TE Vwgh Erkenntnis 2013/9/4 2012/08/0076

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Veröffentlicht am 04.09.2013
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §10 Abs3;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2007/I/104;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der K R in S, vertreten durch Mag. Silvia Fahrenberger, Rechtsanwältin in 3270 Scheibbs, Gürtel 2/1, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 17. November 2011, Zl LGS NÖ/RAG/05661/2011, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit erstinstanzlichem Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Scheibbs vom 16. September 2011 wurde gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 10 iVm § 38 AlVG der Verlust ihres Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 1. August bis 11. September 2011 ausgesprochen. Nachsicht wurde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe die ihr zugewiesene, zumutbare Beschäftigung bei der Firma P. als Reinigungskraft abgelehnt.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 1. Oktober 2011 brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz eine tägliche Fahrzeit von rund drei Stunden bedeutet hätte. Außerdem würde die Nettoentlohnung weit unter dem von der Beschwerdeführerin bezogenen Notstandshilfesatz liegen. Die Zumutbarkeit der Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs 2 AlVG sei daher nicht gegeben gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Nach Zitierung der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen und der Darlegung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin sei alleinstehend und habe die Pflichtschule absolviert. Für zwei Monate sei sie in einem Lehrverhältnis zur Einzelhandelskauffrau gestanden, sie sei auch als Bürokraft und als Vertragsbedienstete beschäftigt gewesen. Vom Jahr 1990 bis 2004 und seit Februar 2010 sei sie geringfügig als Hausbesorgerin beschäftigt gewesen. Seit 2. Februar 2010 sei sie wieder arbeitslos und habe seit 19. Oktober 2010 mit Unterbrechungen aufgrund von Krankengeldbezugszeiten Notstandshilfe bezogen. Aus gesundheitlichen Gründen sei laut einem ärztlichen Gutachten vom 6. Oktober 2010 ein Arbeitseinstieg mit geringerer Stundenanzahl (zB 20 Stunden) befürwortet worden. Die Beschwerdeführerin sei im Besitz eines eigenen PKW.

In der Betreuungsvereinbarung vom 28. Juli 2011 sei mit der Beschwerdeführerin als Ziel der Betreuung eine Teilzeitbeschäftigung mit einem Arbeitsausmaß von 20 bis 25 Wochenstunden vereinbart worden.

Am 28. Juli 2011 sei ihr die Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Firma P. mit Arbeitsort L. und möglicher Arbeitsaufnahme am 1. August 2011 angeboten worden. Im Inserat sei angeführt worden, dass das Mindestentgelt für die Stelle als Reinigungskraft EUR 7,52 brutto pro Stunde betrage und eine Überzahlung erfolgen könne. Praxis sei unbedingt gefordert worden. Es handle sich um eine Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 20 Wochenstunden in der Zeit von 13 Uhr bis 17 Uhr von Montag bis Freitag.

Der Kollektivvertrag für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger Niederösterreich sehe ab 1. Jänner 2011 in der Lohngruppe IV für Arbeitnehmer, welche zur ständigen Reinigung in Industrie- und Gewerbebetrieben, Fabriken, Bürohäusern oder auf anderen vergleichbaren Arbeitsstellen beschäftigt würden, einen Bruttolohn von EUR 7,52 pro Stunde vor.

Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Beschwerdeführerin S. zum Arbeitsort L. betrage nach dem Routenplaner "A nach B", "Google Maps" und Nokia längstens 48,62 km und kürzestens 31,4 km. Die längste Fahrtdauer mit dem PKW betrage in eine Richtung 41 Minuten.

Das Beschäftigungsverhältnis sei nicht zustande gekommen. Die Beschwerdeführerin habe auf dem Vermittlungsvorschlag vermerkt, dass der Arbeitsplatz zu weit entfernt und der Verdienst zu wenig sei. Die Beschwerdeführerin habe, hierzu niederschriftlich am 31. August 2011 befragt, angegeben, ihr sei der Verdienst zur Erhaltung ihres Lebensunterhalts zu gering und die Entfernung von S. nach L. für eine täglich Hin- und Rückfahrt auch in Bezug auf den Verdienst zu weit.

