbundenen Wiedereinsetzungsantrag "zu den Gründen der Wiedereinsetzung" die Durchführung einer Verhandlung beantragt. Da die belangte Behörde überdies einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hatte und die Akten (insbesondere die Unterlassung einer Stellungnahme durch den Beschwerdeführer) erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, hat die belangte Behörde zutreffend auch iSd § 51e Abs. 4 VStG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
4. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des - hier vorliegenden - Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch hier vor, weil die Beschwerde keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen hat, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.
6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 4. September 2013
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2013080055.X00Im RIS seit
02.10.2013Zuletzt aktualisiert am
23.01.2014