Frau C., die Kontaktperson der Firma P., habe mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin bereits im Telefonat vom 28. Juli 2011 bekannt gegeben habe, dass ihr der Arbeitsort zu weit und der Verdienst zu gering sei. Sie hätte sofort zu arbeiten beginnen können. Hierzu habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, die Angaben bezüglich der Anfahrtszeit, nämlich, dass ihr die Entfernung zu weit und der Verdienst dafür zu gering sei, seien korrekt. C. habe ihr aber nicht gesagt, dass sie sofort beginnen hätte können, habe mit ihr keinen Vorstellungstermin mehr vereinbart und auch keine Angaben über eine eventuelle Überzahlungsmöglichkeit getätigt, "da sie gemeint habe, dass es dann keinen Sinn mehr mache". Als berücksichtigungswürdigen Grund habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, noch keine konkrete Arbeit in Aussicht zu haben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die zugewiesene Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Firma P. mit Arbeitsort in L. erfülle die Zumutbarkeitskriterien des § 9 AlVG. Die Beschwerdeführerin sei seit Längerem als Hausbesorgerin tätig und weise daher die vom potentiellen Dienstgeber geforderte Praxis im Reinigungsbereich auf. Die zugewiesene Beschäftigung sei sohin als zuweisungstauglich im Sinne des § 9 AlVG anzusehen. Weiters entspreche die angebotene Entlohnung von mindestens EUR 7,52 brutto pro Stunde dem maßgeblichen Kollektivvertrag für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger Niederösterreich, welcher ab 1. Jänner 2011 in der hier anwendbaren Lohngruppe IV einen Bruttostundenlohn von EUR 7,52 vorsehe. Dem Berufungsvorbringen, der Verdienst sei in Hinblick auf das Beschäftigungsausmaß von 20 Wochenstunden und den Tagessatz an Notstandshilfe von EUR 19,87 zu gering, könne im vorliegenden Fall rechtlich nicht gefolgt werden, zumal der Berufs- und Entgeltschutz nach § 9 Abs 3 AlVG keine Anwendung finde, da sich die Beschwerdeführerin seit 19. Oktober 2010 im Notstandshilfebezug befinde.

Zur Erreichung des Arbeitsortes stehe der Beschwerdeführerin ein eigener PKW zur Verfügung, den sie auch zum Erreichen des Arbeitsplatzes einzusetzen habe. Mit diesem PKW betrage, anders als die Beschwerdeführerin vorbringe, die tägliche Wegzeit maximal 82 Minuten, sohin unter eineinhalb Stunden, wobei die Bestimmung des § 9 Abs 2 AlVG bei einer Teilzeitbeschäftigung als zumutbare tägliche Wegzeit jedenfalls eineinhalb Stunden vorsehe.

Die Beschwerdeführerin habe anlässlich ihres Telefonats mit C. von der Firma P. dargelegt, dass der Arbeitsort zu weit entfernt und der Verdienst zu gering sei. Dies gehe auch aus dem Berufungsvorbringen hervor, wonach sie die Beschäftigung als unzumutbar erachte. Insbesondere habe die Beschwerdeführerin auf dem Vermittlungsvorschlag selbst vermerkt, dass der Arbeitsplatz zu weit entfernt und der Verdienst zu wenig sei. Diese Äußerungen seien nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet, den potentiellen Arbeitgeber von einer Einstellung abzubringen.

Der Tatbestand des § 10 iVm § 38 AlVG sei daher erfüllt. Der Beginn der Ausschlussfrist sei der Zeitpunkt der möglichen Arbeitsaufnahme, sohin der 1. August 2011. Diese Sanktion könne mangels berücksichtigungswürdiger Umstände im Sinne des § 10 Abs 3 AlVG (wie zum Beispiel Arbeitsaufnahme innerhalb angemessener Frist) auch nicht nachgesehen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 9 und 10 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 104/2007 lauten (auszugsweise):

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

(3) In den ersten 100 Tagen des Bezuges von Arbeitslosengeld auf Grund einer neu erworbenen Anwartschaft ist eine Vermittlung in eine nicht dem bisherigen Tätigkeitsbereich entsprechende Tätigkeit nicht zumutbar, wenn dadurch eine künftige Beschäftigung im bisherigen Beruf wesentlich erschwert wird. In den ersten 120 Tagen des Bezuges von Arbeitslosengeld auf Grund einer neu erworbenen Anwartschaft ist eine Beschäftigung in einem anderen Beruf oder eine Teilzeitbeschäftigung nur zumutbar, wenn das sozialversicherungspflichtige Entgelt mindestens 80 vH des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts beträgt. In der restlichen Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld ist eine Beschäftigung in einem anderen Beruf oder eine Teilzeitbeschäftigung nur zumutbar, wenn das sozialversicherungspflichtige Entgelt mindestens 75 vH des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts beträgt. Entfällt im maßgeblichen Bemessungszeitraum mindestens die Hälfte der Beschäftigungszeiten auf Teilzeitbeschäftigungen mit weniger als 75 vH der Normalarbeitszeit, so ist während des Bezuges von Arbeitslosengeld eine Beschäftigung in einem anderen Beruf oder eine Teilzeitbeschäftigung nur zumutbar, wenn das sozialversicherungspflichtige Entgelt mindestens die Höhe des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts erreicht. Der besondere Entgeltschutz nach Teilzeitbeschäftigungen gilt jedoch nur, wenn die arbeitslose Person dem Arbeitsmarktservice Umfang und Ausmaß der Teilzeitbeschäftigungen durch Vorlage von Bestätigungen ehemaliger Arbeitgeber nachgewiesen hat. Ist die Erbringung eines solchen Nachweises mit zumutbaren Bemühungen nicht möglich, so genügt die Glaubhaftmachung.

(…)

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

(…)

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Die genannten Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, dh bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl zB das hg Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl 2006/08/0157, mwN).

Der Tatbestand des § 10 Abs 1 Z 1 AlVG wird nur verwirklicht, wenn es sich um eine zumutbare und damit für die Zuweisung geeignete Beschäftigung handelt (vgl das hg Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl 2009/08/0112, uva).

2. Im Beschwerdefall ist im Wesentlichen strittig, ob die der Beschwerdeführerin zugewiesene Beschäftigung bei der Firma P. als Reinigungskraft den Zumutbarkeitskriterien des § 9 AlVG entsprochen hat und die Beschwerdeführerin daher verpflichtet war, diese Beschäftigung auch anzunehmen.

Die Beschwerdeführerin bestreitet - wie schon im Verwaltungsverfahren - die Zumutbarkeit der Beschäftigung, insbesondere wegen der Entfernung der Arbeitsstätte von ihrem Wohnort. Bei Benützung der Bahn hätte die Wegzeit ca drei Stunden täglich für Hin- und Rückfahrt betragen, bei Benützung des Autos gemäß den Feststellungen der belangten Behörde 82 Minuten, jeweils ohne Berücksichtigung der erforderlichen Gehzeit und der Zeit für die aufzuwendende Parkplatzsuche. Bei einer Teilzeitbeschäftigung betrage die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg gemäß § 9 Abs 2 AlVG eineinhalb Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten seien nur unter besonderen Umständen zumutbar. Die Berechnung der täglichen Wegzeit durch die belangte Behörde erweise sich schon aus dem Grund als rechtswidrig, als die belangte Behörde ausschließlich die reine Fahrzeit berücksichtigt habe, ohne die Zeit für die Parkplatzsuche und den jedenfalls erforderlichen Fußweg in ihre Kalkulation miteinzubeziehen.

Zudem habe sich die belangte Behörde weder mit der genauen Lage des Arbeitsplatzes in L. noch mit der miteinzubeziehenden Zeit für die Gehwege und die Parkplatzsuche auseinandergesetzt und auch keine Feststellungen dazu getroffen. Diese wären aber erforderlich gewesen, um die Zumutbarkeit der Wegzeit beurteilen zu können. Die belangte Behörde hätte sich außerdem mit der Pendleranalyse der Arbeiterkammer Niederösterreich auseinandersetzen müssen. Laut dieser Pendleranalyse von 2005 betrage der Auspendleranteil im Bezirk S. nämlich bloß 35,9 % und hiervon pendelten lediglich ein Viertel nach M., sodass längere Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz nach L. ortsunüblich seien.

Zu beachten sei weiters, dass der Arbeitgeber die Kosten der Bahnkarte bezahlt hätte und daher wohl von der Beschwerdeführerin erwartet worden wäre, die Bahn zu benützen, was eine Fahrtzeit von weit über zwei Stunden bedeutet hätte. Selbst unter Zugrundelegung des Umstands, dass der Beschwerdeführerin für die Fahrten zum und vom Arbeitsplatz ein eigener PKW zur Verfügung stehe und von dieser auch zu verwenden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass die Wegzeit für die Beschwerdeführerin als unzumutbar gewertet werden müsse, da diese "weit über eineinhalb Stunden" liege.

3. Zu diesem Beschwerdevorbringen ist zunächst festzuhalten, dass die Feststellungen der belangten Behörde, wonach die tägliche Fahrzeit zur gegenständlichen Beschäftigung für Hin- und Rückweg mit dem PKW maximal 82 Minuten betragen hätte, von der Beschwerdeführerin nicht bestritten werden. Wie lange die Wegzeit unter Benützung öffentlicher Verkehrsmittel betragen hätte, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang, da die arbeitssuchende Beschwerdeführerin grundsätzlich verpflichtet ist, das ihr zur Verfügung stehende Kraftfahrzeug falls erforderlich für das Erreichen eines Arbeitsplatzes einzusetzen (vgl das hg Erkenntnis vom 19. Oktober 2011, Zl 2011/08/0314, mwN).

Der Beschwerdeführerin ist zuzugestehen, dass aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheids nicht ersichtlich wird, ob die belangte Behörde bei der Berechnung der täglichen Wegzeit mittel Routenplaner Zeiten für Fußwege oder Parkplatzsuche einbezogen hat. Wenngleich bei der Berechnung der Wegzeit die Heranziehung der reinen Fahrzeit ohne Berücksichtigung von Parkplatzsuche und erforderlicher Fußwege im Einzelfall zu kurz greifen mag (vgl dazu das hg Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl 2006/08/0157), begründet diese Vorgangsweise im Beschwerdefall keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids:

Nach den - unbestrittenen - Feststellungen beträgt die tägliche Fahrzeit zwischen Wohnort der Beschwerdeführerin und Arbeitsplatz 82 Minuten. Diese Fahrzeit liegt damit 8 Minuten unter der für Teilzeitbeschäftigungen jedenfalls zumutbaren Wegzeit für Hin- und Rückweg. § 9 Abs 2 AlVG idF BGBl I Nr 77/2004 lässt jedoch sogar geringfügige Überschreitungen der jedenfalls zumutbaren Wegzeit zu; dies ist daraus abzuleiten, dass erst bei einer wesentlich längeren Wegzeit besondere Umstände vorliegen müssen, um dennoch die Zumutbarkeit der Beschäftigung annehmen zu können. Im Zusammenhang mit einer Vollzeitbeschäftigung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine Überschreitung der jedenfalls zumutbaren Wegzeit um etwa 15% noch nicht das Vorliegen besonderer Umstände erfordert (vgl das hg Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl 2009/08/0028, mwN zur früheren Fassung des § 9 Abs 2 AlVG); dasselbe gilt auch im Falle von Teilzeitbeschäftigungen.

Es ist nun aber - sofern nicht die Umstände des Einzelfalls anderes nahelegen - nicht automatisch davon auszugehen, dass bei einer Anreise zum Arbeitsort mit dem PKW, jedenfalls außerhalb von Ballungsräumen, die zurückzulegenden Fußwege und die Parkplatzsuche zeitlich erheblich ins Gewicht fallen. Das Vorliegen solcher Umstände - etwa fehlende Parkmöglichkeiten am Arbeits- oder Wohnort - hat die Beschwerdeführerin weder im Verwaltungsverfahren noch in ihrer Beschwerde dargetan. Im Übrigen hat sie in ihrer Berufung selbst nur Vorbringen zur reinen Fahrzeit zum Arbeitsort erstattet und dabei nicht behauptet, dass Fußwege oder die Parkplatzsuche darüber hinaus einen nennenswerten Zeitaufwand verursachen würden. Mangels Vorbringens der Beschwerdeführerin - auch die Beschwerde enthält keine konkreten Angaben zu dem für Fußwege oder Parkplatzsuche regelmäßig erforderlichen Zeitaufwand, sodass insoweit jedenfalls auch kein relevanter Verstoß gegen das Parteiengehör vorliegt - kann aber nicht angenommen werden, dass im Beschwerdefall bei der Berechnung der täglichen Wegzeit selbst bei Hinzurechnung der Zeit für Fußwege oder die Parkplatzsuche zur reinen Fahrzeit die jedenfalls zumutbare Wegzeit von eineinhalb Stunden wesentlich überschritten würde.

In diesem Zusammenhang kann auch keine Verletzung des Parteiengehörs, wie sie von der Beschwerdeführerin behauptet wird, erkannt werden. Die Beschwerdeführerin behauptet zwar, bei Gewährung von Parteiengehör zu der von der belangten Behörde angestellten Berechnung der Wegzeit mittels Routenplaner hätte sie darlegen können, dass dabei die Zeit für Parkplatzsuche und Gehzeiten unberücksichtigt geblieben wären. Sie legt aber nicht dar, aufgrund welcher Umstände im Beschwerdefall die tägliche Wegzeit bei Berücksichtigung des Zeitaufwands für Parkplatzsuche und Gehzeiten ein die Unzumutbarkeit bedingendes Ausmaß erreicht hätte. Wodurch sich die von der Beschwerdeführerin behauptete Wegzeit "weit über eineinhalb Stunden" ergeben soll, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

Inwiefern eine Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin zitierten Pendlerstudie hier zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wird in der Beschwerde ebenso wenig dargelegt. Soweit die Beschwerdeführerin damit darlegen wollte, dass die von ihr aufzuwendende Wegzeit ortsunüblich wäre, so ist ihr entgegenzuhalten, dass es erst im Falle einer - hier aber nicht festgestellten - wesentlich über eineinhalb Stunden liegenden Wegzeit (bei Teilzeitbeschäftigungen) darauf ankommen könnte, ob am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben.

4. Die Beschwerdeführerin behauptet, die lange Wegzeit zum Arbeitsort hätte gemäß § 10 Abs 3 AlVG als Nachsichtsgrund berücksichtigt werden müssen.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass nach der Systematik des Gesetzes jene Umstände nicht zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinne des § 10 Abs 3 AlVG führen können, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs 2 und 3 AlVG von Bedeutung sind und deren Prüfung ergeben hat, dass sie diese nicht ausschließen (vgl das hg Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl 2007/08/0234).

5. Die Beschwerdeführerin wendet sich weiters gegen die Entlohnung der zugewiesenen Beschäftigung und führt dazu aus, vom Arbeitsmarktservice habe sie (monatlich) EUR 596,19 erhalten. Bei der ihr zugewiesenen Beschäftigung hätte sich ein Lohn von netto EUR 450,- ergeben. Dieser wäre um ein Viertel niedriger als die Notstandshilfe gewesen und nur knapp über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen. Das hätte bedeutet, dass die Beschwerdeführerin bei einem Zeitaufwand von insgesamt rund vier Stunden täglich eine bedeutende wirtschaftliche Einbuße hinnehmen hätte müssen und ihren Lebensunterhalt nicht mehr decken hätte können. Zudem habe es sich um einen berufsfremden Arbeitsplatz gehandelt.

6. Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin zunächst ganz allgemein, dass - wie sich aus der Systematik und dem Zweck der §§ 9 und 10 AlVG ergibt - Leistungsbezieher angehalten sind, ehestmöglich durch die Aufnahme einer Beschäftigung aus dem Leistungsbezug wieder auszuscheiden (vgl aus der ständigen hg Rechtsprechung das Erkenntnis vom 7. Mai 2008, Zl 2007/08/0163). Die Beschwerdeführerin wäre daher jedenfalls dazu verhalten gewesen, eine ihr gemäß § 9 AlVG zumutbare Beschäftigung anzunehmen, auch wenn sich daraus für sie eine finanzielle Schlechterstellung im Vergleich zum Leistungsbezug ergeben hätte. Eine Unzumutbarkeit der ihr zugewiesenen Beschäftigung konnte sich jedenfalls nicht allein aus dieser finanziellen Schlechterstellung ergeben.

Im Übrigen setzt die Beschwerdeführerin den Feststellungen der belangten Behörde, dass die Beschäftigung kollektivvertraglich entlohnt gewesen wäre, nichts entgegen. Da eine kollektivvertragliche Entlohnung gemäß § 9 Abs 2 AlVG grundsätzlich als angemessen gilt - vgl dazu näher das hg Erkenntnis vom 12. September 2012, Zl 2009/08/0247 - und die Beschwerdeführerin als Notstandshilfebezieherin gemäß § 9 Abs 3 AlVG keinen Entgelt- und Berufsschutz genießt, begründen weder die angebotene Entlohnung noch die Art der zugewiesenen Beschäftigung Bedenken hinsichtlich ihrer Zumutbarkeit.

7. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Bedenken zur Zumutbarkeit der ihr zugewiesenen Beschäftigung erweisen sich damit als unbegründet. Da die Beschwerdeführerin gegenüber der Kontaktperson der Firma P. erklärt hat, die tägliche Fahrzeit wäre ihr zu lang und die Entlohnung zu niedrig, bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin den Tatbestand der Vereitelung iSd § 10 Abs 1 Z 1 AlVG erfüllt hat.

8. Die Beschwerdeführerin wendet sich schließlich "ausdrücklich gegen den rückwirkenden Ausspruch des Anspruchsverlustes". Der Zeitraum (des Anspruchsverlusts) hätte - wenn überhaupt - "erst mit Zustellung des Bescheides beginnen dürfen".

Gemäß § 10 Abs 1 AlVG tritt der Verlust des Leistungsanspruchs für die der Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen ein. Die der Beschwerdeführerin angelastete Vereitelungshandlung bezog sich auf eine Beschäftigung mit möglichem Antrittsdatum 1. August 2011. Der belangten Behörde ist nicht entgegenzutreten, wenn sie dieses Datum als das Datum der Pflichtverletzung angesehen und den Verlust des Leistungsanspruchs für die dem 1. August 2011 folgenden sechs Wochen ausgesprochen hat.

9. Die Beschwerde erweist sich daher als insgesamt unbegründet und war gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am 4. September 2013

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012080076.X00

Im RIS seit

01.10.2013

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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